Sparmaßnahmen infolge von Corona: Hamburg kürzt beim Sozialen

Die Sucht-Beratungsstellen der Stadt fürchten Stellenverluste. Und eine Notschlafstelle für junge Erwachsene wird nicht wie geplant eröffnet.

Zwei Personen sitzen am Boden und schützen sich mit einem roten Regenschirm

Brauchen Hilfe des Staates: schutzbedürftige Menschen auf der Straße Foto: Boris Roessler/dpa

HAMBURG taz | In Hamburg treffen Sparmaßnahmen infolge von Corona jetzt den sozialen Bereich. So protestiert die „Hamburgische Landesstelle für Suchtfragen“, weil ihren rund 30 Trägern ab 2022 keine Tarifsteigerung mehr finanziert wird und sie der Stadt ihre Rücklagen abgegeben müssen. Bleibe es dabei, bedeute das einen „Abbau von mindestens 15 Vollzeitstellen“. taz-Recherchen ergaben zudem, dass die lange geforderte „Notschlafstelle“ für junge Erwachsene nicht wie geplant zum 1. Januar eröffnet wird.

Beides ist mit Blick in den aktuellen Haushaltsplan der Millionenstadt zu verstehen. So müssen alle Ressorts mehr Geld zurückhalten. Die „globale Minderausgabe“ steigt von zwei auf drei Prozent. „Das trifft den Etat der Sozialbehörde fatal“, sagt der Linken-Haushaltsexperte David Stoop.

Weil in deren Einzel-Etat auch die Transferleistungen des Bundes wie Hartz-IV-Gelder als „Durchlaufposten“ verbucht sind, steigt die geforderte Minderausgabe von rund 70 Millionen Euro im Jahr 2020 auf knapp 140 Millionen Euro im Jahr 2022 an. Und weil Rechtsansprüche nicht kürzbar sind, trifft es die freiwilligen Leistungen.

Dazu gehört die Suchthilfe. „Wir rechnen mit Einschnitten zwischen fünf und zehn Prozent. Und das, obwohl die Bevölkerung in Hamburg wächst und die Suchtgefährdung während Corona auf keinen Fall rückläufig ist“, sagt der Vorsitzende der Landesstelle Andreas Koch. Gerade bei Alkohol gebe es eine hohe Dunkelziffer, etwa jeder Zehnte habe damit ein Problem. Etwa ein Viertel der Abhängigen konsumiere illegale Drogen.

Drogen-Substitution steht auf dem Spiel

In einer ausführlichen Stellungnahme weist die „Landesstelle für Suchtfragen“ darauf hin, dass Rot-Grün im Koalitionsvertrag den Tarif-Ausgleich ausdrücklich zugesagt hatte. Das jetzige Vorgehen sei ein „Affront“. Denn schon seit 2012 wurden die Mittel für Drogen- und Suchtkrankenhilfe „weitgehend eingefroren“. Lediglich 2019/20 gab es eine Steigerung. Dabei zeige Corona, wie unverzichtbar die Grundversorgung für Abhängigkeitserkrankte sei.

So habe die Einrichtung „Abrigado“ als einzige Beratungsstelle mit integriertem Drogenkonsumraum im Süderelbe-Bereich seit Ausbruch der Pandemie kontinuierlich geöffnet. „Täglich nutzen 80 bis 250 Drogenkonsumierende unsere Angebote“, schreibt der Träger. Nun drohe der Wegfall von drei Stellen und damit eine „massive Einschränkung der Öffnungszeiten und Angebote“. Auch das „Drob Inn“ hinterm Hauptbahnhof betreibt seit Pandemiebegin eine „Substitutionsambulanz“, deren Finanzierung künftig ungeklärt ist. „Hier steht die medizinische Versorgung von bis zu 100 Opioidabhängigen auf dem Spiel“, schreibt der Träger. Diese müssten sich dann „notgedrungen wieder in die Illegalität der Drogenbeschaffung begeben“.

Man sei jetzt im Gespräch über Lösungen, sagt Andreas Koch. „Unsere Kritik richtet sich nicht gegen die Fachbehörde, sondern gegen die politische Vorgabe des Senats.“ Der Linken-Gesundheitsexperte Deniz Celik will nun das Thema im Fachausschuss des Parlaments zur Sprache bringen. Es sei „unfassbar und Ausdruck der sozialen Kälte, dass der Senat die Kosten der Coronakrise ausgerechnet auf die Ärmsten und Schutzbedürftigsten abwälzt“. Für David Stoop stellt sich die Frage, ob die Stadt die Rückzahlung der wegen Corona gemachten Schulden nicht strecken kann, wie es die Nachbarländer tun.

Die Sozialbehörde sagt, man sei mit den Trägern noch im Gespräch. „Es stehen noch gar keine Ergebnisse fest“, so Sprecher Martin Helfrich.

Notschlafstelle erst im Sommer

Keine Antwort gab er auf die Frage der taz nach der „Notschlafstelle“ für junge Erwachsene. Laut Bürgerschaftsbeschluss sollte diese zum 1. Januar mit 20 Schlafplätzen für junge Wohnungslose von 18 bis 27 Jahren starten, die in Obdachlosenunterkünften fehl am Platz sind. Doch obwohl das nur noch wenige Wochen hin ist, gibt es immer noch keine Ausschreibung dazu.

Wie von den Grünen zu erfahren ist, wird deren Eröffnung tatsächlich auf den Sommer verschoben. Sie fände das „sehr schade“, sagt die Grüne Mareike Engels. „Ein Start in den Wintermonaten wäre besser gewesen, so hat es die Bürgerschaft schließlich auch beschlossen.“ Wichtig sei nun, dass die Stelle nächstes Jahr an den Start geht.

„Der Senat will hier noch einen ganzen Winter an den jungen Obdachlosen sparen“, sagt Ronald Prieß, Ex-Jugendreferent der Linken und Botschafter der Straßenkinder. „Ich finde, das ist ein Armutszeugnis“. Es sei zu hoffen, dass sich das Projekt nicht bis 2024 verzögert. Dann nämlich wird der Neubau des Pik-As für obdachlose Männer fertig, wo die Behörde die jungen Erwachsenen mit unterbringen möchte.

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