Rot-gelb-grüne Koalitionsverhandlungen: Machtkampf ums Geld

Christian Lindner und Robert Habeck wollen beide Finanzminister werden. Dabei geht es nicht nur um Egos, sondern auch um inhaltliche Unterschiede.

Robert Habeck und Christian Lindner schauen sich an

Beim Kampf ums Finanzministerium geht es um mehr, als die Eitelkeit zweier Männer Foto: Mike Schmidt/imago [Montage taz]

BERLIN taz | Das Objekt der Begierde liegt mitten in Berlin, Wilhelmstraße Ecke Leipziger Straße. Das Bundesfinanzministerium ist in einem wuchtigen Bau aus der Nazizeit untergebracht, im ehemaligen Reichsluftfahrtministerium. Die Fenster sehen aus wie Schießscharten, in der Pfeilerhalle hängt das Wandbild „Aufbruch der Republik“, das in der DDR angebracht wurde. Glückliche Menschen, die den Arbeiter-und-Bauern-Staat aufbauen.

Hier residiert im Moment noch Olaf Scholz, der sich noch vor Weihnachten von einem Ampelbündnis zum Kanzler wählen lassen will. Offiziell betonen die Beteiligten von SPD, Grünen und FDP, die am Donnerstag die Koalitionsverhandlungen offiziell starteten, wie harmonisch alles laufe. Aber hinter den Kulissen schwelt ein Machtkampf, dessen Klärung unter anderem entscheidet, wie ernst der Ampel der Klimaschutz ist.

Es geht um eine Frage, die sich nicht durch einen Kompromiss entschärfen lässt. Wer darf in Zukunft in Scholz’ Büro sitzen, Christian Lindner oder Robert Habeck? Sowohl der FDP-Chef als auch der Grünen-Vorsitzende möchten Finanzminister werden. Beide haben sich darauf vorbereitet, beide halten das Haus für zentral, um ihre Anliegen in der Regierungsarbeit durchzusetzen. Dabei geht es um weit mehr als die Egos zweier eitler Männer.

Der Finanzminister ist – neben dem Kanzler – der mächtigste Mann im Kabinett, er bestimmt maßgeblich den Kurs der nächsten Regierung. Alle MinisterInnen müssen sich gut mit ihm stellen, er redet bei allen haushaltsrelevanten Gesetzen mit. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung billigt dem Finanzminister ein Vetorecht zu. Damit kann er keine Gesetze verhindern, weil es nur eine aufschiebende Wirkung hat. Aber allein die Drohung (samt öffentlicher Debatte) wirkt Wunder.

Außerdem ist das Finanzministerium mit so genannten Spiegelreferaten ausgestattet. Das sind Einheiten, die die Arbeit der anderen Ministerien verfolgen, etwa ihre Gesetzesvorhaben und ihre Einzeletats. Der Finanzminister weiß deshalb immer, was in der Regierung passiert – und kann intervenieren. Vor allem aber gilt: Wer das Geld hat, hat die Macht. Zwar wird der Haushalt vom Parlament verabschiedet, aber die Beamten im Finanzministerium stellen ihn auf. Sie liefern also die Vorlage, stellen Weichen, nehmen grundsätzliche Abwägungen vor. Der machtbewusste Scholz wusste all das zu nutzen – und hat das Haus zu einem Schatten-Kanzleramt ausgebaut.

Verschärft wird der Konflikt zwischen den Habeck-Grünen und der Lindner-FDP durch das Sondierungsergebnis. Die VerhandlerInnen verständigten sich vergangenen Freitag bei den Finanzen auf Kernanliegen der FDP. Es wird keine Lockerung der Schulden­bremse ­geben, keine neuen Substanz­steuern und keine Steuer­erhöhungen, weder bei der Einkommen-, der Unternehmen- oder der Mehrwertsteuer. Das freut UnternehmerInnen und wohlhabende FDP-WählerInnen.

Aber es heißt auch: Wichtige Geldquellen für den Staat fallen weg. Um 50 Milliarden Euro pro Jahr für Klimaschutz auszugeben, wie es die Grünen wollen, müsste der neue Finanzminister sehr kreativ werden. Die Spielräume in der Schuldenbremse müssten genutzt, Steuerschlupflöcher gestopft, öffentliche Gesellschaften gegründet werden, die eigenständig Kredite aufnehmen können.

Angesichts der roten Linien der FDP werde das operative Geschäft „umso wichtiger“, sagt der grüne Europaabgeordnete Rasmus Andresen. Der Finanzminister sitze in einer Koalition am Tischende und wisse, was geht und was nicht. „Robert Habeck wäre ein Finanzminister, der Spielräume für Klimaschutz oder Soziales nutzt.“

Grüne, die sich mit der Materie auskennen, sehen es genauso. Man dürfe nach schweren Kompromissen in der Steuerpolitik nicht auch noch die Umsetzung der Finanzpolitik opfern, sagte Sven Giegold auf dem Grünen-Länderrat am Sonntag. „Geld ist nicht alles. Aber ohne Geld wird alles nichts.“ Giegold verhandelt in den anstehenden Gesprächen für die Grünen den Bereich Finanzen. Auch andere wichtige Grüne hatten sich zuletzt für einen Finanzminister Habeck stark gemacht, etwa Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz oder Parteivize Ricarda Lang.

Aber auch die FDP lässt keinen Zweifel an ihrem Machtanspruch. Kaum war das rot-grün-gelbe Sondierungspapier veröffentlicht, schwärmte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann, im Spiegel von Christian Lindner als Finanzminister. „Ich kann mir niemand Besseren für diese Aufgabe vorstellen.“ Er habe gesehen, wie gründlich sich Lindner auf diese vorbereitet habe. FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki warb ebenfalls für seinen Parteichef.

