kritisch gesehen
: Rock ist nicht verhandelbar

Sänger Micha Okun sieht aus wie der Leibhaftige – der aus Seattle, der von Nirvana. Das Spiel mit der Kurt-Cobain-Ähnlichkeit ist Teil des Humors von „Die Cigaretten“, die man am besten filterlos genießt. Trotz nicht zu leugnender Grunge-Anleihen auf der frisch veröffentlichten zweiten Platte „Emotional Eater“, bewegen sich aber alle Hö­re­r:in­nen auf einen Irrweg, die annehmen, die Hamburger Band gehöre in die Reihe der zahllosen von der Pop-Presse auserkorenen deutschsprachigen Nirvana-Nachfolger der vergangenen 20 Jahre. Madsen vielleicht? Nun ja, gut.

„Ich hab kein Bock mehr mit dir rumzuhängen, denn deine Welt ist mir viel zu eng“, singt Sänger und Songwriter Okun also, als müsse er nach mehr als der Hälfte der Platte noch erklären, was bis dahin schon zu hören war: Album und Band lassen sich in keine Schublade stecken. „Emotional Eater“ ist wie die Cartoon-Katze, die sich mit allen Vieren festkrallt, aufbäumt, biegt und windet, um ja nicht irgendwo rein gesteckt zu werden.

Das klingt manchmal wie der – durch die bedrohlich dumpf heran rollende Instrumentierung getragene – Titeltrack, dann wieder schrammelig. Mal artet rhythmisches Zucken in Noise-Geklöppel aus, dann geht ein Klimperton, der einem Horrorfilm entsprungen zu sein scheint, in einen tiefen Trap-Beat über, nur um nach weiteren 45 Sekunden in einen Mitsing-Song zu münden. Gesungen wird auf Deutsch und Englisch, von gaga bis persönlich, von lieblich-ungefährlich bis tiefgründig, mal direkt und mal durch die Blume.

So wirr, wie das alles für manche:n klingen mag, ist es dann doch nicht: Die Cigaretten bleiben immer eine Rockband – das ist nicht verhandelbar. Sie passen so gut ins nächste Autonome Zentrum wie auf TikTok. Gut: Das muss man mögen – tut man es, kann man mit diesem Album und der Band viel Spaß haben.

Kevin Goonewardena

Die Cigaretten: „Emotional Eater“, Audiolith 2021