Diskurs gone wrong: War Hitler etwa kein Rassist?

Rassismus gegen Weiße gibt es nicht, heißt es immer wieder. Das ist geschichtsvergessen – und eine Beleidigung für Millionen Mi­gran­t*in­nen.

Frank-Walter Steinmeier spricht vor einer Projektion mit den Namen der Ermordeten in der Schlucht von Babyn Jar

Frank-Walter Steinmeier spricht zum 80. Jahrestag der Massenmorde von Babyn Jar in Kiew Foto: Sandra Steins/dpa

Kurz nachdem Frank-Walter Steinmeier in der Ukraine der Opfer des Massakers von Babyn Jar gedacht hat, diskutiert man hierzulande wieder darüber, ob es Rassismus gegen Weiße gibt. 80 Jahre nach dem Überfall der Nazis auf die Sowjetunion – wir erinnern uns: ein rassenideologischer Vernichtungskrieg mit dem Ziel, „Lebensraum“ zu schaffen –, nach mindestens 24 Millionen sowjetischen Opfern, sagen Deutsche, die stolz darauf sind, ein paar Fetzen des sogenannten rassismuskritischen Diskurses mitgekriegt zu haben: Rassismus gegen Weiße? Hat es nie gegeben! Gratuliere zu dieser sagenhaft dummen Einsicht.

Rassismus gegen Weiße mag sich von dem gegen Schwarze unterscheiden, sehr sogar, aber es gab und gibt ihn. So kompliziert ist es leider. Und alle, die sich jetzt freuen, „Rassismus!“ rufen zu dürfen, wenn jemand sie Kartoffel nennt – einfach psssssssst.

Das Problem ist: Man ist zu faul, passende Begriffe zu finden und übernimmt welche aus den USA. Aber Menschen in Kategorien zu stecken, geht eh meistens schief, und wenn die dann noch aus einem anderen Kontext stammen, bringt das nichts als Verwirrung. Bestes Beispiel: Die Kategorie „weiß“. Mal ist eine Hautfarbe gemeint, mal eine Position im gesellschaftlichen Machtgefüge. Am Ende kommt etwas raus wie: Europäische Juden sind weiß, aber wenn sie eine Kippa tragen, sind sie es nicht. Wer soll damit was anfangen? Warum benutzen wir nicht Worte, die nicht auf Farben verweisen, um Klarheit zu schaffen? Weil es am Ende doch oft um Farben geht. Und um Augenformen und Haare.

Eine Studie mit Rassenkategorien

Die Uni Rostock brachte zusammen mit der MaLisa-Stiftung Anfang des Monats eine Studie heraus. Es ging unter anderem darum, wie gut „Menschen mit Migrationshintergrund und Schwarze Menschen/People of Colour“ in den Medien repräsentiert sind. Um das auszuwerten, legten die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen eine Schautafel an, mit, man kann es nicht anders nennen, Rassenkategorien. „Südostasiatisch/Ostasiatisch (erkennbar an der Form der Augen)“ steht da zum Beispiel, Bilder entsprechender Asia­t*in­nen sind auch dabei. Dann machten die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen den Fernseher an und schrieben denen, die sie sahen, munter ethnische Zugehörigkeiten zu. Die Kategorie „weiß“ vernachlässigten sie, weil: Eine Schwedin, nur so als Beispiel, erfahre in Deutschland keinen Rassismus. Eine Schwedin?

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In Deutschland leben mindestens 3 Mil­lio­nen Menschen mit einem postsowjetischen Migrationshintergrund. Das ist die größte Mi­gran­t*in­nen-Gruppe. Die meisten Jüdinnen und Juden, die hier leben, sind aus diesem Raum eingewandert. Für die Uni Rostock aber spielte das keine Rolle. Weil: Phänotyp weiß. Rassismuserfahrung = 0. Repräsentierung: egal. Dabei gibt es übrigens allein in Russland mehr als 100 Ethnien.

Leute wie ich, Weiße mit Migrationshintergrund, werden gern dazugezählt, wenn es darum geht, die Masse zu betonen. 26 Prozent der Gesellschaft haben einen Migrationshintergrund! Mehr wissen will man aber nicht, weil dann das Schwarz-Weiß-Konstrukt zerfällt und alles unnötig kompliziert wird. Am Ende müsste man noch mit Leuten sprechen, die in Fleischfabriken arbeiten.

Für Deutsche gehört es zum guten Ton, gegen Rassismus zu sein (Vergangenheit und so). Die Gruppe, die in dieser Vergangenheit das größte Opfer deutscher Rassisten war, blenden viele dabei aus.

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war bis Dezember 2021 Redakteurin, Reporterin und Kolumnistin der taz am wochenende

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