Jener meldete sich am Sonntag mit einer doppeldeutigen Botschaft zu Wort. Lindner sprach sich zwar gegen öffentliche Diskussionen über Ministerposten aus, betonte dann aber, dass es wichtig sei, dass jeder der drei Partner gestalterisch wirken könne. Und fügte einen viel sagenden Satz hinzu: „Es gibt das Bundeskanzleramt, es gibt das Finanzministerium, es gibt ein neues Klimaministerium.“ Ein Versehen? Wohl eher Absicht. Wo sich Lindner in dieser Aufteilung sieht, ist offensichtlich.

Verwunderlich ist das nicht. Die FDP hat in einem Ampelbündnis politisch den weitesten Weg zu ­gehen, die traditionelle FDP-Wählerschaft steht der Ampel eher skeptisch gegenüber. Finanzpolitische Erfolge sichern den Liberalen das Überleben als Partei. Hinzu kommt das Trauma der schwarz-gelben Regierungsjahre. 2009 holte Guido Westerwelle mit großmäuligen Steuersenkungsversprechen das beste Wahlergebnis in der Parteigeschichte. Nur konnte die FDP in ihrer Regierungszeit unter Angela Merkel wenig davon umsetzen.

Wer sich durchsetzt, ist noch völlig offen

Bis auf die viel verspottete Mövenpick-Steuer, eine Senkung der Mehrwertsteuer im Hotelgewerbe, konnte die FDP wenig Erfolge erzielen – und selbst diese Mini-Steuersenkung ging eigentlich aufs Konto der CSU. Bei der Bundestagswahl 2013 folgte ein Desaster, die Liberalen flogen erstmals seit Gründung der Bundesrepublik aus dem Bundestag. Lindner, der danach den liberalen Scherbenhaufen übernahm, sprach damals von der „bittersten Stunde“ seiner Partei. Insofern weiß er nur zu gut, dass er in einem Ampelbündnis liefern muss.

Aber wer setzt sich durch? Das, heißt es bei den Grünen, sei „völlig offen“. Aber man sei entschieden, diese Frage „hart“ zu stellen. Mehrere Grüne verwiesen gegenüber der taz auf das Reißverschlussprinzip, das bei der Ressortvergabe gelte. Traditionell werden die Kabinettsposten ganz am Ende von Koalitionsverhandlungen ausgehandelt. Dabei gilt die grobe Regel: Der Stärkste bekommt das Kanzleramt. Der Zweitstärkste hat den ersten Zugriff auf ein Ministerium seiner Wahl. Dann darf der nächste Partner auswählen.

Und wieder von vorn. In dieser Logik wäre den Grünen das Finanzministerium sicher. Aber das Reißverschlussprinzip wird selten eins zu eins eingehalten, meist geht es um eine Paketlösung, bei der hin und her verhandelt wird. Die SPD schlug in den Verhandlungen über die Groko 2017 das Finanzministerium, das wichtige Ressort für Arbeit und Soziales und das Auswärtige Amt für sich heraus.

Inhaltlich geht es um viel

Sie bekam ein Luxuspaket, weil sie sich noch einmal in ein Bündnis mit der Union quälte. Lindner könnte in der aktuellen Situation das Argument ziehen, dass die FDP den problematischen Lagerwechsel absolviert. Und sollen die Grünen, wenn sie selbst zugreifen, der FDP ein Klimaschutzministerium überlassen, das diese dann beanspruchen könnte? Schwierig.

Inhaltlich geht es, wie gesagt, um viel. In dem sich abzeichnenden Ampelbündnis kursieren viele Ideen, wie sich trotz Schuldenbremse Geld für Investitionen auftreiben lässt. Eine davon: Der Staat könnte öffentliche Gesellschaften gründen oder ausbauen, die eigenständig Kredite aufnehmen können. Die Deutsche Bahn ist eine Aktiengesellschaft im Besitz des Bundes. Sie könnte mit geliehenen Milliarden, die nicht im Bundeshaushalt auftauchen, das Schienennetz ausbauen. Ähnliches wäre bei der Ladeinfrastruktur für E-Autos und anderswo denkbar.

Die FDP hingegen hat keine große Leidenschaft für Staatskonzerne. Sie setzt bei der noch ungelösten Finanzfrage auf Einsparungen, Superabschreibungen und auf Wirtschaftswachstum – vor allem durch private Investitionen. Die VerhandlerInnen haben im Sondierungspapier außerdem vereinbart, den Haushalt auf überflüssige, unwirksame und klimaschädliche Subventionen zu überprüfen. Aber auch da gehen die Vorstellungen weit auseinander.

Die Grünen wollen etwa die steuerliche Begünstigung von Diesel abschaffen, was dem Staat mehrere Milliarden Euro pro Jahr einbringen würde. Lindner sieht das aber als „eine Steuererhöhung für die breite Mitte der Gesellschaft“. Ein grüner Finanzminister würde also im operativen Geschäft ganz andere Entscheidungen treffen als ein liberaler.

Entscheidend ist der Posten auch für die deutsche Europapolitik. Die so genannten sparsamen vier, Österreich, die Niederlande, Dänemark und Schweden, vertreten eine ganz andere Haushaltspolitik als südeuropäische Staaten. Sie wehrten sich etwa gegen allzu großzügige Coronahilfen. Wie sich Deutschland hier künftig positioniert, ist extrem wichtig. Nächstes Jahr entwerfe die EU-Kommission neue Finanzregeln, sagt der Grüne Andresen. „Ich fände gut, wenn der zuständige EU-Kommissar dann Robert Habeck anruft – und nicht Christian Lindner.“ Wolfgang Kubic­ki würde es wohl genau andersherum sehen.

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