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Flocke kann auch Kugel

Vom Armeleuteessen zum hippen Superfood: Hafer feiert ein kulinarisches Comeback, mit Nüssen und Früchten, als Riegel und Getränk, als Kuchen, Keks und Energiekugel

2021 wurden 814.300 Tonnen Hafer geerntet, 57 Prozent mehr als im Jahr 2019 Foto: David M. Skiba/mauritius images

Von Katja-Barbara Heine

Wer „vom Hafer gestochen“ ist, verhält sich aufgekratzt und sprüht vor Übermut. Ursprünglich stach der Hafer vor allem Pferde, möglicherweise, weil er früher ungeschält verfüttert wurde und schwer verdaulich war. Doch das Getreide soll auch eine aufputschende Wirkung auf die Tiere haben, seine vielen ungesättigten Fettsäuren sorgen für einen regelrechten Energieschub.

Auch für den Menschen ist Hafer ein wahres Superfood, das so ziemlich jedem Anspruch gerecht wird, den man an ein Lebensmittel heute haben kann: Hafer ist gesund, sättigend, laktosefrei, glutenarm oder sogar glutenfrei, preiswert, regional, nachhaltig und natürlich vegan. Kein Wunder, dass das Korn boomt: „Der Konsum von Haferflocken und anderen Lebensmitteln aus Hafer ist in den letzten zehn bis zwölf Jahren stark gestiegen“, sagt Richeza Reisinger von der Initiative „Hafer – Die Alleskörner“ des Verbands der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft. „Der Hafer-Hype ist auf das gestiegene Bewusstsein für Ernährung und daraus resultierende veränderte Essgewohnheiten zurückzuführen.“ Mit dem Haferbrei, der einst die Arbeiterklasse günstig satt machte, hat das Comeback wenig zu tun. Heute genießt man Hafer mit Früchten und Nüssen verfeinert als Porridge, als Overnight Oats (siehe Infokasten), als knuspriges Granola oder im Smoothie. Hafergerichte lassen sich schnell und ohne großen Aufwand zu Hause zubereiten, dürfen aber auch in der Gastronomie auf der Frühstückskarte nicht mehr fehlen.

Die Café-Kette Haferkater hat sich sogar komplett dem Hafer verschrieben. Das Berliner Start-up zeigt in landesweit zehn Filialen, was sich aus Hafer alles zaubern lässt: Morgens bietet cremiger Porridge mit verschiedenen Toppings eine gesunde Alternative zum Frühstücksbrötchen. Mittags kommt der fast vergessene Haferreis auf den Teller, für den roher Hafer zu reisartigen Körnern geschliffen wird. Und zum Kaffee gibt’s Kuchen, Kekse oder Energiekugeln – selbstverständlich aus Hafer. Die gesundheitsfördernde Wirkung des traditions­reichen Getreides ist wissenschaftlich gut erforscht: Das Haferkorn ist eine Nährstoffbombe mit komplexen, langkettigen Kohlenhydraten, pflanzlichem Eiweiß, ungesättigten Fettsäuren, Vitaminen und Mineralstoffen. Es enthält reichlich Eisen, Zink und Vitamin B und ergänzt somit auch eine vegane Ernährung auf ideale Weise. Hafer senkt den Cholesterinspiegel, lässt den Blutzuckerspiegel nur langsam ansteigen und kann Stoffwechselstörungen entgegenwirken.

Vermutlich wurde Hafer bereits in der Bronzezeit kultiviert und hatte später auf dem Speiseplan der Germanen seinen festen Platz. Im 17. Jahrhundert verdrängte ihn die Kartoffel, lange spielte Hafer nur noch eine kleine Nebenrolle. Doch seit einiger Zeit steigt das Interesse wieder – und neue Produkte erobern den Markt.

Klassiker ist immer noch die Haferflocke: Für die kernige Variante mit Biss werden ganze Haferkerne zu Flocken ausgewalzt. Für zarte Flocken zerkleinert man die Kerne vor dem Auswalzen. Lösliche Haferflocken werden aus gemahlenen Haferkernen hergestellt. Außerdem gibt es Haferkleie, -grütze, knusprige Hafercerealien, Porridge-Mischungen und Haferriegel. Und natürlich den Haferdrink. „Hier ist eine völlig neue Produktkategorie entstanden“, so Richeza Reisinger. „Haferdrink ist inzwischen die beliebteste Sorte unter den Pflanzendrinks. Und zunehmend wird Hafer auch in anderen Milch­ersatzprodukten eingesetzt.“

So erweitert etwa der schwedische Hersteller Oatly seine Produktpalette kontinuierlich: Neben zehn verschiedenen Haferdrinks – von aufschäumbarem Barista-Milchersatz bis hin zum fruchtigen Mango-Drink – stellt Oatly „Oatgurts“, Eiskrem, Brotaufstriche und Ersatzprodukte für Kochsahne, Schlagsahne, Crème fraiche und Vanillecreme auf Haferbasis her.

Einfacher geht es nicht: Haferflocken in Flüssigkeit einweichen, nach Belieben etwa Nüsse, Rosinen, Beeren, Kakao-Nibs oder Chia-Samen hinzufügen, über Nacht in den Kühlschrank stellen und am nächsten Morgen genießen. Ein gesundes Frühstück, das lange satt hält und sich auch gut zur Arbeit mitnehmen lässt. Overnight Oats halten im Kühlschrank zwei bis drei Tage.

Im Vergleich zu anderen Milchersatz-Quellen hat Hafer viele Vorteile: Er ist unkompliziert, mag ein gemäßigtes Klima und fühlt sich in unseren Breiten wohl. Für Hafer wird kein Regenwald abgeholzt, wie das bei Soja häufig der Fall ist. Er verbraucht auch nicht Unmengen von Wasser, wie die riesigen Mandel-Monokulturen in Kalifornien. Und er muss nicht um die halbe Welt transportiert werden, bis er hierzulande im Supermarktregal landet.

Außerdem schont und regeneriert er die Ackerböden: Hafer gilt als „Gesundungsfrucht“. Seine starken Wurzeln kommen mit fast jedem Boden zurecht, er lässt Unkraut wenig Platz zum Wachsen, ist nicht krankheitsanfällig und muss nur wenig gedüngt werden. Derzeit deckt die hiesige Ernte nur einen Bruchteil des Haferbedarfs deutscher Mühlen, der Großteil muss aus Skandinavien oder Polen importiert werden. Doch die Anbaufläche in Deutschland wird ausgedehnt: In den letzten zwei Jahren sind gut 50.000 Hektar hinzugekommen, ein Plus von 40 Prozent. Auf rund einem Drittel davon wächst Bio­hafer. 2021 wurden 814.300 Tonnen Hafer geerntet – 57 Prozent mehr als in 2019.

Der Klimawandel und neue Gesetze, etwa die Düngeverordnung, stellen die Landwirtschaft vor große Herausforderungen. Hafer könnte hier ein sinnvoller und auch wirtschaftlich interessanter Lösungsbaustein sein. Und eine blühende Zukunft haben.