Asylrecht für Geflüchtete aus Afghanistan: Eine Frage der Auslegung

Das Asylrecht birgt für Asylsuchende aus Afghanistan Unsicherheiten. Der Flüchtlingsrat fordert vom Bremer Innensenator ein Entgegenkommen.

Polizeibeamte begleiten einen Afghanen auf dem Flughafen Leipzig-Halle in ein Charterflugzeug.

Horrorszenario für Geflüchtete: Abschiebung eines Afghanen im Juli 2019 Foto: Michael Kappeler/dpa

BREMEN taz | Der Bremer Flüchtlingsrat hat den Senat aufgefordert, die in der Stadt lebenden Af­gha­n:in­nen aus einer asylrechtlichen Zwickmühle zu befreien. Weil Afghanistan bisher als sicheres Herkunftsland galt, erhielten sie in der Regel kein Asyl, sondern nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Jetzt, da die Taliban wieder an der Macht sind, könnten sie einen erneuten Antrag, einen sogenannten Asylfolgeantrag stellen. Doch damit riskieren sie ihren Aufenthaltsstatus.

Für Afghan:innen, die oft eine schwere Flucht hinter sich haben, stelle der bestehende Aufenthaltsstatus eine wichtige Sicherheit dar, die sie nicht leichtfertig aufgeben wollten, sagt Holger Dieckmann vom Flüchtlingsrat. Denn beim Aufenthaltsstatus geht es um viel: die Arbeitserlaubnis, Sozialleistungen und letztendlich eine Niederlassung.

Nun könnte die konkrete Auslegung des Asylrechts einen Unterschied für die Betroffenen machen. Denn im Gesetz heißt es, dass nur durch einen Asylantrag der bisherige Status erlischt. Nicht explizit genannt wird der Asylfolgeantrag, also ein erneuter Asylantrag aufgrund veränderter Umstände.

Viele der Bremer Af­gha­n:in­nen könnten einen solchen Asylfolgeantrag stellen, denn ihr Asylantrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass die Taliban nicht ganz Afghanistan kontrollierten. Das ist nun nicht länger der Fall, somit haben sie heute bessere Chancen auf Asyl.

Der Flüchtlingsrat fordert deshalb vom Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) die wörtliche Auslegung des Gesetzes. Asylanträge und Asylfolgeanträge seien verschiedene Dinge. Das Erlöschen des bisherigen Status solle für den Asylfolgeantrag nicht gelten. So könnten Bremer Afghan:innen, die einen Asylfolgeantrag stellen, geschützt bleiben.

Bremen pocht auf bundesgesetzliche Regelung

Laut Rose Gerdts-Schiffler, Sprecherin des Innensenators, ist auch der Senat der Ansicht, dass das Gesetz nicht für Asylfolgeanträge gilt. So habe es der Senat auch dem Bund gesagt. Angesichts der realen Situation in Afghanistan ergebe es keinen Sinn, dass die befristete Aufenthaltserlaubnis für Af­gha­n:in­nen mit Abschiebeschutz erlösche, wenn sie einen Asylfolgeantrag stellen.

Der Senat könne die Sorgen in der afghanischen Community gut nachvollziehen. „Da Bremen aber nach dem Verteilungsschlüssel gerade mal für ein Prozent der Afghanen zuständig ist und es sich zudem um bundesgesetzliche Regelungen handelt, müsste zwingend eine Einigung der rechtlichen Auslegung auf Bundesebene erfolgen“, sagt Gerdts-Schiffler. Um die bemühe sich der Senat aktuell „auf Hochdruck“.

Die Behauptung, es müsste erst eine Einigung auf Bundesebene geben, hält Dieckmann für Quatsch. Dafür reiche eine Verwaltungsanweisung des Senators, das Gesetz wörtlich auszulegen. Einen solchen Erlass gibt es im Land Berlin bereits seit Längerem. So wie dort könne es auch der Bremer Innensenator regeln, findet Dieckmann.

Gerdts-Schiffler widerspricht. Da es eine bundesgesetzliche Regelung sei, gebe es keinen Ermessensspielraum. Der Berliner Erlass sei rechtlich zweifelhaft.

Dieckmann findet es merkwürdig, dass Bremen nicht die „falsche“ Auslegung einiger anderer Bundesländer bemängelt, sondern die aus Berlin, der es sich vermeintlich anschließt. „Dass der Innensenator rumdruckst und beim gerade abgewählten BMI um Erlaubnis fragen möchte, ob er eine Meinung zu Entscheidungen seiner Behörde haben darf, mag ja unterhaltsam sein, es ist aber auch unwürdig“, urteilt er.

Auch Sofia Leonidakis von der Bremer Linksfraktion hält den Berliner Erlass für eine gute Lösung. Schließlich sei er bisher unangefochten. Die Frist für Asylfolgeanträge, die am 15. November gewesen wäre, ist zwar vom Europäischen Gerichtshof ausgesetzt worden, doch diese Info habe noch nicht alle Betroffenen erreicht. Sie stünden unter Druck, jetzt einen Antrag zu stellen. Deshalb bräuchten sie schnell und unkompliziert Sicherheit. Außerdem zweifelt sie an der Entscheidung des Bundesinnenministeriums, sollte sie noch unter Seehofer getroffen werden.

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