Begleitung im Prozess: Bei den Opfern kommt sie nicht an

Psychosoziale Beratung bei Gerichtsverfahren wird bislang noch kaum in Anspruch genommen. Rot-Grün-Rot in Bremen will das ändern.

Eine Hand zieht eine Akte aus einem Stapel von Akten

Schicksal im Aktenstapel: Ein Prozess ist häufig eine große Belastung für die Geschädigten Foto: Felix Kästle/dpa

BREMEN taz | 1.100 Euro Honorar für einen anspruchsvollen Job, der auch mal über vier Jahre hinweg Arbeit machen kann – und bestenfalls eben nur so drei Wochen lang? Klingt unattraktiv. Schließlich muss ja auch studiert haben, wer psychosoziale Pro­zess­be­glei­te­r:in werden will, außerdem über zwei Jahre Berufserfahrung verfügen und zudem in eine neunmonatige Zusatzausbildung investieren. „Ich fühle mich wie eine Reinigungskraft bezahlt“, sagt Sandra Koschel, die diesen Job trotzdem schon seit 2017 macht.

Damals wurde er hierzulande per Gesetz ganz neu geschaffen – doch noch immer ist er weithin unbekannt. Die psychosoziale Prozessbegleitung soll Opfern schwerer Straftaten, die nicht selten traumatisiert sind, durch den Gerichtsprozess helfen. Es geht dabei nicht um Rechtsberatung, nicht um Therapie und auch nicht um die Aufarbeitung des Erlebten – sondern darum, den Opfer während des oft jahrelang dauernden Gerichtsverfahrens etwas Sicherheit und Orientierung zu geben.

„Ich soll und kann nicht über die Tat reden, aber das tut auch nichts zur Sache“, sagt Koschel. „Die meisten sind glücklich, nicht mehr darüber sprechen zu müssen.“ Es gehe mehr um die Sorgen und Nöte im Rahmen des Prozesses, um das Drumherum, also etwa die Auswirkungen auf die Arbeit, die eigene Beziehung oder das Privatleben. „Da bin ich eine Art Bodyguard“, sagt Koschel – und eine professionelle Beraterin.

Die Kosten dafür zahlt der Staat – sofern die Pro­zess­be­glei­te­r:in­nen „beigeordnet“ werden, wie Juristen das nennen. Das wiederum passiert nur bei „schwerwiegenden“ Gewalttaten, wie Koschel erklärt – meist geht es dann um sexualisierte Gewalt, aber auch mal um versuchten Totschlag. Stalking oder ein Raubüberfall reichen in der Regel als Grund nicht aus, auch häusliche Gewalt nicht, selbst wenn es um lang andauernde Taten geht, um Knochenbrüche und Platzwunden.

Akzeptanz und Bekanntheit sollen steigen

Die 37-jährige Koschel, eine gelernte Sozialarbeiterin, ist eine von insgesamt sechs meist freiberuflichen Prozessbegleiterinnen in Bremen – von denen de facto aber nur drei Arbeit haben. Und das auch nur gelegentlich: 2018 gab es im Land Bremen 22 Beiordnungen, 2019 waren es nur noch 14, im vergangenen Jahr 15.

Zum Vergleich: 2020 listet die polizeiliche Kriminalstatistik allein für Bremen 110 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung auf, dazu weitere 122 von sexuellen Missbrauch an Kindern und 35 Mord- und Totschlagsversuche.

„Ich könnte von der Arbeit nicht leben“, sagt Koschel – und dass sie derzeit „ganz wenig“ Aufträge habe. Auch ihre Kollegin Jana Rump berichtet nur von etwa fünf bis sechs Anfragen im Jahr. „Wir brauchen mehr Bekanntheit, etwa bei Anwälten, Gerichten oder der Polizei“, sagt die Psychologin, die sich nur um Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene kümmert. In ihren Fällen ging es bisher ausschließlich um Sexualdelikte. Die 35-Jährige ist beim Bremer Kinderschutzbund angestellt – nur so kann sie diese Arbeit überhaupt leisten.

SPD, Grüne und Linke in Bremen wollen die psychosoziale Prozessbegleitung nun „vereinfachen, ausbauen und institutionalisieren“, wie es in einem Antrag der drei Parlamentsfraktionen an den eignen Senat heißt. „Es ist dringend notwendig, die Bekanntheit und Akzeptanz dieses wertvollen Instruments weiter zu steigern und um weitere Angebote und Maßnahmen zu ergänzen“, heißt es darin, und dass die Unterstützung von Opfern ein „zentraler Bestandteil der Landespolitik“ sei.

Bedarf muss nachgewiesen werden

Zunächst einmal müssen die Opfer dem Staat aber beweisen, dass sie auch wirklich richtig unter der Tat leiden: „Das Problem ist: Die erwachsenen Opfer müssen den Bedarf einer psychosozialen Prozessbegleitung erst nachweisen“, sagt Rump. Denn nur Kinder und Jugendliche bekommen auf Antrag immer eine Prozessbegleitung zugestanden. Für Besuche zu Hause oder am Arbeitsplatz des Opfers ist ohnehin kein Geld da; wer begleitet werden will, muss schon selbst in Koschels Praxis oder in die Beratungsstelle des Kinderschutzbundes kommen.

Für eine Supervision kommt der Staat nicht auf. Auch Fortbildungen für die Pro­zess­be­glei­te­r:in­nen sind im Budget nicht vorgesehen. Das sieht 520 Euro Honorar für das Ermittlungsverfahren vor, 370 Euro für den erstinstanzlichen Prozess, weitere 210 Euro für die Zeit nach dessen Abschluss – ganz egal, wie lange die Verfahren am Ende dauern.

In Bremen beginnt gerade eine neue Ausbildung an der Hochschule für öffentliche Verwaltung, 17 Plätze kosten dort je 1.700 Euro. Ob da nicht vollkommen über Bedarf hinaus ausgebildet wird? „Wir brauchen mehr psychosoziale Prozessbegleiter:innen“, sagt Rump – vor allem solche, die bei freien Trägern wirtschaftlich abgesichert und dort auch vernetzt sind. „Es ist wichtig, dass diejenigen, die das anbieten, möglichst divers sind, was Herkunft oder Geschlecht angeht.“ Bisher arbeiten in Bremen nur Frauen in diesem Beruf.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.