Friedenspreis des Deutschen Buchhandels: „Handeln kommt aus der Hoffnung“

Frauen müssen bei Tsitsi Dangarembga gegen eine doppelte Unterdrückung ankämpfen: patriarchale Strukturen und rassistische Unterjochung.

Die Autorin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga lächelt in die Kamera. Sie bekommt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2021

„Ich finde, dass das Schreiben mich wollte und nicht umgekehrt.“ Tsitsi Dangarembga Foto: Hannah Mentz

Als Tsitsi Dangarembga 1959 im südlichen Afrika geboren wurde, hieß ihre Heimat noch Südrhodesien und war britische Kronkolonie. Doch die Familie, in die sie hineingeboren wurde, war bereits außergewöhnlich. Ihre Mutter war die erste schwarze Frau, die im Land einen Hochschulabschluss absolviert hat – ein Meilenstein der Gleichstellung und Emanzipation, der die spätere Filmemacherin Tsitsi Dangarembga zutiefst geprägt haben muss.

Prägend war wohl auch ihre frühe Kindheit, die sie in England verbrachte, wo sie als schwarzes Mädchen zur Schule ging. Deswegen bezeichnet sie bis heute Englisch als ihre Muttersprache und nicht ihre Heimatsprache Shona, die sie erst in Afrika zu sprechen begann.

Die Familie kehrte 1965 zurück, als sich Rhodesien einseitig für unabhängig erklärte. Damals herrschte Aufbruchstimmung in den ehemaligen Kolonien des Kontinents. Die schwarze Bevölkerung begann, gegenüber den ehemaligen Kolonialherren ihre Rechte einzufordern. In jener spannungsreichen Zeit besuchte die junge Tsitsi eine elitäre Sekundarschule in der heutigen Hauptstadt Harare, die damals noch Salisbury hieß. In ihrer Klasse waren fast nur weiße Mädchen. Sie war von Beginn an eine Einzelgängerin.

Nach ihrem Schulabschluss zog es Dangarembga erst einmal nach England zurück. Sie begann an der Universität Cambridge mit einem Medizinstudium – und schmiss es nach drei Jahren. Angeblich hat sie sich an der Uni isoliert gefühlt, wie bereits in den Schulen zuvor. Als schwarze Frau war sie ein Sonderling im britischen, elitären Bildungssystem.

Rebellion gegen die Rolle

Doch jetzt war sie alt genug, gegen diese Rolle zu rebellieren und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Zurück in Simbabwe, arbeitete sie kurzzeitig als Lehrerin und begann dann ein Studium der Psychologie an der Universität in Harare. Ihre tatsächliche Leidenschaft entwickelte sie jedoch in den Theaterklassen an der Uni.

Auch hier traf sie auf eine Atmosphäre, die nach Veränderung schrie, wie sie später beschreibt: „Es gab einfach keine Theaterstücke mit Rollen für schwarze Frauen, oder zumindest hatten wir damals keinen Zugang dazu. Die Schriftsteller in Simbabwe waren zu der Zeit hauptsächlich Männer. Ich sah wirklich nicht, dass sich die Situation ändern würde, es sei denn, eine Frau setzte sich hin und schrieb etwas, also habe ich das getan!“

Tsitsi Dangarembga war keine 25 Jahre alt, als ihr der literarische Durchbruch gelang mit ihrem Werk „Nervous Conditions“, das autobiografisch angelegt war und das sie später zu einer Trilogie erweiterte. Darin geht um das Schicksal zweier junger afrikanischer Mädchen, Tambudzai (genannt Tambu) und deren Kusine Nyasha, die in den 1960er Jahren auf einer Farm in Rhodesien unter ärmlichen Bedingungen aufwachsen.

Doppelte Unterdrückung

Vor dem Hintergrund des Unabhängigkeitskampfes auf dem Kontinent erfahren die jungen Mädchen zunächst eine doppelte Unterdrückung: die der patriarchalen Strukturen der Kultur der Shona und die rassistische Unter­jochung durch die Weißen.

Durch Zufall bekommen die jungen Mädchen eine Chance auf Bildung – und sind dadurch in der Lage, sich zu behaupten. Sie rebellieren gegen das System. Doch wie der Titel des Buches verrät, geht das Aufbegehren einher mit körperlichem Leiden:

Nyasha, die wie die Autorin selbst mit ihren Eltern einige Jahre in England verbracht hat, wird magersüchtig. Sie trägt Miniröcke und benutzt Tampons – was als „unafrikanisch“ gilt. Am Ende besuchen die Mädchen eine Schule nur für Weiße und überwinden somit die damals festgezimmerten Hierarchien von Klasse, Rasse und Geschlecht.

