Irakische Parlamentswahl: Wahlen ohne Nachwuchs

Die Ergebnisse der irakischen Parlamentswahl lassen keine maßgeblichen Reformen erwarten. Einzig der iranische Einfluss nimmt ab.

Der iranische Wahlsieger Muktada al-Sadr mit Turban und weißem Vollbart vor iranischer Flagge

Wahlsieger Muqtada al-Sadr braucht Partner für eine regierungsfähige Koalition Foto: Alaa al-Marjani/reuters

Noch sind die Stimmen hier im Irak nicht komplett ausgezählt. Aber es gibt mehrere Dinge, die jetzt schon klar sind. Die vorgezogenen Parlamentswahlen waren vor zwei Jahren von der jungen irakischen Protestbewegung eingeklagt worden in der Hoffnung, endlich mit Reformkandidaten neuen Wind ins Parlament in Bagdad zu bringen. Nun lag die Wahlbeteiligung mit 41 Prozent so niedrig wie noch nie, seit nach dem Sturz Saddam Husseins im Land gewählt werden darf.

Und es waren vor allem die jungen Wähler, die den Urnen fernblieben. Offensichtlich haben die den Glauben daran verloren, mit diesen Wahlen effektiv gegen Korruption und Misswirtschaft vorgehen zu können. Das liegt vor allem daran, dass es die Protestbewegung nicht geschafft hat, sich politisch für diese Wahlen in Parteien zu organisieren. Der neue Wind im irakischen Parlament wird bestenfalls ein kleines Lüftchen.

Denn die alten Gesichter der irakischen Politik werden auch die neuen sein. Es sind vor allem wieder die alten traditionellen konfessionellen schiitischen Blöcke, die gewonnen haben. Aber hier gibt es eine wichtige Verschiebung. Die schiitischen Parteien, die direkt mit dem Iran verbunden sind, sind die großen Verlierer dieser Wahlen. Stattdessen hat der schiitische geistliche Politiker Muqtada al-Sadr mit seiner Partei dazugewonnen.

Al-Sadr trat mit dem Versprechen an, eine vom Iran und anderen ausländischen Mächten unabhängigere Politik zu verfolgen. Offensichtlich wollen die irakischen Wähler und Wählerinnen – auch die schiitischen – weniger Einmischung aus Teheran. Ob al-Sadr am Ende wirklich liefert, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass er zwar die größte Partei stellt, trotzdem aber nicht allein die künftige Politik des Landes bestimmen wird. Er braucht Koalitionspartner. Denkbar sind die sunnitischen Parteien oder die Kurden.

Möglich ist auch, dass am Ende einige der unabhängigen Reformkandidaten das Zünglein an der Waage sein werden. Denn al-Sadr hat sich zumindest nominell auch das Wort „Reform“ auf seine Fahnen geschrieben. Das Schachern geht jetzt erst richtig los. Der Koalitions-Basar in Bagdad ist eröffnet. Es kann Wochen oder Monate dauern, bis die neue Koalition steht.

Es ist kompliziert, aber es bedeutet auch, dass alle Parteien aus ihrer konfessionellen und ethnischen Ecke herauskommen müssen. Und das ist vielleicht der spürbarste Fortschritt, bis die US-Truppen auch dieses Land verlassen werden.

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Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)

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