Eskalation in Äthiopien: Das Scheitern des Abiy Ahmed

Der Friedensnobelpreisträger hat sich gründlich entzaubert. Er stützt sich auf eine gewalttätige politische Kultur, um seine eigene Haut zu retten.

Abiy Ahmed, Ministerpräsident von Äthiopien, trägt sich im «Nobelprotokoll» ein

Durfte sich 2019 ins „Nobelprotokoll“ eintragen: Äthiopiens Premier Abiy Ahmed Foto: Tore Meek/dpa

Genau ein Jahr ist es her, dass der Bruch zwischen Äthiopiens jungem Reformpremier Abiy Ahmed und der seit Jahrzehnten in Politik und Militär dominanten alten Garde der Tigray-Volksbefreiungsfront TPLF das Land mit über 110 Millionen Einwohnern in den Krieg stürzte. Was die äthiopische Regierung damals als schnelle und unblutige Antiterroroperation darstellte, hat sich, wie die meisten Militäroperationen dieses Namens, in das Gegenteil verwandelt: Der Krieg dauert lange, er ist sehr opferreich, er zerreißt das Land.

Tigrays Bevölkerung ist Opfer einer Hungerblockade seitens der äthiopischen Zentralmacht, aber die zur Rebellenarmee mutierte TPLF ist auf dem Vormarsch und treibt die äthiopische Armee vor sich her. Es wäre erstaunlich, wenn Abiy Ahmed noch das Jahresende im Amt erlebt; manche Prognosen geben ihm nur noch wenige Wochen oder gar Tage, bevor seine Macht zusammenbricht.

Nie in der Geschichte hat sich ein Friedensnobelpreisträger – Abiy ­Ahmed erhielt diese höchste Auszeichnung vor nicht einmal zwei Jahren – so schnell und gründlich entzaubert. Äthio­pien ist heute ein Land, in dem ethnischer Hass und Verteufelung zum Mainstream des politischen Diskurses gehören; in dem die Kriegsparteien schwerste Vorwürfe bis hin zum Völkermord gegeneinander erheben, zugleich hemmungslos lügen und die Bevölkerung aufeinander hetzen.

All diese finsteren Seiten der historisch gewalttätigen politischen Kultur Äthiopiens sollte Abiy Ahmed überwinden, als er 2018 das mächtigste Staatsamt übernahm. Er hat das nicht nur nicht geschafft, sondern stützt sich jetzt selbst darauf, um seine Haut zu retten.

Abiy Ahmed ist sicher kein blutrünstiger Gewaltherrscher, für den sich Erfolg an der Höhe seiner Leichenberge misst. Für Abiy ist die Verrohung Äthio­piens unter seiner Warte und der Absturz in den Krieg kein Erfolg, sondern ein Scheitern. Das ändert aber nichts am Ergebnis. Seine Tage sind gezählt. Er kann jetzt noch selbst bestimmen, wie viele Tage es noch sind und was danach aus ihm wird. Aber bald werden es andere tun.

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