„Ein paar Tricks verraten“

Den geplanten Wechsel ins Abgeordnetenhaus hat sie bei der jüngsten Wahl ganz knapp verpasst: Künftig wolle sie als Aktivistin die Verkehrswende voranbringen, sagt die grüne Noch-Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann. Hier verrät sie, wie

Monika Herrmann neben einem der breiten Pop-up-Radwege, die in ihrem Bezirk erfunden wurden Foto: Jörg Carstensen/dpa/picture alliance

Interview Bert Schulz

taz: Frau Herrmann, Sie haben den Einzug ins Abgeordnetenhaus verpasst. Sind Sie enttäuscht?

Monika Herrmann: Ehrlich gesagt: nein.

Das glaube ich nicht.

Stimmt, es ist komplex. Wir Grünen haben in dem Wahlkreis in Friedrichshain-Kreuzberg, in dem ich direkt kandidiert habe, so gut abgeschnitten wie noch nie. Es fehlten nur 0,9 Prozentpunkte, um ihn der Linkspartei abzunehmen. Ich bin also verdammt nah rangekommen. Und dass ich über die Liste nicht ins Parlament gekommen bin, liegt daran, dass sehr viele Grüne ihr Direktmandat gewonnen haben. Das freut mich.

Aber für Sie persönlich muss es doch traurig sein, dass es jetzt politisch erst mal nicht mehr weitergeht.

Im Gegenteil: Ich fühle mich jeden Tag ein bisschen befreiter aus den Zwängen des politischen Alltags. Ich kann bald wirklich wieder komplett selbst entscheiden über mein Leben. Es gibt Momente, da fühle ich mich geradezu euphorisch. Denn ich habe gemerkt: Ich brauche von der Bürgermeisterei, also von dieser Verantwortung, mal eine Pause. Und wir verhandeln im Bezirk jetzt ganz schnell, damit das neue Bezirksamt steht, ich also mein Amt als Bürgermeisterin weitergeben kann.

Sie hatten schon vergangenes Jahr angekündigt, als Bürgermeisterin aufzuhören, und dabei auch ausgeschlossen, dass Sie Senatorin werden könnten oder etwas Ähnliches.

Ich weiß, ich könnte ein solches Amt ausfüllen. Aber dieses Gefühl der Freiheit, das ich gerade beschrieben habe, wäre ja weg, wenn ich ein Amt als Senatorin anstreben würde.

Auf Twitter, Ihrer liebsten Social-Media-Plattform, haben Sie angekündigt, sich politisch um die Umsetzung der Verkehrswende zu kümmern. So ganz ohne Politik geht es also doch nicht.

Nein, aber ich freue mich darauf, jetzt endlich mal wieder ganz frei Politik zu machen. Und richtig: Mit Franziska Giffey bekommen wir wohl eine Regierende Bürgermeisterin, die die Verkehrswende gar nicht will.

Wie stellen Sie sich diese unabhängige Politik konkret vor?

Wir Grünen haben jetzt voraussichtlich doppelt so viele Stadträtinnen und Stadträte wie bisher, und das in jedem Bezirk außer Marzahn-Hellersdorf. Das ist ein Riesenerfolg. Und viele dieser neuen Stadträtinnen und Stadträte wollen die Verkehrswende aktiv umsetzen. Ich will ihnen dabei helfen, indem ich das, was wir in Friedrichshain-Kreuzberg vor allem in den letzten beiden Jahren gelernt haben, in die anderen Bezirke hineintrage, Erfahrungen weitergebe und auch ein paar Tricks verrate.

Das klingt nach politischer Beratung oder Aktivistin.

Aktivistin trifft es. Viele Grüne arbeiten ja in verkehrspolitischen Initiativen mit. Und die Grünen müssen sich stärker mit diesen Initiativen vernetzen. Das ist mir wichtig.

In Ihren Tweets schreiben Sie schon mal von einer APO, also einer außerparlamentarischen Opposition. Das suggeriert eine gewisse Radikalität.

Na ja, es kommt darauf an, welche Politik das Abgeordnetenhaus machen wird. Ich und auch viele Aktivistinnen und Aktivisten erwarten, dass das Parlament die Mobilitätswende ernst nimmt. Es kommt also darauf an, wie Franziska Giffey damit umgeht; bisher lehnt sie ja alles ab. Und in diesem Fall muss es von unserer Seite her, also von Straße und Partei, entsprechenden Druck geben.

Damit machen Sie auch Ihrer eigenen Partei Druck, die ja wahrscheinlich wieder Teil der nächsten Regierung sein wird.

