„Serbische Welt“ und Balkankonflikt: Geschmeidige Nationalisten

Das Projekt Großserbien wurde nie aufgegeben und ist nun als „Serbische Welt“ wieder aufgetaucht. Die EU muss jetzt handeln, bevor es zu spät ist.

Polizei vor einem gepanzerten Fahrzeig

Schwerbewaffnete Polizeikräfte im serbischen Teil Bosniens bei einer Übung Foto: AP

Dem Europaabgeordneten Michael Gahler (CDU) riss vergangene Woche im Europaparlament die Hutschnur. Das Gremium diskutierte die Lage auf dem Balkan, ohne den weitreichenden und gefährlichen Konflikt in Bosnien und Herzegowina auch nur zu erwähnen. Gahler hat sich zu Recht aufgeregt.

Was hindert eigentlich die europäische und auch deutsche Öffentlichkeit daran, sich mit dieser Entwicklung auseinanderzusetzen, die in einen Krieg münden könnte? Mit der Drohung, den von Serben beherrschten Landesteil von Bosnien und Herzegowina abzutrennen, ist ein Szenario entstanden, das in vielem an die Zeit vor dem letzten Krieg von 1992 bis 1995 erinnert.

Das Vorhaben der bosnisch-serbischen Führung ist nach Meinung Gahlers „illegal“ und hebelt das Friedensabkommen von Dayton 1995 aus. Das hat zwar auch die serbischen Eroberungen und die Verbrechen der ethnischen Säuberungen während des Krieges legitimiert und der serbischen Seite 48 Prozent des Landes zugesprochen. Es hat aber auch die Existenz des Gesamtstaates Bosnien und Herzegowina in seinen historischen Grenzen bestätigt und mit der bis heute währenden Anwesenheit von (symbolischen) Kontingenten von Eufor- und Nato-Truppen garantiert.

Wer Milorad Dodik, den starken Mann der bosnischen Serben, als nicht ernst zu nehmenden Politiker oder gar Spinner ansieht, macht einen Fehler. Denn Dodik folgt einer langfristig angelegten Agenda des serbischen Nationalismus. Das Projekt Großserbien, das vor 30 Jahren den damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević beflügelte und das zum Ziel hatte, alle Gebiete des ehemaligen Jugoslawien, wo Serben leben, in einem Staat zusammenzufassen, scheiterte zwar. Es wurde jedoch nie aufgegeben und ist jetzt im neuen Gewand von „Srpski Svet“, der serbischen Welt, wieder aufgetaucht.

Gezielte Provokationen

Die vom serbischen Präsidenten Alexandar Vucić ausgerufene „serbische Welt“ umfasst die Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Kosovo. Und genau in diesen Gebieten werden nun gezielt Provokationen lanciert. So beispielsweise im Kosovo mit dem Aufmarsch serbischer Truppen an der Grenze, um die angeblich in Gefahr geratene serbische Minderheit zu schützen.

Im Nato-Land Montenegro ist es gelungen, mit Hilfe der orthodoxen Kirche eine serbienfreundliche Regierung zu etablieren. Und in Bosnien und Herzegowina wird das Parlament der Republika Srpska diese Woche entscheiden, alle gemeinsamen Gesetze und Institutionen zu revidieren mit dem Ziel, die Republika Srpska zu einem unabhängigen Staat zu formen – der natürlich dann die Option offen hält, sich irgendwann mit Serbien zu vereinigen.

Man kann der serbischen Führung und den serbischen Nationalisten vieles vorwerfen, aber nicht, dass sie nicht geschmeidig ihre langfristigen Ziele verfolgen und dabei die gesamtpolitische Lage in Europa und der Welt vor Augen haben. Bei Gegenwind weicht sie zurück, ohne jedoch ihre langfristigen Ziele aus dem Auge zu verlieren. Wenn aber die EU in einer Krise und der Westen insgesamt außenpolitisch fast handlungsunfähig ist, kann sie austesten, wie weit sie gehen kann.

Hilflose Aufrufe aus Brüssel, nicht die Serben, sondern die Kosovoalbaner sollten sich mäßigen, spielt ihnen in die Hände. Die EU-Mission in Bosnien und Herzegowina, die den Forderungen der serbischen und kroatischen Nationalisten immer wieder entgegenkam, ist in ihren Augen ein Weichei. Dass Angela Merkel und Ursula von der Leyen bei ihren kürzlichen Besuchen in der Region Serbien als stabilisierenden Faktor in der Region ansahen, gehört zu den großen Fehleinschätzungen von europäischer Seite. Es wiederholt sich die Appeasementpolitik Europas gegenüber Milošević von vor 30 Jahren.

Schwäche des Westens

Der serbischen Führung ist auch nicht entgangen, dass die USA mit dem überstürzten Rückzug aus Afghanistan Vertrauen verloren haben. Denn bisher war ja nicht daran zu rütteln, dass allein die Anwesenheit der Amerikaner Kriegsgelüsten einen Riegel vorgeschoben hat. Die Schwäche des Westens hat ein politisches Vakuum erzeugt, in das die serbischen Strategen hineinstoßen können. In Bosnien und Herzegowina kann man jetzt ausprobieren, was geht und was nicht.

Vucić und Dodik können sich dabei auf die Unterstützung Russlands verlassen. Nicht nur, dass Putin modere Waffensysteme an Serbien und damit auch indirekt an die Republika Srpska liefern ließ. Die serbischen Nationalisten können auch mit diplomatischer Unterstützung rechnen. Denn Ende November muss das Mandat der Eufor-Truppen vom UN-Sicherheitsrat verlängert werden. Russland kann ein Veto einlegen.

Der Kreml tut alles, um die Stellung der internationalen Institutionen vor allem in Bosnien und Herzegowina zu erschüttern. So möchte er im Einklang mit Dodik am liebsten die Institution des Hohen Repräsentanten abschaffen. Serbien und Russland fühlen sich im Aufwind.

Leider hat sich auch Kroatien in diese Front eingereiht. Das von kroatischen Nationalisten propagierte Wahlgesetz destabilisiert ebenfalls Bosnien und Herzegowina, rechte Bewegungen und Regierungen innerhalb der EU geben Flankenschutz. Mit Non-Papers aus Ungarn und Slowenien wurden sogar neue Landkarten auf Kosten Bosniens propagiert.

Die Verantwortlichen im Westen müssen jetzt handeln, statt zu warten, bis jegliche Gegenmaßnahme zu spät kommt. EU, USA und die Nato müssen bereit sein, die bestehenden Grenzen zu garantieren. Worte allein genügen nicht. Nato und Eufor sollten nach den Vorschlägen von Thinktanks und Nato-Militärs sofort beginnen, ihre Truppen im Lande zu verstärken und an strategischen Punkten zu platzieren. Geschieht dies nicht, wird der neuen Regierung in Deutschland ein massiver Konflikt vor die Füße fallen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen beizutragen. Er schrieb die Bücher: „Kosovo – Geschichte eines Konflikts“ (Berlin 2010), „Bosnien im Fokus“ (Berlin 2010).

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.