„Wir werden mit der Partei hart ins Gericht gehen“

Vor dem Deutschlandtag der Jungen Union fordern zwei junge Christdemokratinnen Aufbruch und Erneuerung. Ein Gespräch über alte Kandidaten und neue Köpfe, Rezo, Quoten, Mitgliederbeteiligung – und Sebastian Kurz

Fo­to:­ Paul Blau

Interview Sabine am Orde

taz am wochenende: Sie sind beide Nachwuchspolitikerinnen der CDU – und die steckt in einer dicken Krise. Wenn Sie sich die CDU der Zukunft wünschen könnten, wie sähe die aus?

Ronja Kemmer: Ich wünsche mir für die Zukunft, dass wir an manchen Stellen partizipativer werden und dass wir uns vielfältiger aufstellen. Ich glaube aber auch, dass wir prinzipiell bei vielen Themen gute Positionen haben und auch Personen, die dafür stehen. Nur sind die, zum Beispiel bei den Mega­themen Klimaschutz und Digitalisierung, nicht in der ersten Reihe.

Frau Fischer, und bei Ihnen?

Lilli Fischer: Eine Mitmachpartei, die nach innen geschlossen ist und die sich mit Themen auseinandersetzt.

Und was genau muss sich ändern?

Kemmer: Bei den Erstwählern haben wir sehr viel verloren – und das hat nicht nur mit dem Wahlkampf zu tun, sondern geht weiter zurück. Digitalisierung ist dabei sehr wichtig, Stichwort Uploadfilter und Artikel 13, aber auch Rezo und die Reaktion darauf. Wir haben superviele junge, tolle, engagierte Köpfe, junge Frauen und Männer, im Haupt- wie im Ehrenamt. Die gilt es mehr in Verantwortung zu bringen.

Fischer: Völlig richtig. Ein großes Problem war auch, dass die CDU zu wenig konkret war. Das hat man etwa in den Wahl-O-Mat-Antworten gesehen. Mutig sein und klar Position beziehen, das ist jetzt besonders wichtig.

Einige Mit­strei­te­r:in­nen von Ihnen aus der Jungen Union haben gerade in einem Beitrag für die Welt mehr „CDU pur“ gefordert. Was könnte das sein?

Kemmer: Das fängt bei der Frage Digitalisierung an, geht weiter bei gleichwertigen Lebensverhältnissen. Die Gesellschaft wandelt sich eben an vielen Stellen, zum Beispiel beim Thema Familie oder bei der Gleichberechtigung von Frauen.

Fischer: Früher war klar, wir sind die Partei der Familie, für die Wirtschaft und für innere Sicherheit. Solche Kernthemen brauchen wir.

Sehen Sie dabei einen Unterschied zwischen Ost und West?

Fischer: Den Osten gibt es im Wahlergebnis nicht mehr. Es geht um gesamtdeutsche Fragen, und da sind die gleichwertigen Lebensverhältnisse von Stadt und Land ein wichtiger Punkt. In Thüringen als Beispiel ist eigentlich nur ländlicher Raum. Für Stadt und Land müssen wir Politik machen.

Lilli Fischer

21, sitzt im Erfurter Stadtrat und ist Vorsitzende der dortigen Jungen Union. Sie studiert Politikwissenschaft und Öffentliches Recht an der Uni Jena. Beim letzten CDU-Parteitag war sie die jüngste Delegierte und hat für Norbert Röttgen gestimmt.

Kemmer: Machen wir es mal am Klimaschutz konkret. Da hat sich innerhalb der Union in den letzten Jahren viel getan. Wir haben jetzt die Klimaschutzziele, aber wir müssen sie halt runterbrechen auf die Lebenswirklichkeit der Menschen. In der Stadt ist das Thema Ausbau der Erneuerbaren nicht so schwierig, auch nicht der ÖPNV.

Und was heißt das konkret? Geht es darum, das Auto zu verteidigen?

Kemmer: Wir müssen auch die Menschen, die nicht den Bus oder die S-Bahn vor der Tür haben, mitnehmen, ja.

