Österreichs Grüne glücklich und vorsichtig

Ein nach eigenen Worten „wütender“ Ex-Kanzler Kurz ist nur noch Abgeordneter und Fraktionsvorsitzender. Kanzler Schallenberg (ÖVP) will Kurz’ Linie fortsetzen

Kanzler Schallenberg (ÖVP, li.) und Vizekanzler Kogler (Grüne) bei der ersten Regierungssitzung nach Kurz’ Ende als Kanzler Foto: Georges Schneider/photonews/imago

Aus Wien Ralf Leonhard

Ich selbst werde jetzt die Vorwürfe, die es gegen mich gibt, entkräften“, beruhigte Österreichs Ex-Kanzler Kurz am Ende der Woche seine Fans. Vor der Budgetdebatte im Nationalrat hatte er sich als Abgeordneter vereidigen lassen. Schon am Montag hatten ihn die Abgeordneten der ÖVP zu ihrem Fraktionsvorsitzenden, dem Klubchef, gewählt. Während der neue Kanzler Alexander Schallenberg (auch ÖVP) in Interviews betonte, er werde Kurz’ Linie weiterverfolgen, versandte dieser jetzt eine wehleidige Botschaft über die sozialen Medien, dass er „Enttäuschung, Resignation, Wut“ empfinde.

Schallenberg wies darauf hin, dass die Vertrauensbasis zum grünen Koalitionspartner erschüttert sei. Das ist die Stimmung in weiten Teilen der ÖVP, zumindest im Nationalrat. Dort spricht man von einem „schweren Foul“. In der ÖVP kann man den Grünen nicht verzeihen, dass sie der Partei den Stimmenbringer Kurz, der schon zwei Wahlen triumphal gewonnen hat, sozusagen herausgeschossen haben.

Ganz anders dagegen ist die Stimmung bei den Grünen, die sich als heimliche Sieger der Krise fühlen. Der bürgerliche Kolumnist Hans Rauscher würdigt ihre Leistung im Standard: „Mit dieser beachtlichen Standfestigkeit haben [Vizekanzler; Anm. d. Red.] Kogler und Co die ‚alte‘ ÖVP, die eh auch schon Bauchweh hatte, gezwungen, Sebastian Kurz aus dem Kanzleramt zu nehmen. Dass er noch Parteichef und Klubobmann ist, bleibt das Problem der ÖVP.“

Der Politologe Anton Pelinka fragt sich: „Wer aber hat gewonnen? Ein wenig die Grünen. Sie können darauf verweisen, dass ihre Parole ‚Weitermachen, aber ohne Kurz‘ umgesetzt wurde.“ Ähnlich sieht es Niki Kunrath, der für die Grünen im Wiener Stadtrat sitzt. Er hofft auf Aufwind. Das zerrüttete Verhältnis, das Schallenberg beklagt, habe sich die ÖVP selbst zuzuschreiben. Das sei das Ergebnis, „wenn man tagelang nur die Grünen basht und nicht erkennen will, dass man selber Fehler gemacht hat“. Auch die ÖVP-nahen Medien hatten ständig den Spin aus dem Kanzleramt verbreitet: „Kogler fährt Koalition gegen die Wand“ oder „Grüne zertrümmern Koalition“.

Wäre Kurz nicht zurückgetreten, hätten die Grünen wohl einen Misstrauensantrag der Opposition gegen ihn unterstützt. Ein Kollaps der Regierung wäre unvermeidlich gewesen. Hätte man dann noch Neuwahlen vermeiden wollen, so hätten sich die Grünen auf eine Regierung unter Einbindung der rechten FPÖ einlassen müssen: ein politischer Tabubruch für Grüne und SPÖ. Nochmal Pelinka: „Zum Glück für die Opposition war die ÖVP nicht raffiniert genug, um diese Chance zu erkennen. Der Verlust so vieler Kabinettsposten war doch zu riskant.“

Grünen-Politiker Kunrath vermutet, dass seine Partei die neue Stärke zunächst nicht gleich ausspielen werde. Grund: Sie will die ökosoziale Steuer­reform und ein teils bereits ausgehandeltes Transparenzgesetz auf den Weg bringen. Neben dem günstigen Klimaticket für den ÖPNV in Österreich hätten die Grünen dann konkrete Erfolge vorzuweisen. So es 2022 doch noch zu vorgezogenen Neuwahlen kommen sollte.