Bereits als Schulkind, so berichtete Dangarembga einst im Interview, wollte sie Bücher schreiben und Filme produzieren. Es war quasi eine Berufung, meint sie: „Ich finde, dass das Schreiben mich wollte und nicht umgekehrt.“

Schwierige Emanzipation

Nicht nur Dangarembgas Romanheldin, sondern auch ihre eigene Biografie stehen sinnbildlich für eine schwierige und oft qualvolle Emanzipation. Denn sie war die erste schwarze Frau in Simbabwe, die schließlich einen Roman herausbrachte, der damals zunächst von vier Verlagen in Simbabwe abgelehnt worden war.

Er erschien 1988 zuerst im feministischen Verlag The Women’s Press in London, später in den USA und schließlich auch in Simbabwe. Er wurde in viele Sprachen übersetzt: „Aufbrechen“ heißt der Titel in der deutschen Übersetzung. Später wird ihre Trilogie von der BBC als eines der wichtigsten Werke des Jahrhunderts bezeichnet.

Mit dem Roman gelang der jungen Autorin ihr eigener Auf- und Durchbruch. 1989 erhielt sie den Commonwealth-Literaturpreis für die Region Afrika – und gilt seither als eine der radikalsten weiblichen Stimmen des Kontinents. Im selben Jahr verschlägt es sie nach Deutschland, an die Film- und Fernsehakademie in Berlin, wo sie Regie studiert.

1992 gründet sie die Produktionsfirma „Nyerai Films“. In ihren Spiel- und Dokumentarfilmen zieht sich das Motiv ihrer Romane fort: die Emanzipation der Frau und die körperliche Qual der Unterdrückung, die es zu überwinden gilt.

Von Deutschland nach Simbabwe

Mit dem Rüstzeug der europäischen Bildung und einem Netzwerk an Kontakten kehrte sie im Jahr 2000 mit ihrem deutschen Mann, ebenfalls Filmemacher, und den gemeinsamen Kindern nach Simbabwe zurück. In dem Land herrschte keine Aufbruchstimmung mehr, im Gegenteil.

Die von der Bevölkerung lang ersehnten Land- und Verfassungsreformen, die den Simbabwern endlich ihre Unabhängigkeit und ihre Rechte gegenüber den weißen Großfarmern garantieren sollten, endeten im Chaos. Das Regime unter Langzeitpräsident Robert Mugabe begann seine Zähne gegen Oppositionelle und Regierungskritiker zu fletschen. Die Landreform verwandelte die einstige „Kornkammer Afrikas“ in ein Land voller Hungersnöte und Hyperinflationen.

Auch sie selbst, obwohl mittlerweile international erfolgreich, hat mit finanziellen Problemen zu kämpfen. „Mein Büro habe ich im eigenen Haus“, berichtete sie damals einer deutschen Zeitung im Interview: „Fünf junge Leute, mein Mann und ich, wir alle arbeiten in einer Garage, die mein Mann umgebaut hat. Es ist schwierig, die Mittel zusammenzukriegen, um meine jungen Leute zu bezahlen.“

Images Film Festival for Women

Vor diesem Hintergrund hat ­Dangarembgas Wirken in ihrer Heimat eine hohe Bedeutung. Sie gibt den Frauen in Simbabwe eine Stimme, denn sie gründet im Jahr 2000 den Verband für weibliche Filmemacherinnen in Simbabwe und ruft 2002 das International Images Film Festival for Women ins Leben, das seitdem jährlich in Harare stattfindet.

„Wenn ihr wollt, dass euer Leiden aufhört, müsst ihr handeln“, hat Dangarembga einmal erklärt. „Handeln kommt aus der Hoffnung.“ Dieses Motto zieht sich in ihren weiteren Büchern fort. Denn sie hat sich förmlich das Leiden, das ihr als junges Mädchen in einer patriarchalischen afrikanischen Gesellschaft, geprägt von rassistischen und geschlechterspezifischen Hierarchien, angetan wurde, von der Seele geschrieben – und diesen Prozess wunderbar in ihren Romanen und Filmen widergegeben.

18 Jahre nach ihrem Debütroman setzte sie die autobiografisch angehauchte Geschichte um das simbabwische Mädchen Tambu fort. Dieses Mal spielt der Roman in den 1970er Jahren, vor dem Hintergrund des Freiheitskampfes in Dangarembgas Heimat. „The Book of Not“ (Das Buch der Verneinungen) heißt der zweite Teil.