Frau Kemmer, Sie haben zu Beginn mehr Partizipation gefordert. Welche Rolle spielt dabei eine größere Beteiligung der Mitglieder?

Kemmer: Wir müssen an ganz vielen Stellen partizipativer werden, aber ich habe Zweifel, ob es das Allheilmittel ist, die Vorsitzendenfrage durch eine Mitgliederbefragung zu klären. Wir haben beispielsweise 2016 in Baden-Württemberg bei der Landtagswahl bei der Frage nach der Spitzenkandidatur nicht nur gute Erfahrungen damit gemacht. Aber was klar ist: Die Bestimmung der Kanzlerkandidatur muss beim nächsten Mal anders laufen. Der Prozess muss vorher klar sein.

Fischer: Großartig fand ich die Zuhör-Tour, die Annegret Kramp-Karrenbauer als Generalsekretärin durchgeführt hat. Da wurden die Mitglieder in die Entwicklung des Grundsatzprogramms eingebunden. Da müssen wir anknüpfen. Eine Mitgliederbefragung halte ich für sinnvoll.

Über die Kanzlerkandidatur wurde letztlich im CDU-Bundesvorstand entschieden, zentral war Wolfgang Schäuble. Der meint, dass die Gremien klügere Entscheidungen träfen und weniger anfällig für Umfragen und andere Verführungen seien.

Kemmer: Das Problem war nicht, dass die Entscheidung im Bundesvorstand getroffen wurde, sondern dass in dieser turbulenten Woche gar nicht klar war, wo sie getroffen wird. Deshalb gab es am Ende nur Verlierer.

Aber können Sie mit Schäubles Bedenken etwas anfangen?

Fischer: Den Begriff „verführen“ finde ich schwierig. Ein Mitglied weiß selber, wer eine Partei anführen kann. Die Gremien sind ohne Frage wichtig, ein Mitglied aber auch.

In der Bundestagsfraktion gibt es noch 15 Mitglieder, die der Jungen Union angehören, in der SPD-Fraktion sitzen 49 Jusos. Hat die JU versagt?

„Früher war ich eine strikte Gegnerin der Quote und der festen Überzeugung, dass sich Leistung am Ende bewährt“

Ronja Kemmer, direkt gewählte Abgeordnete aus Baden-Württemberg

Kemmer: In Wahlkreisen, die vermeintlich schwierig zu gewinnen sind, gibt man Jüngeren eher eine Chance und Frauen auch. Bei der SPD hat das dieses Mal an vielen Stellen geklappt. Natürlich brauchen wir mehr Frauen, mehr Junge in der Fraktion, absolut. Die Junge Union ist dafür aber eigentlich eine gute Schule.

Die jungen Wäh­le­r:in­nen haben sich für Grüne und FDP, nicht für die Union entschieden. Kommt die JU bei den jungen Leuten vielleicht einfach nicht mehr an?

Fischer: Die JU ist immer noch die größte politische Jugendorganisation in Deutschland, insofern glaube ich schon, dass wir auch junge Leute begeistern können. Ich würde mir wünschen, dass vor Ort mehr junge Leute und mehr Frauen aufgestellt werden. Aber sollen wir erfahrene Politiker dafür einfach austauschen?

Der Chef der JU Bayern hat Schäuble aufgefordert, es AKK und Peter Altmaier nachzutun und für den Nachwuchs Platz zu machen. Ist das falsch?

Kemmer: Erst mal größten Respekt für die Entscheidung von AKK und Peter Altmaier, dadurch kann jetzt Nadine Schön nachrücken, die bei Digitalisierung und der Modernisierung der Verwaltung eine super Arbeit in der Fraktion gemacht hat. Das ist Erneuerung. Aber Schäuble hat selbst gesagt, dass er keine Parteiämter mehr anstrebt – und ich glaube, dass er keine Ratschläge braucht.

Bleibt trotzdem die Frage, ob die JU mit Tilman Kuban oder auch Philipp Amthor an der Spitze noch attraktiv für junge Leute ist.

