Patentlösung bleibt weiter außer Sicht

Aufregung um wieder nichts: Die EU verhindert auch nach einem Jahr jede Einigung darüber, wie der Patentschutz für Impfstoffe gegen Covid-19 aufgehoben werden könnte

Müssen die Profite des Herstellers Biontech tatsächlich auf Teufel komm raus geschützt werden? Foto: Fabian Sommer/dpa

Aus Genf Marc Engelhardt

Ein Jahr nachdem Indien und Südafrika die Aufhebung des Patentschutzes für Impfstoffe und andere Mittel zur Bekämpfung von Covid-19 gefordert hatten, ist in dem Streit innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) keine Lösung in Sicht.

Die Bilanz, die die Mitgliedstaaten in den vergangenen zwei Tagen in Genf gezogen haben, ist ernüchternd. Einzig die EU lobte, wie hilfreich die Konsultationen der vergangenen Monate gewesen seien, um mögliche Gemeinsamkeiten für eine Annäherung zu finden. Der Norweger Dagfinn Sørli, der die Verhandlungen moderiert, erklärte hingegen, er habe wenig Neues gehört. Die Positionen der Staaten seien quasi unverändert. Am kürzesten fasst Yuanqiong Hu die Diskussionen zusammen: Die WTO-Expertin von Ärzte ohne Grenzen (MSF) nennt die Fortschritte schlicht enttäuschend.

Denn eigentlich ist sich eine große Mehrheit der Mitgliedsländer längst einig, dass der Patentschutz zumindest zeitweise freigegeben werden sollte. Laut Indiens WTO-Botschafter sind es überhaupt nur noch eine Handvoll Staaten, die dem von Südafrika und Indien im Mai modifizierten Vorschlag nicht zustimmen wollen. Damals hatten die USA einer Aufhebung der Patente in der Coronapandemie überraschend zugestimmt. Seitdem sind vor allem EU-Staaten dagegen. Weil Entscheidungen innerhalb der WTO im Konsens gefällt werden müssen, können die Europäer einen Beschluss verhindern – und tun das auch.

Nur kurzzeitig sorgte die EU jetzt in Genf für Aufregung, als sie am Mittwoch einen neuen Vorschlag zirkulieren ließ, der auch der taz vorliegt. Er liest sich gut: Angesichts der außergewöhnlichen Umstände in der Pandemie und der Tatsache, dass Staaten ohne eigene Pharmaindustrie keinen Zugang zu Covid-19-Impfstoffen hätten, müsse das System zum Schutz des geistigen Eigentums dazu beitragen, die Kapazität der Impfstoffproduktion zu erhöhen. Das ist vornehm ausgedrückt dafür, dass es vor allem die Industriestaaten sind, die ihren Bürgerinnen und Bürgern bisher Impfstoff, Medikamente, Tests oder sogar Masken auf dem globalen Markt sicherten, während die Bewohner armer Staaten leer ausgingen.

Ein kurzzeitig eingebrachter Vorschlag der EU las sich nur auf den ersten Blick gut

Doch sosehr das EU-Papier nach einem Eingeständnis klang, so enttäuschend waren die Details. Das vorgelegte Papier sei sogar ein Rückschritt, der hinter früheren Zugeständnissen der EU zurückbleibe, sagt die WTO-Expertin Yuanqiong Hu. „Die Vorschläge der EU machen es Herstellern unmöglich, Impfstoff gegen Covid-19 herzustellen, denn wenn es etwa um die einzelnen Komponenten der Impfstoffe oder die zur Herstellung verwendete Technologie geht, würden nach wie vor die Restriktionen der WTO gelten.“ Gerade jetzt, wo globale Lieferketten so unsicher seien wie nie, sei der Vorschlag ungeeignet, um die Impfstoffproduktion massiv zu erhöhen. Genau das aber ist das Ziel des ursprünglichen Vorstoßes. „Und über den muss jetzt endlich wieder verhandelt werden.“

Ob das geschieht, ist trotz aller Lippenbekenntnisse aus Brüssel ungewiss. Kritiker werfen der EU vor, mit Vorschlägen wie dem jüngsten vor allem die Verhandlungen verzögern zu wollen, um die Profite der eigenen Pharmaindustrie möglichst lange zu sichern. Im Zweifel könne man irgendwann behaupten, dass die vorhandene Kapazität doch mittlerweile ausreiche, um den Mangel in Entwicklungsländern zu decken, so ein Unterhändler, der ungenannt bleiben will.

In den kommenden Wochen soll weiter gesprochen werden, doch für einen Durchbruch fehlt nicht nur dem norwegischen Verhandlungsführer die Fantasie. Die Zeit drängt, wenn die Aufhebung der Patente wie angestrebt auf der Ende November beginnenden Ministerkonferenz vereinbart werden soll.