Nachhaltigkeits-Standard der EU: Atomkraft wird grün gewaschen

Mit der EU-Taxonomie soll Europas Wirtschaft ökologischer werden. Doch nun plant die Kommission, auch Gas und Atomkraft als „nachhaltig“ einzustufen.

Dampf steigt in einer dunstigen Landschaft aus einem Kühlturm.

Kühlturm des Atomkraftwerks Neckarwestheim, welches Ende 2022 stillgelegt wird Foto: Bernd Weißbrod/dpa

BERLIN taz | Noch vor Bildung der neuen Ampel-Regierung in Deutschland könnte Europa wichtige klima- und energiepolitische Weichen stellen. Denn schon im November will die EU-Kommission entscheiden, ob sie auch Energie aus Atomkraft und Gas als „nachhaltig“ einstuft. Mit Ursula von der Leyen hat diese Lesart eine prominente Fürsprecherin bekommen: Auf dem jüngsten EU-Gipfel sprach sich die Kommissionspräsidentin dafür aus, die beiden fossilen Energieträger als „nachhaltige Investitionen“ einzustufen, weil sie als Brückentechnologie notwendig seien.

Hintergrund der Debatte ist die neue EU-Verordnung zur Taxonomie; sie stellt eine Art Nachhaltigkeitslabel dar, das die EU auf den Weg zur Klimaneutralität 2050 bringen soll. Zukünftig werden sich sowohl Banken als auch Klein­an­le­ge­r:in­nen nach dem EU-Standard richten. Die Taxonomie gilt als wichtiges Instrument, Geld aus klima- und umweltschädlichen Unternehmen heraus, in nachhaltige Unternehmen umzuleiten. Im November will von der Leyen eine entsprechende Vorlage vorlegen

Die EU-Taxonomie feuert einen alten Streit in der Europäischen Union wieder an. Frankreich deckt noch über 70 Prozent seines Energiebedarf mit Atomstrom, der höchste Wert weltweit. In Ländern wie Deutschland oder Österreich hingegen gilt das Thema „Atom“ hingegen bislang als abgehakt. „Deutschland darf keinen Deal eingehen“, sagt Laura Niederdrenk vom WWF. Und die österreichische Klimaschutzministerin Leonore Gewessler wettert, es könne nicht sein, „dass die Zukunft unserer Kinder den Interessen der Atomlobby geopfert wird.“

Dabei hat die EU das Konfliktthema Energie von der eigentlichen Taxonomie mit ihren sechs Kriterien ausgelagert. Die ersten beiden zu Klimaschutz und Anpassung an die Klimakrise stehen seit Oktober 2021 fest. Vier weitere zur Kreislaufwirtschaft, Biodiversität, Vermeidung von Umweltverschmutzung und Nachhaltigkeit beim Wasser zurrt die EU 2022 fest. Wie bei vielen EU-Entscheidungen lebt auch die Taxonomie vom Kompromiss. Kein Kriterium darf einem anderen „signifikanten Schaden“ zufügen. Ein Beispiel ist das Tesla-Werk in Brandenburg.

Ist Tesla nachhaltig?

„Das mag für sich nachhaltig sein, weil es Elektromobilität fördert“, sagt Max Krahé vom Dezernat Zukunft. Der Thinktank befasst sich mit progressiver Wirtschaft. „Werden die Autos, die Herr Musk in seinem Werk baut, mit Kohlestrom aufgeladen, sieht es schon wieder ganz anders aus.“ Zu 100 Prozent wird sich auch mit einer Taxonomie nicht bestimmen können, was nachhaltig ist. „Die EU-Taxonomie ist schon ein Husarenstück“, sagt Krahé. Er sieht sie als Haken, an dem man andere Maßnahmen hängen kann. In weiter Ferne könnte stehen, Kredite nur noch an nachhaltige Firmen und Projekte zu stellen.

Eine andere Möglichkeit: Steckt eine Bank ihr Geld in umweltverschmutzende Geschäfte, muss sie für diese Investitionen eine Eigenkapitalquote von 50 oder 100 Prozent vorweisen. „Läuft ein dreckiges Geschäft schief, weil es in 10 Jahren wegen der verschärfenden Klimakrise oder -politik nicht läuft, muss der Staat nicht haften, sondern die Bank mit ihrem Eigenkapital“, sagt Krahé. Die EU-Taxonomie könnte so Gewissheit für Investoren schaffen.

Überhaupt ist das vielleicht das Wichtigste an der Taxonomie: Sicherheit für Geldgeber, wohin grünes Geld fließen kann. „Viele am Markt werden sich an der Taxonomie als Goldstandard für nachhaltiges Wirtschaften orientieren“, sagt der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold. Eine Erhebung der schwedischen SEP-Bank zeigt, was noch vor der Finanzbranche liegt. Nur drei Prozent der Umsätze der Unternehmen auf dem Europäischen Markt Index sind bisher taxonomiekonform. „Wir rechnen damit, dass mehr und mehr Gelder der Taxonomie entsprechen“, sagt eine SEP-Sprecherin.

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