Buchpreis für Antje Rávik Strubel: Literarisch geformte Wut

Hohe Einsätze in der literarischen Form: Die Autorin Antje Rávik Strubel erhielt am Montag den Deutschen Buchpreis für den Roman „Blaue Frau“.

Ravik Strubel hält sich die Hand auf die Brust

Antje Rávik Strubel bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises in Frankfurt Foto: Sebastian Gollnow/Pool/dpa

Das war natürlich schon ein besonderer Augenblick. Gerade hatte am Montagabend um 18 Uhr im Frankfurter Römer das Procedere zur Verleihung des Deutschen Buchpreises begonnen, da kamen die Eilmeldungen aufs Handy: Bild-Chefredakteur Julian Reichelt gefeuert. Offiziell weil er den Vorstand des Springer-Verlages belogen hat, tatsächlich vor dem Hintergrund von #MeToo-Vorwürfen.

In der ganzen folgenden Stunde, in der man auf die Verkündung der Preisträgerin wartete, konnte man da schon an Antje Rávik Strubels Roman „Blaue Frau“ denken. An beschwichtigende Sätze wie: „Sind solche Anschuldigungen im Moment nicht sehr in Mode?“ Vor allem auch an die unterdrückte und stets literarisch geformte und aufgefangene Wut, die an manchen Stellen des Buches durchschimmert, in dem Antje Rávik Strubel mit einer nie direkt beschriebenen Vergewaltigung als Glutkern das Leben einer Frau und darüber hinaus das Zusammenleben in Europa nach dem Zusammenbruch der Ost-West-Teilung schildert.

Und dann hatte sie den Deutschen Buchpreis tatsächlich ­gewonnen und bezeichnete in ihrer souveränen Dankesrede, ganz kühl und sachlich, das Ba­shing einer Haltung, die sich weigert, auf strukturelle Demütigungen mit dem üblichen „Jetzt hab dich nicht so“ zu reagieren, als wenig subtile ­Strategie zur Sicherung ­pa­triarchaler Bastionen.

Der Mann erschien plötzlich ganz klein

Leute, die im Internet Shitstorms gegen Feministinnen organisieren, bezeichnete sie als „Klingel-an-der-Tür-und-dann-weg-Männer“. Zugleich verkörperte sie geradezu das Selbstbewusstsein ­einer Autorin, die in sich selbst und ihrem Schrei­ben ruht und von normalisierenden identitären Zuschreibungen nichts hält.

Ohne dass sie Reichelt nur im Blick hatte, erschien der Mann, während zeitgleich die Nachrichtenlage und die soziale Medien wegen ihm explodierten, plötzlich ganz klein.

Es wäre allerdings ganz falsch, „Blaue Frau“, jetzt als „Roman des Jahres“ ausgezeichnet, nur als „Roman über …“ zu lesen. Es ist kein direkter #MeToo-Roman, allerdings schon ein Buch, das auf die heute akzeptierte Sachlage, dass wir über sexuelle Gewalt reden müssen, mit literarischen Mitteln reagiert. Mit Figuren, mit denen die Autorin beim Schreiben viel Zeit verbracht und sie von allen Seiten aus betrachtet hat. Sehr vielschichtig auch, wie viele unterschiedliche Lebensentwürfe von ost- und mitteleuropäischen Frauen darin aufgeblättert werden.

Es kann etwas Wohlfeiles haben, die vielen Unwägbarkeiten eines Juryprozesses bis hin zur Auswahl der einen Preisträgerin nachträglich mit Sinn aufzuladen, aber etwas von einer Richtungsentscheidung schwingt hier schon mit. Um Missverständnisse auszuschließen: Sie besteht keineswegs darin, dass es hier und heute unbedingt ein #MeToo-Roman sein musste. Sondern vielmehr darin, dass es angesichts der Lage um so einen literarischen Ernst geht, der „Blaue Frau“ tatsächlich durchweht, und um hohe Einsätze in der literarischen Form.

Die Form – die oft gleitenden Übergänge aus der Gegenwart in die Erinnerung, die genau beschriebenen Details und wie abgelauschten Dialoge –, sie lässt einen bei der Traumaverarbeitung der Hauptfigur, die die ganze Zeit über im Zentrum bleibt, stets am Ball bleiben.

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