In ihm geht es um die Unterdrückung, die das schwarze Mädchen Tambu in ihrem weißen, katholischen Internat erfährt. Dabei ist sie klug und intelligent und hat alle Chancen auf eine Karriere. Sie ist getrieben von Hoffnung.

Trilogie vollendet

Weitere 12 Jahre später vollendet Dangarembga schließlich die Trilogie, vor dem Hintergrund des kompletten wirtschaftlichen Verfalls ihres Landes. „This Mournable Body“ (Dieser beklagenswerte Körper) heißt der Band im Original. „Überleben“ lautet der deutsche Titel, der im Orlanda Verlag Berlin herausgekommen ist.

Der vielversprechende Weg Tambus hat eine jähe Wende genommen. Obwohl gut ausgebildet, hat sie nichts aus ihrem Leben gemacht und lebt, mittlerweile im mittleren Alter, heruntergekommen in der Hauptstadt Harare.

Sie leidet an Wahnvorstellungen und endet in der Psychiatrie. In ihrem Wahn begegnet ihr eine Hyäne, die ihren verwesenden Körper fressen will: „Du bist falsch gebaut. Du wirst zerlegt“, heißt es in dem Roman: „Die Hyäne lacht-heult über diese Zerstörung. Sie kreischt wie ein wahnsinniger Geist, der Boden unter dir löst sich auf.“

„Es war nicht wirklich meine Absicht, die Nation widerzuspiegeln. Ich denke, bei einer solchen Geschichte war dies unvermeidlich“, erklärte Dangarembga über die Parallele zum Zustand ihres Heimatlandes, die sich im verfallenen Körper und Geisteszustands Tambus widerspiegelt. Dieser letzte Teil der Trilogie landete 2020 auf der Shortlist des Booker-Preises.

Im Fadenkreuz des Regimes

Durch ihre Arbeit und ihre internationale Aufmerksamkeit gerät Tsitsi Dangarembga zu Hause immer mehr in das Fadenkreuz des korrupten, diktatorischen Regimes in Simbabwe. Obwohl Präsident Mugabe 2017 durch einen Quasi-Putsch abgelöst wurde, ändern sich die Verhältnisse nicht. Als im Jahr 2020 zahlreiche Korruptionsskandale im Rahmen der Coronapandemie ans Licht kommen, ruft Dangarembga, mittlerweile 61 Jahre alt, gemeinsam mit weiteren Oppositionellen und Regierungskritikern zum Protest auf. Dabei wird sie verhaftet und später wegen mutmaßlicher Anstiftung zur Gewalt angeklagt.

Im Interview mit dem britischen Sender BBC gibt sie sich nervös. „Ich mache mir Sorgen um meine Sicherheit. Es wäre naiv, dies nicht zu tun“, sagt sie, „weil wir ein sehr repressives Regime haben.“

Dangarembgas zahlreiche Auszeichnungen, die sie in diesem Jahr erhält, sind somit mehr als nur eine Ehrung einer einzelnen Frau, sondern sollen ihr auch Schutz und Anerkennung für ihren Freiheitskampf geben. Im Januar erhielt sie den Pen Interna­tio­nal Award for Freedom of Expression, im Juni den Pen Pinter Prize für ihr Gesamtwerk, und jetzt wird sie zum Ende der Frankfurter Buchmesse den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen.

„Eine weithin hörbare Stimme Afrikas“

In der Begründung der Jury heißt es: „In ihrer Romantrilogie beschreibt Tsitsi Dangarembga am Beispiel einer ­heranwachsenden Frau den Kampf um das Recht auf ein menschenwürdiges Leben und weibliche Selbstbestimmung.“ Sie sei deswegen nicht nur „eine der wichtigsten Künstlerinnen ihres Landes“, sondern auch „eine weithin hörbare Stimme Afrikas in der Gegenwartsliteratur“.

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Dass eine afrikanische Autorin, deren Werke in Deutschland beim winzigen Orlanda Verlag in Berlin erschienen sind, der sich auf Gleichstellung der Geschlechter und gegen Rassismus fokussiert, den diesjährigen Friedenspreis bekommt, ist lange überfällig. In der deutschen Literaturszene spielt der Nachbarkontinent Afrika bislang nur eine minimale Rolle. Es besteht nun Hoffnung, dass sich dieses ändert, denn der Freiheitskampf der afrikanischen Frauen, den Dangarembga in ihren Werken immer wieder zum Thema macht, bietet auch den deutschen Lesern viel unbekannten Stoff.

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