Kemmer: Das schlechte Wahlergebnis ist nicht der JU anzulasten. Im Gegenteil, ohne sie wäre wahrscheinlich das Ergebnis bei den jungen Wählern noch schlechter. Außerdem ist es die JU, die oft den Wahlkampf macht.

Sie fordern beide, dass es auch mehr Frauen in der Spitze gibt. Sie, Frau Fischer, sind aber gegen die Quote. Wie soll das funktionieren?

Ronja Kemmer

32, Volkswirtschaftlerin, zog 2014 als jüngste Abgeordnete in den Bundestag ein und wurde gerade in ihrem Wahlkreis in Baden-Württemberg erneut direkt gewählt. Bei der letzten Vorsitzendenwahl hat sie Friedrich Merz unterstützt.

Fischer: Wir müssen die Strukturen verändern. Wir kriegen es nicht hin, dass Frauen in die Partei eintreten. Und Ronja weiß das als junge Mutter wahrscheinlich am allerbesten. Die Sitzungen finden abends um 17 Uhr statt, häufig sind es Runden, in denen größtenteils nur Männer sitzen.

Kemmer: Früher war ich eine strikte Gegnerin der Quote und der festen Überzeugung, dass sich Leistung am Ende bewährt. Aber das scheint nicht immer so zu sein. Und ich will auch als junge Mama nicht, dass meine Pauline später immer noch über diese Themen diskutieren muss.

Am Wochenende ist der Deutschlandtag der Jungen Union. Welches Signal erhoffen Sie sich von diesem Treffen?

Fischer: Aufbruch und Erneuerung. Am meisten freue ich mich auf die Wahlanalyse mit den Generalsekretären Paul Ziemiak und Markus Blume. Wir werden mit der Partei hart ins Gericht gehen. Aber genau das braucht es.

Kemmer: Da stimme ich zu.

Es scheint auch das erste Schaulaufen der möglichen Kandidaten für den Parteivorsitz zu geben, außer Röttgen treten alle auf: Merz, Spahn, Brinkhaus, Linnemann. Sie fordern Erneuerung – und jetzt sollen das wieder die gleichen vier oder fünf Männer aus NRW unter sich ausmachen?

Fischer: Natürlich ärgert es einen, dass es nur Männer aus NRW sind. Für den Bundesvorstand haben wir aber auch andere fähige Kandidaten.

Kemmer: Zur Analyse gehört auch, dass sich viele aus der zweiten Reihe leider noch nicht in der ersten sehen. Ich könnte mir auch eine Tandemlösung vorstellen, aber da bin ich vielleicht eine Minderheit in der Partei.

Fischer: Ich kann mir das auch gut vorstellen.

Kemmer: Ich glaube, es ist zu früh für Spekulationen oder Aussagen zu Favoriten. Die Dinge sind im Fluss. Es wird ja der gesamte Vorstand neu gewählt und ich hoffe, dass viele neue Gesichter eine Chance bekommen.

Bisher gab es, schematisch gesagt, für die Zukunft der Parteispitze zwei Ideen oder Sehnsüchte: So einen wie Sebastian Kurz, was unter JUlern durchaus verbreitet war, oder eine Verlängerung der Merkel-Ära in die Zukunft. Beides ist gescheitert. Und nun?

Fischer: Das, was ich mir wünschen würde, ist dieses Momentum, das die ÖVP hatte: einen charismatischen Politiker, der an der Spitze steht, der die Partei zu einer neuen Stärke führen kann, der sie ganz anders gestaltet hat und damit zu etwas großem Neuen gemacht hat.

Kemmer: Vielleicht kann man über die Kriterien Reprint und moderne Kommunikation sprechen, den Mut, junge Menschen in Verantwortung zu lassen. Aber sonst gibt es an Kurz überhaupt nichts schönzureden, finde ich. Ich glaube, den meisten geht es darum, einfach mal einen größeren Umbruch zu wagen.