Zeuge von Polizeimaßnahme vor Gericht: Besser gar nicht hinschauen

Werner P. wollte Polizeigewalt bezeugen – jetzt ist der Hamburger wegen Verleumdung angeklagt. Einmischung in Polizeiaktionen wird so kriminalisiert.

Drei Bundespolizisten im Einsatz; sie laufen offenbar durch einen Bahnhof

Vielleicht künftig besser nicht ansprechen: Bundespolizisten im Einsatz Foto: Andreas Arnold/dpa

BREMEN taz | Werner P. hat Zivilcourage gezeigt: Als der Journalist gesehen hat, wie einem Menschen aus seiner Sicht heraus Unrecht geschehen ist, ist er auf ihn zugegangen und hat sich als Zeuge angeboten. So könnte man die Geschichte sehen.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg sieht sie anders. P. steht aktuell im Amtsgericht St. Georg vor Gericht, doch nicht als Zeuge für den Vorfall, sondern selbst als Angeklagter. Denn laut Staatsanwalt hat er versucht, eine Polizeikontrolle zur Überprüfung von Personalien „zu stören“. Und dann, das ist der eigentliche Vorwurf, habe er auch noch eine Verleumdung in die Welt gesetzt.

Um zu verstehen, was passiert ist, kann man zurückgehen zu einem Samstagabend, Mitte Februar 2020. P. war den Tag über als Journalist auf einer Demo in Neumünster, wo gegen ein Nazikonzert protestiert worden war. Nun, gegen zwanzig vor neun, kommt er wieder am Hamburger Hauptbahnhof an. Als er den Bahnsteig an Gleis 12 entlanggeht, sieht er eine Gruppe Menschen aus seinem Zug, die von der Polizei aufgehalten wird; so weit stimmen die Schilderungen überein.

Ein Mann wird auf den Boden befördert

Er sieht, so erzählt P. weiter, wie einer aus der Gruppe zu Boden geht, „unter Einwirkung von Polizeihandeln“, wie P. heute vorsichtig formuliert. „Einer aus der Gruppe“, das ist G., der ebenfalls als Journalist auf der Demo gewesen war. „Ich habe gespürt, wie ich sehr unsanft auf den Boden katapultiert wurde“, erinnert sich G. gegenüber der taz, „das ging alles ganz schnell.“

„Ich bin dann hingegangen, habe meinen Presseausweis gezeigt und gefragt, was dieses Polizeihandeln soll“, erzählt P. Die Polizei habe ihm zu verstehen gegeben, dass er verschwinden solle. „Ich habe gesagt, dass ich nicht verschwinde, weil ich in der Berichterstattung bin“, so P.

Und dann? „Dann soll ich dem Betroffenen so was gesagt haben, wie,Die haben dich doch geschlagen',“sagt P. Und das wiederum bewertet die Staatsanwaltschaft heute als Verleumdung, als „unwahre Tatsache“ also, die geeignet sei, das Ansehen der Polizisten zu schädigen, und diese „unwahre Tatsache“ habe P. „wider besseren Wissens verbreitet“.

Opfer von Polizeigewalt werden oft verklagt – aber Zeugen?

Opfer von Polizeigewalt kennen die Situation, dass auf eine Anzeige häufig eine Gegenanzeige folgt. „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ ist der Vorwurf aus dem Strafgesetzbuch, der in solchen Fällen gern bemüht wird. Zeu­g*in­nen von Polizeihandeln werden regelmäßig am Filmen gehindert mit Verweis auf die „Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes“. Dass Zeu­g*in­nen selbst eine Anklage erwartet, ist allerdings bisher nicht der Normalfall.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg kann zu dem konkreten Fall nichts mehr sagen – der liegt schließlich mittlerweile in den Händen des Gerichts. Sprecherin Liddy Oechtering äußert sich aber allgemein. „Dass Zeugen sich irren, kommt in Prozessen ständig vor“, sagt sie. „Für einen Verleumdungsvorwurf reicht das aber noch nicht.“ Hinzu kommen muss die Absicht zur Lüge: „Für ein Verfahren muss die Anklage davon ausgehen, dass jemand bewusst vorsätzlich gelogen hat.“

Genau das hält P.s Anwältin, Daniela Hödl, für sehr fragwürdig. Eigentlich hatte sie sich deshalb gute Chancen ausgerechnet, dass der Vorwurf noch in der Verhandlung am Donnerstag ausgeräumt werden könne. Schließlich gebe es Videomaterial – und das zeige deutlich, dass der Journalist G. von mehreren Beamten gepackt und zu Boden gerissen worden sei. Einer habe ihm dabei eine Art Stoß versetzt.

Eine „unwahre“ Aussage – oder eine ungenaue

Das Gericht ließ sich davon nicht überzeugen. Ein weiterer Verhandlungstag im November soll Klärung bringen, vermutlich wird G. als Zeuge geladen. Was dabei zusätzlich geklärt werden kann, ist für Hödl nicht ganz ersichtlich. Dass P.s Aussage „unwahr“ sei, könnte mit dem Video bereits aus der Welt sein, findet sie. „Sollte es jetzt wirklich um den Unterschied zwischen Schlagen und Stoßen gehen?“, fragt die Anwältin. „Dann ist doch die Frage, ob das bereits eine unwahre Tatsache ist – oder nur ungenau ausgedrückt.“

Auch weitere Gründe sprechen für sie gegen eine Straftat. Laut Anklage soll P. zu G. gesagt haben: „Ich habe gesehen, wie er dich geschlagen hat.“ Hödl: „Die Person weiß doch selbst, ob sie geschlagen wurde oder nicht.“ Die Verbreitung „falscher Tatsachen“ könne so kaum gegeben sein. Die Staatsanwaltschaft konkretisiert in ihrem Strafbefehl allerdings auch zusätzlich, die Aussage sei „für anwesende Passanten vernehmbar“ gewesen.

Einmischung wird kriminalisiert

Für die Anwältin steckt hinter der Anklage etwas anderes als die Angst vor der Verbreitung falscher Tatsachen. „Es wird hier versucht, jegliche Frage, jegliche Einmischung in polizeiliche Maßnahmen zu kriminalisieren“, sagt sie. Der Zeuge von der Polizei habe in der Verhandlung immer wieder betont, dass P. den Einsatz gestört habe. Auch in der Anklageschrift ist das zu lesen. „Es wird also schon als störend empfunden, wenn jemand auf die Polizei zugeht und sie anspricht. Das soll in Zukunft verhindert werden.“

Irritiert ist die Anwältin auch, dass der Fall nicht nur angezeigt, sondern auch als relevant genug für eine Verhandlung eingestuft wurde. „Es gibt viele Vorfälle, die rechtlich einen Straftatbestand erfüllen“, sagt sie. „Aber ob die dann wirklich verfolgt werden, ist eine andere Sache. Ich vermute mal, hätte ich eine ähnliche Anzeige aufgegeben, wäre die nicht vor Gericht gelandet.“

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