Sondierungen zur Regierungsbildung: Kill your darlings

Alle beteiligten Parteien versprechen bei den Sondierungen den großen Wurf. Doch der Weg zur Regierung wird steinig – und der Zwang zum Minimalkonsens groß sein.

Klingbeil, Baerbock und Habeck von hinten, stehen vor Medienvertretern und Kameras.

Lassen vieles noch im Dunkeln: Klingbeil, Baerbock und Habeck nach den Sondierungen am Sonntag Foto: Annegret Hilse/reuters

Jetzt haben sich alle Parteien, außer Union und Grüne, mal getroffen. Sind wir jetzt schlauer? Die Erklärungen von Paul Ziemiak und Volker Wissing, Robert Habeck und Lars Klingbeil nach den Treffen sind nur begrenzt interessant. Man sagt, dass man nichts sagt.

Jede Andeutung könnte ja Erwartungshaltungen beeinflussen, womöglich zuungunsten eigener Möglichkeiten. Deshalb klingen alle wie Sprechautomaten. Wenn Annalena Baerbock abends im Licht der Kameralampen berichtet, dass sie leider nicht verraten kann, was es beim Treffen mit der SPD zu essen gab, weil man Vertraulichkeit vereinbart hat, ist die Grenze zum Lächerlichen markiert.

Spieltheoretisch ist die Lage aber hoch interessant. Wir beobachten, wie für ein neues Spiel, für das es kaum Routinen gibt, Regeln entwickelt werden, und zwar während das Spiel läuft. Früher war klar: Bei Rot-Grün und Schwarz-Gelb hatten die Volksparteien das Sagen – Grüne und FDP mussten ihre Rollen in Bezug auf die Großen finden.

Bei den Großen Koalitionen konnte die SPD als Juniorpartner in Koalitionsverhandlungen viel durchsetzen. Sie machte im Maschinenraum die Politik, die Union bremste und gewann die nächste Wahl. All das gilt jetzt nicht mehr.

Es geht jetzt offenkundig erst mal um Inszenierungen. Die Selfies von FDP und Grünen waren eine Botschaft an die SPD: Die Zeiten, als sich Volksparteien eine Milieupartei zwecks Mehrheitsbeschaffung organisierten, sind vorbei. Jetzt herrschen neue Regeln. Aber welche?

Viel spricht für die Ampel. Das beste Argument dafür ist die CSU, die schon seit Monaten klamaukhaft zwischen Treueschwüren für Laschet und offenem Aufstand schwankt. CSU-Generalsekretär Markus Blume bekundete nach dem Treffen mit der FDP vor staatstragend seriösem, grauen Hintergrund, er habe „Lust auf mehr“. Es ist bei der CSU nicht leicht zu erkennen, wo aktuell die Grenze zur Ironie verläuft.

Die SPD macht Tempo

FDP-Mann Wissing sah nach dem Treffen mit der SPD große Klippen, bei der Union hingegen keine. Aber die FDP muss ja Distanz zur Ampel halten, mindestens solange die zusehends desolate Union noch im Spiel ist. Die SPD macht nun Tempo und bereitet optimistisch das erste Gespräche zu dritt mit Grünen und FDP vor.

Klar ist: Der Weg zu jeder Regierung wird für die Parteien steinig. Schon das gewöhnungsbedürftige Wort Vorsondierungen kündigt an: Es wird kompliziert.

Denn die Geschäftsbedingungen für Koalitionen sind in der Post-Volkspartei-Ära komplexer geworden. Kompromisse zwischen drei Parteien sind schwergängiger als zwischen zweien. Lindners Ausstieg aus den Jamaika-Verhandlungen 2017 war da ein Vorgeschmack. Und: In der Ära der Volksparteien fand die Kompromissbildung in den Parteien selbst statt. Das wurde auf dem Wählermarkt zusehends zum Malus: Es fehlt ja das Alleinstellungsmerkmal.

Der Zwang zur Einigung

So verschieben sich in der Post-Volkspartei-Ära die Kompromissbildungen in die Koalitionsverhandlungen. Damit wächst die Kluft zwischen vollmundigen Wahlversprechen, für mehr Gerechtigkeit oder Steuersenkungen zu sorgen, und dem Zwang zur Einigung nach der Wahl. Von der CDU bis zu den Grünen beteuern nun alle, es bei der Regierungsbildung keinesfalls beim kleinsten gemeinsamen Nenner zu belassen. Aber dafür spricht wenig.

Ein Beispiel: Es wird in der Ampel schwierig, im Kernbereich Finanzen einen Kompromiss zwischen SPD und FDP zu finden. Die wundersame Wiederauferstehung der SPD verdankt sich auch dem Vertrauen, dass sie wieder für soziale Gerechtigkeit sorgt. Das passt schlecht zu dem Lobbyismus für Reiche, der für die FDP ein Identitätsmarker ist. Die Logik der Deals könnte heißen: Kill your darlings. Oder auch: Lassen wir es, wie es ist.

Zu viel Aufbruchsprosa

Man sollte die vibrierende Reform- und Aufbruchsprosa, die derzeit bei den Vorsondierungen Konjunktur hat, mit Vorsicht genießen. Auch Paul Ziemiak fordert energisch, dass jetzt endlich Neues passieren muss. Er ist Generalsekretär einer Partei, die seit 16 Jahren regiert.

Der kleinste gemeinsame Nenner scheint derzeit zu sein, dass sich von CSU bis SPD alle einig sind, dass der kleinste gemeinsame Nenner wirklich nicht reicht. Man kündigt Neues, Reformen, kühne Würfe an. Das ist ein Nebelwerfer. Er soll verhüllen, wie groß der Zwang zum Minimalkonsens sein wird.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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