Oberammergau des Nordens: Der Nazi im Gemäuer

Die Freilichtbühne Stedingsehre bei Oldenburg sollte zum Kultort der NSDAP werden. Dann wurde sie vergessen.

Durch eine Luke auf dem Bühnenboden sieht man den Kopf von Hitler

Die Nazizeit lugt bei der Freilichtbühne Stedingsehre aus allen Ritzen hervor Foto: Sebastian König

Das Verbotsschild an der offenen Pforte ist erst auf dem Rückweg so richtig sichtbar, und da ist es längst egal. Dass man nämlich nichts zu suchen hat auf der verlassenen „Stedingsehre“, hatte längst das mulmige Gefühl bezeugt – und das misstrauische Glotzen der Schafe.

Knöcheltief im Laub schlummert hier hinter Oldenburg ein Geisterdorf aus reetgedeckten Fachwerkhäusern. Der menschenleere Weiler scheint sonderbar entrückt: Für historische Überreste sind die Häuser zu jung, für einen musealen Nachbau hingegen die Bäume zu hoch und das Gestrüpp zu dicht.

Begrenzt wird die Siedlung durch einen Graben – ein Halbkreis wie mit dem Zirkel gezogen –, hinter dem sich der Blick in die niedersächsische Weite am dunkelroten Backstein bricht: Das Dorf steht auf einer Theaterbühne, von der man hügelaufwärts in die überwucherten Sitzreihen eines Publikums blickt, das schon lange nicht mehr kommt.

Der Naziort

Die Nazis hatten das Freilichttheater Stedingsehre gleich in den ersten Jahren ihrer Herrschaft bauen lassen. Die begann im Oldenburgischen etwas ­früher als im übrigen Deutschland, weil die NSDAP hier bereits bei den Landtagswahlen 1932 eine absolute Mehrheit erlangte. Auch darum hatte Reichsstatthalter Carl Röver die Hände frei für sein „Oberammergau des Nordens“, gebaut für das Kreuzritterstück „De Stedinge“ von Heimatdichter August Hinrichs.

Wahrscheinlich liegt die unterschwellige Unruhe dieses Ortes daran, wie sich das idyllische Klein-Klein der hübsch-historischen Häuschen am monumentalen Gesamtbild reibt. Oder daran, dass man beim halblegalen Gang durchs Dorf unter permanenter Beobachtung der Publikumsränge steht, auch wenn es dort nur Geister gibt – und die Schafe, die zwischen den Sitzbänken grasen.

Die Neuentdeckung

Amphitheater und Spieldorf liegen heute etwas versteckt hinter den Gebäuden des Berufsförderungswerks Weser-Ems. Dass ihre NS-Geschichte gerade wieder etwas präsenter ist, ist das Verdienst der Kultur­etage aus Oldenburg. Ihre Produktion „Visionen für einen Unort“ hatte im Sommer nicht nur das vergessene Theater wiederentdeckt, sondern ausdrücklich gefragt, was Kunst anfangen könne mit derart belasteten Räumen.

Auf diese Fragen sollte es hier längst auch Antworten geben: Seit 15 Jahren archiviert ein Arbeitskreis Dokumente, Urkunden, Fotos und Berichte der Veranstaltungen von früher. Inzwischen ist auch ein Förderverein für ein Informationszentrum entstanden, den die Lokalpresse noch im März vergangenen Jahres mit der Einschätzung zitierte, man sei nun so weit, dass kaum noch etwas schief gehen könne. Dann kam Corona.

Die Zukunft

Aber der Lernort wird kommen, sagt der Vereinsvorsitzende Dietmar Mietrach. Aufklären wolle er hier über Verführung der breiten Bevölkerung, gerade weil die NS-Freilichtbühne nicht für „Gewalt und Druck“ stehe, sondern für eine Kultur, „bei der die Leute gerne mitgezogen haben“.

Die Geschichte endet auch nicht mit 1945, denn am Fascho-Bombast hatte sich nach Kriegsende erst mal niemand gestört. Heimatverein und Musikzüge bespielten die Stedingsehre direkt weiter bis in die 1970er – auch mit internationalen Gästen oder Pippi Langstrumpf für die Kleinen.

Die Stedingsehre ist eine Geschichte von Brüchen und Kontinuitäten des deutschen Faschismus, mit der vorläufigen Pointe, dass der Nazibau nicht an Feindaufklärung und Re­education zugrunde ging, sondern am Oldenburger Wetter: Das nämlich immer schon zu beschissen war, um mit Kultur unter freiem Himmel Geld zu verdienen.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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