Flüchtlingskonflikt mit Belarus: Bundespolizei soll an Polens Grenze

Was tun mit immer mehr Flüchtlingen aus Belarus? Innenminister Seehofer will die Bundesbehörden einschalten, die EU den Druck auf Minsk erhöhen.

eine Frau mit kleinen Kindern sitzt in einem offenen Lastwagen

Geflüchtete aus dem Irak wurden von der polnischen Grenzpolizei aufgegriffen und verhaftet Foto: Kacper Pempel/reuters

BERLIN taz | Atmosphärisch sind Deutschland und Polen wegen des EU-Rechtsstreits gerade auf Distanz wie lange nicht. Im Flüchtlingskonflikt aber übernahm Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) Warschaus Diktion: Man habe es „mit einer hybriden Kriegsführung“ durch Belarus und Moskau zu tun – fast dasselbe sagte kürzlich Jarosław Kaczyński, Chef von Polens Regierungspartei PiS.

Seit August registrierten die deutschen Behörden etwa 4.500 Menschen, die über Belarus und Polen kamen. Sie reisen vor allem aus dem Nahen Osten nach Minsk, seit Belarus keine Visa mehr verlangt und die Grenze zu Polen nicht mehr kontrolliert. Machthaber Lukaschenko versucht so offenbar, ein Ende der EU-Sanktionen gegen sein Land zu erzwingen.

Es ist ein starker Anstieg, aber an der Gesamtzahl der Ankünfte in Deutschland hat die Belarus-Route bislang nur einen kleinen Anteil: Bis Ende September stellten in Deutschland 100.278 Menschen einen ersten Asylantrag – davon kamen also nicht einmal 5 Prozent über Belarus.

Die Aufregung ist dennoch groß. Am Mittwoch befasst sich das Bundeskabinett mit der Lage. Bundesinnenminister Seehofer (CSU) will „Handlungsoptionen“ präsentieren. Die Bundespolizeigewerkschaft hatte temporäre Kontrollen an der Grenze vorgeschlagen. Dafür sind auch einige in der Unionsfraktion: Ohne Grenzkontrollen „nimmt man jeden Druck von Polen weg“, sagte der CDU-Innenexperte Alexander Throm der Augsburger Allgemeinen. Die Bundesregierung könne so auf Polen einwirken, Flüchtlinge nicht einfach durchzuwinken.

212 Rücknahmeanträge

Am Dienstag veröffentlichte das Bundesinnenministerium Zahlen zu den Überstellungen nach Polen. Deutschland stellte im August und September demnach insgesamt 212 Rücknahmeanträge, Polen stimmte in 128 Fällen zu. In diesen Monaten waren rund 2.900 Menschen aufgegriffen worden. Nach taz-Informationen sind rund ein Viertel der in Deutschland Ankommenden in Polen registriert worden.

Dem Vernehmen nach hatte die Bundesregierung ihren Polen-Beauftragten Warschau Hilfe bei der Grenzsicherung im Osten anbieten lassen. Doch Polen lehnt dies bislang ab und setzt lieber auf das eigene Militär sowie eine neue Miliz namens „Territorialverteidigung“. Derzeit sind im Grenzgebiet knapp 6.000 Soldaten im Einsatz.

„Hilfseinsätze“

Brandenburgs Innenminister Stübgen ist indes gegen eine Kontrolle oder gar Schließung der Oder-Neiße-Grenze. Diese würde „das tägliche Leben für zigtausend Deutsche und Polen in der Grenzregion enorm belasten“, sagte er. Gleichwohl habe er mit Seehofer „Hilfseinsätze“ der Bundespolizei vereinbart. Anders als sonst üblich soll die nicht nur „Erstkontrollen“ durchführen, sondern auch Coronatests, Sicherheitsüberprüfungen und die Erstversorgung übernehmen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge organisiert die Verteilung in andere Bundesländer.

Die EU will derweil den Druck auf Belarus erhöhen. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell sagte, es seien Sanktionen gegen die belarussische Airline Belavia geplant. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) forderte zudem „Sanktionen“ gegen weitere Fluggesellschaften, die Belarus beim Schleusen von Flüchtlingen in die EU unterstützen.

Das aber dürfte schwierig werden, seit Belarus praktisch alle Visa-Anforderungen aufgehoben hat. Jeder, der will, kann mit Turkish Airlines über Istanbul nach Minsk fliegen. Passagieren das Boarding nicht zu verweigern, weil sie vielleicht nach Polen weiterziehen, ist da kaum als „Schleuserei“ zu werten.

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Mehr Geschichten über das Leben in Belarus: In der Kolumne „Notizen aus Belarus“ berichten Janka Belarus und Olga Deksnis über stürmische Zeiten – auf Deutsch und auf Russisch.

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