wortwechsel
: Von Ampeln, Bürgergeld und Rechtsstaat

Müssen Nazi-Prozesse gegen Hundertjährige sein? Sorge um Koalitionsverhandlung wegen des Narzissten Lindner. Bürgergeld/Hartz IV: Werden weitere Labels getauscht?

Vorsitzender der kleinsten Ampelpartei Christophe Gateau/dpa Foto: Foto:

Politik der Willkür

„Der Freedom Day könnte schon bald kommen“, taz vom 20. 10. 21

Wenn es nun so weit ist, dass „niedrigschwellige“ Maßnahmen ohne das Bestehen einer pandemisch/epidemischen Lage von den Ländern beschlossen werden können, nimmt man Grundrechts­einschränkungen ohne Begründung nicht nur hin, sondern begünstigt sie unverblümt. Das ist aus demokratischer Sicht nicht nur gefährlich sondern auch unverständlich. Denn Grundrechtseinschränkungen in jeder Form sollten nun wenigstens eine ausreichend fundierte Begründung haben. Ohne diese sind wir auf einem guten Weg hin zu einer Politik der Willkür!

Sabrina Neugebauer, Hamburg

Fortschrittskoalition

„Bis zu 13 Stunden Arbeit möglich“,

taz vom 19. 10. 21

Drei Parteien mit unterschiedlichen Traditionen und unterschiedlichen Sichtweisen wagen ein innovatives Bündnis einzugehen. Als Fortschrittskoalition kann es ein Jahrzehnt der sozialen, ökologischen, wirtschaftlichen, digitalen und gesellschaftlichen Erneuerung stellen. Die Ansprüche sind hoch, aber die Erwartungen, die dieses Papier stellt, werden nicht erfüllt. Es bleibt zu hoffen, dass der Koalitionsvertrag diese Schwächen ausgleicht. Es sind nicht nur Fragen der Bewältigung der Gesundheits- und Pflegekosten offen geblieben, sondern es fehlt gänzlich im Papier das Wort der Barrierefreiheit. Gerade weil eine alternde Gesellschaft ansteht, wäre der Begriff das Schlüsselwort für eine Fortschrittskoalition im Gegensatz zur großen Koalition. Es wäre die Chance, einen Kontrapunkt zu setzen. Er passt gut zum digitalen Aufbruch, moderner Arbeitswelt, sozialer Sicherheit und sozialem Wohnungsbau.

Andreas Kammerbauer, Berlin

Bürgergeld

„Etikettenschwindel“,

taz vom 18. 10. 21

Das Bürgergeld ist ein Konzept der FDP, was auch zu der höheren Zuverdienstgrenze passt. Bleibt es bei dem Original, bedeutet das aber eine weitere Verschlechterung von ALG II. Denn bisher liegt die Höhe des FDP-Bürgergeldes bei 662 Euro, wohlgemerkt inklusive Wohnkosten.

Regina Klünder, Kiel

Ampelparteien

„Ein Herz für die Finanzeliten“,

taz vom 19. 10. 21

Wenn sich die kleinste der Ampelparteien schon in der Sondierungsphase in zentralen Punkten durchsetzt, was ist dann noch von Koalitionsverhandlungen zu erwarten? Der frühere Kohleausstieg und der Mindestlohn sind zu teuer bezahlt, die extreme gesellschaftliche Spaltung dadurch zementiert. Das können weder die SPD noch die Grünen wollen ohne Gefahr zu laufen, sich vollends dem neoliberalen Wahn zu ergeben. Eine moderate Erhöhung des Spitzensteuersatzes, eine Minivermögenssteuer und der Erhalt des Restsolis müssen als Minimum noch in den Koalitionsvertrag, um überhaupt irgendetwas seriös finanzieren zu können und um nicht die Selbstzerlegung beider Parteien zu forcieren. Die Jusos und die Grüne Jugend sollten jetzt laut werden und Respekt einfordern.

