Rechtstradikale und Impfgegner in Rom: Nicht immun gegen Faschismus

Italiens Verfassung verbietet faschistische Organisationen. Beim Sturm auf eine Gewerkschaftszentrale in Rom wurde klar, wie wenig dieses Verbot trägt.

Randalierer klettern durch ein Fenster

Sturm auf die Zentrale der Gewerkschaft CGIL in Rom: Szene vom vergangenen Samstag Foto: Remo Casilli/Reuters

ROM taz | Die Postenkette der Polizei war schnell überrannt, die wenigen Beamten, die sich noch vor dem Eingang in den Weg stellten, wurden mit Fahnenstangen zur Seite geprügelt, Scheiben gingen zu Bruch – und dann strömten Dutzende De­mons­tran­t*in­nen ins Innere des Gebäudes.

Es war Capitol Hill im Kleinen, was sich am Samstagabend in Rom in der Zentrale der CGIL, des größten Gewerkschaftsbundes Italiens, abspielte. Ein entfesselter Mob, in dem auch Gestalten mit nacktem, von Tattoos übersätem Oberkörper nicht fehlten, stürmte den Gewerkschaftssitz, zertrümmerte das Mobiliar und die Computer, beschädigte auch diverse wertvolle Gemälde, die an den Wänden hingen.

Und ganz wie im Januar in Washington wurden jetzt auch in Rom die Videos des Sturms in Echtzeit über die Social Media verbreitet. Einer, der sich dabei gleich selbst filmte, war Biagio Passaro, Manager einer Pizzeriakette, der zu den Anführern der unter Restaurantbesitzerinnen und Händlern entstandenen Bewegung „Io apro“ („Ich mache auf“) gehört – einer Bewegung, die den Protest zuerst gegen die Einschränkungen der diversen Lockdowns entfachte und jetzt gegen den „Grünen Pass“ mobilisiert.

Auf den Bildern sind allerdings ganz vorne auch Roberto Fiore, Gründer und Chef der neofaschistischen Organisation Forza Nuova (FN), sowie sein Mitstreiter Giuliano Castellino, der Häuptling des Stadtverbands Rom von FN, zu sehen. Ihre Schläger waren die Speerspitze der Attacke auf den Gewerkschaftssitz.

„Freiheit, Freiheit!“

Es war Querdenken auf Italienisch, inklusive dem bisher nicht erlebten Schulterschluss zwischen einer offen faschistischen Organisation und Tausenden Protestierer*innen, die immer wieder beteuern, sie seien „unpolitisch und parteilos“, ansonsten aber nichts dabei finden, an der Seite von Fans der faschistischen Diktatur „Freiheit, Freiheit!“ zu grölen.

Am Samstag erreichte dieser Protest eine neue Dimension. Zum Protest – einem Sit-in auf der zentralen Piazza del Popolo – hatte über die Social Media die Initiative „Liberi cittadini“ („Freie Bürger“) aufgerufen. Die Polizei will auf der Piazza 10.000 Menschen gezählt haben, doch es waren wohl eher 30.000, die aus ganz Italien angereist waren. Am 15. Oktober nämlich wird in Italien eine weitere Verschärfung der Coronaregeln in Kraft treten.

Der „Grüne Pass“ – das ist 3G auf Italienisch – wird dann auch an allen Arbeitsplätzen verbindlich sein. Wer sich nicht impfen lassen will, muss alle 48 Stunden einen Test vorlegen, für den 15 Euro zu berappen sind. Zwar sind in Italien über 43 Millionen Menschen und damit fast 75 Prozent schon komplett geimpft, doch Millionen im erwerbsfähigen Alter sind es (noch) nicht. Bei vielen von ihnen ist jetzt der Ärger groß, viele sehen den Grünen Pass als Tyrannei, gegen die man auch an der Seite von Faschisten kämpfen kann.

„Heute nehmen wir uns Rom“, brüllte der FN-Mann Castellino vom Podium auf der Piazza del Popolo herunter. Es folgte der Sturm auf die CGIL, dann der Versuch, zum Sitz des Ministerpräsidenten vorzudringen, ein Versuch, den die Polizei in stundenlangen Straßenschlachten zurückschlug.

Geschockt zeigt sich jetzt das politische Rom. Der Staatspräsident ebenso wie alle Parteien bis hin zur rechtspopulistischen Lega und den postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens) schickten Solidaritätsadressen an Maurizio Landini, den Vorsitzenden der CGIL. Ministerpräsident Mario Draghi stattete der CGIL am Montag demonstrativ seinen Besuch ab. Doch ausgerechnet die FdI-Chefin Giorgia Meloni sah zwar „Schlägertum“ am Werk, leugnete aber zugleich den „ideologischen Hintergrund“, sprich die faschistische Handschrift. Und kaum hatte sie sich von den Gewalttätern distanziert, redete sie diese zu „einer Handvoll Idioten, die der Regierung nützlich sind“, klein und sprach ihre Solidarität umgehend auch „den friedlichen Demonstranten“ aus.

Mussolinis Horden

Auch Lega-Chef Matteo Salvini will auf den Protest nichts kommen lassen, „beeindruckt“ habe ihn das „Meer von Menschen“ auf der Piazza. Den Faschisten jedoch weht der Wind ins Gesicht. Am Sonntag wurden Fiore und Castellino festgenommen, die gemäßigt linke Partito Democratico will einen Entschließungsantrag ins Parlament einbringen, der das Verbot von Forza Nuova fordert – schließlich untersagt Italiens Verfassung die Tätigkeit faschistischer Organisationen.

Die gleiche Forderung erheben auch die Gewerkschaften. Sie rufen für den kommenden Samstag zu einer großen antifaschistischen Demonstration in Rom auf. Denn anders als Meloni erinnern sie sich bestens daran, dass es vor exakt 100 Jahren die faschistischen Horden Mussolinis waren, die im gesamten Land Gewerkschaftssitze stürmten und niederbrannten.

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