Der gesamten künftigen Koalition. Unsere Verkehrssenatorin Regine Günther ist ja in der bald endenden Legislaturperiode mit einigen Zielen an Kollegen im Senat gescheitert, etwa an SPD-Innensenator Andreas Geisel. Wir erwarten als Partei, dass nun wesentliche Schritte in Sachen Verkehrswende gemacht werden und auch viel konsequenter als bisher umgesetzt werden. Die Hinhaltetaktik der letzten fünf Jahre muss vorbei sein. Da stellt sich zum Beispiel die Frage, ob genügend Geld vom Senat für die Bezirke bereitgestellt wird.

Sie waren selbst sehr lange in der Bezirkspolitik. Es hat bekanntlich auch eine ganze Weile gedauert, bis die Verkehrswende in Friedrichshain-Kreuzberg anlief. Ist es nicht ein bisschen wohlfeil, jetzt von außen etwas einzufordern, was Sie selbst als Bürgermeisterin nicht wirklich umgesetzt haben?

Für Verkehr war ich erst die letzten zwei Jahre zuständig, und in dieser Zeit ist ja viel passiert.

Als Bürgermeisterin haben Sie aber für das gesamte Bezirks­amt den Hut auf.

Es stimmt: Wir hätten in den Jahren vor 2019 deutlich mehr machen können, das habe ich ja auch nie bestritten. Es gab allerdings auch Hürden; zum Beispiel die harten Auseinandersetzung mit der Verkehrslenkung Berlin. Wir konnten ja als Bezirk noch nicht mal einen Zebrastreifen aufmalen. Aber seitdem haben wir den Turbo eingelegt und nicht nur einen Schwerpunkt auf die Verkehrswende gelegt, sondern auf die gesamte Umgestaltung des öffentlichen Raums.

Stellt sich die Frage: Wie wollen Sie künftig Ihr Geld zum Leben verdienen?

Ich bin nach acht Jahren als Bezirksbürgermeisterin in einer sehr privilegierten Situation: Ich bekomme Ruhegeld nach meinem Ausscheiden bis zum Ende meines Lebens. Die Summe kenne ich noch nicht; es ist natürlich weniger als jetzt, und vielleicht muss ich noch etwas dazuverdienen. Aber erst mal beruhigt das sehr.

Sie können Vollzeitaktivistin werden.

Monika Herrmann, 57, war seit August 2013 Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg. Zuvor war die gebürtige Neuköllnerin Jugend- und Familienstadträtin des Bezirks. Herrmann war bei ihrem Amtsantritt mit dem von Geflüchteten besetzten Oranienplatz konfrontiert und erntete für ihren Umgang mit den Besetzer*innen aus Kreisen der Unterstützer*innen Kritik.

Clara Herrmann heißt Monika Herrmanns designierte Nachfolgerin als Bezirksbürgermeisterin, mit der sie nicht verwandt ist. Die 36-Jährige ist seit 2016 Bezirksstadträtin für Finanzen, Umwelt, Kultur und Weiterbildung in Friedrichshain-Kreuzberg. (taz)

Davon gehe ich jetzt erst mal aus. Deswegen geht es mir auch so gut.

Haben Sie ein erstes konkretes Ziel oder Projekt?

Ja. Als Allererstes möchte ich mich mit den Grünen und Initiativen aus den Außenbezirken treffen, damit wir uns anschauen, was Verkehrswende eigentlich für die Außenbezirke heißt. Ich weiß, es geht um Busanbindung, Fahrradabstellplätze und so weiter. Ich wünsche mir aber einen detaillierteren Austausch: In den Bezirksparlamenten sitzen Abgeordnete, die sich schon seit langer Zeit um dieses Thema kümmern. Vielleicht gelingt es uns, eine Konferenz auf die Beine zu stellen zum Thema ­Verkehrswende dort. Ich bin auch ein großer Fan von Kiezblocks …

also der Sperrung eines Viertels für Durchgangsverkehr.

Mein Wunsch wäre, am Ende dieser Wahlperiode in jedem Bezirk mehrere Blocks zu haben, um die Wege etwa für Schülerinnen und Schüler sicherer und die Kieze lebenswerter zu machen. Ich werde genau hinschauen, wo der Senat diese Projekte unterstützt, auch finanziell.

Es gibt in Berlin mehrere mehr oder weniger hauptberufliche Ver­kehrs­ak­ti­vis­t*innen. Heinrich Strößenreuther etwa hat den Radentscheid 2016 sehr professionell organisiert, auf den sich die Verkehrswende in den vergangenen Jahren stark stützte. Dann ist er der CDU beigetreten in der wohl trügerischen Hoffnung, dort Klimapolitik vorantreiben zu können. Haben Sie trotzdem schon mal mit ihm telefoniert zum Erfahrungsaustausch?

Nein, bisher nicht. Ich habe zuletzt auch nichts mehr von ihm gehört oder gelesen.

Nun ist er ja politisch wieder in der Opposition gelandet.

Sobald er sich sortiert hat und wieder in der Stadtgesellschaft auftaucht, rede ich auch mit ihm. Klar.