Wolfgang Wedel, Nürnberg

Rechtsstaat

„Ein Prozess, der sein muss“,

taz vom 20. 10. 21

Ich bin der Ansicht, dass sich ein Rechtsstaat auch dadurch auszeichnen kann, dass er diese unglaublichen Ressourcen juristischer Fähigkeiten in die schnelle und effektive Lösung von „normalen“ Fällen und nicht in derart aufwendige Mammutprozesse (NSU + +) investiert. In den meisten Ländern, die sich auch als Rechtsstaaten verstehen, ist Mord nach 30 Jahren verjährt. Alle anderen Themen werden dann den Historikern überlassen. In einem ähnlichen Prozess hatte die Vorsitzende Richterin geäußert, der Verurteilte hätte sich ja an die Ostfront versetzen lassen können. Hatte Frau Irmgard diese Chance auch? Ich (*1935) bin über die Rolle der Fachmenschen, die heute in der Mitte ihres Lebens stehen, bestürzt. Wie sicher wissen die doch, was ihre Großeltern damals hätten tun sollen. Gespannt bin ich, was ihre Enkel in 30 Jahren zu den Themen Wachstum und Klima sagen werden. Klaus Fietzek, Bornheim

Existenzsorgen

„Etikettenschwindel“, taz vom 18. 10. 21

Der Kommentar war sicherlich gut gemeint, und ich befürchte auch, dass die von mir eigentlich erhoffte Ampel nur Etikettenschwindel aus demselben System macht. Aber Parallelen zu Kriegsprofiteuren in Ländern zu ziehen, die Dauerkriege haben und dazu noch keine Sozialhilfe kennen, finde ich unpassend und absurd. Stimmt anscheinend schon, dass vor allem SPD und FDP immer noch nicht kapieren wollen, dass Sanktion die am härtesten trifft, die schon vorher am meisten Existenzsorgen hatten. Andere Arbeitslose können Sperrzeiten und Sanktionen eher mit ihrem Schonvermögen abfangen. Sie können sich mal einen Kurs selbst bezahlen, statt dafür lange sparen zu müssen. Können Doppelmiete und eine Kaution für einen Umzug aufbringen, wenn ihre Wohnsituation zu schwierig ist. Sylvia Schmidt, Essen

Gedankengut

„Rechtsextreme ‚Cancel Culture‘“,

taz vom 15. 10. 21

Mag sein, dass Frau Heinrich heute anders reden würde – ich habe da meine begründeten Zweifel. Zudem ist sie nicht irgendeine Mitläuferin auf grünen Pfaden, sondern weiterhin Sprachrohr der wirklich „grünen“ Jugend. Schlimmer sind die HEUTIGEN Kommentierungen von Trittin & Co. Dieses wirklich antideutsche und rassistische Gedankengut wird auch dort und heute noch „gepflegt“ – nicht nur bis in die Spitze der Grünen! Wolf Frisch, Kiel

„Ausnahmezustand“

„Es ist zu früh“, taz vom 20. 10. 21

Was ein Jens Spahn will, und was letztendlich beschlossen wird, das sind schon wieder einmal zwei Paar verschiedene Stiefel. Falls dieser „Ausnahmezustand“ überhaupt jemals noch abgeschafft werden sollte, so würden bestimmt sämtliche Hintertürchen sperrangelweit offen bleiben, um diese ruckzuck wieder ganz fest zu verrammeln! Noch hat diese „Noch-Regierung“, die bekanntermaßen längst schon abgewählt ist, das große Sagen, weil es diese „(H)Ampelmännchen“ nicht fertigbringen, sich auf den kleinsten Kompromissnenner zu einigen.

Klaus P. Jaworek, Büchenbach

Angeklagt

„Ein Prozess, der sein muss“,

taz vom 20. 10. 21

Herrn Hillenbrand kann ich nicht zustimmen, wieso muss der Prozess sein? Nach 76 Jahren einer damals jungen Frau den Prozess zu machen, weil sie Beihilfe zum Mord an 11.380 Fällen geleistet hätte. In der deutschen Nachkriegsregierung hatten Naziunterstützer Funktionen (z. B. Globke, Filbinger). Das empört mich am meisten: Schuldige lässt man in den ersten Jahren nach dem Krieg laufen, weil man sie braucht. Eventuell geringfügig Schuldige werden nach 76 Jahren angeklagt.

Günter Lübcke, Hamburg

Bedingungslos

„Etikettenschwindel“, taz vom 18. 10. 21

Warum wird nicht verstanden, dass alle ein Bürgergeld erhalten müssen, das dann mit dem sonstigen Einkommen versteuert wird. So erhielten erwerbslose Menschen ein Bürgergeld und Menschen mit Einkommen hätten gerade im Niedriglohnbereich bis weit in mittlere Einkommen hinein ein höheres Netto. Aber man will partout nicht, dass sich Menschen auf ein Bürgergeld zurückziehen können, obwohl sich gerade mit einem bedingungslosen „Bürgergeld“ Zuverdienst lohnen würde. Das müsste doch auch die FDP verstehen.

Günter Schwarz, Berlin