Compact Magazin und Lina E.: Kein Verdacht

Seit Monaten veröffentlicht das rechtsradikale Compact Magazin zum Fall Lina E. Ermittlungsinterna. Im Fokus: ein Ermittler der Soko Linx.

2 Männer halten ein Werbeplakat für das Magazin Compact

Wer ist hier eine Gefahr für die Gesellschaft? Werbung für Compact Foto: Mark Mühlhaus/attenzione

Es ist der Tag vor dem Prozessbeginn gegen Lina E. Anfang September, als auf der Internetseite des stramm rechten Compact-Magazins ein Artikel erscheint. Berichtet wird „über die gefährlichste Linke Deutschlands“, die bei vollem Namen genannt wird: Lina E. Und das Magazin geht noch weiter. Unverpixelt zeigt es Bilder der 26-Jährigen, auch Observationsfotos und Phantombilder der Polizei, sowie ein Privatbild der Leipzigerin mit ihrem Verlobten, der ebenfalls mit vollem Namen benannt wird.

Unschuldsvermutung? Schutz von Persönlichkeitsrechten? Hier nicht. Dabei sind das Grundsätze der journalistischen Verdachtsberichterstattung. Für Compact zählt dagegen offenbar etwas anderes: das Ausschlachten des Falls Lina E. für seine politischen Zwecke – und das schon seit Monaten.

Schon seit März, noch vor der Anklageerhebung, berichtet Compact – das sonst eher mit rechten Krawallgeschichten statt Recherchen auffällt – über die „brutale Antifa-Hammerbande“ und ihre „mysteriöse Kommandoführerin“. Dass die Bundesanwaltschaft Lina E. vorwirft, eine linkskriminelle Gruppe gegründet zu haben, um mehrere schwere Angriffe auf Rechtsextreme zu verüben, passt dem Magazin ins Konzept. Herausgegeben wird es von dem nach rechts abgedrifteten Jürgen Elsässer, es bespielt auch einen 150.000 Abonnenten zählenden Online-TV-Kanal.

In mehreren Artikeln und einem ganzen Sonderheft zur „Antifa“ veröffentlicht Compact seitdem Interna aus dem Verfahren. „Der blonde Engel – Terror aus Connewitz“, heißt es da. Benannt werden immer wieder teils volle Namen von Beschuldigten, interne Polizeifotos werden gezeigt, Vorstrafen ausgebreitet, über angebliche „Drogendeals“ geraunt. Zu Lina E. – „roter Nagellack, Minirock“ – fällt der Vergleich mit den „RAF-Terroristinnen wie Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin“. Dass hier eine linke Frau angeklagt ist, scheint das rechte Milieu besonders zu triggern.

Als Quelle wird angegeben: Polizei

Einer der Autoren: Mario Alexander Müller, einst Aktivist der rechtsextremen Identitären, verurteilt wegen Körperverletzung. Und Compact prahlt, man habe „tausende Seiten Fallakten gesichtet“. Als Quelle für die Fotos aus den Ermittlungsakten wird angegeben: „Polizei“.

Das ist heikel. Denn der Verfassungsschutz stuft Compact als rechtsextremen Verdachtsfall ein. Das Magazin veröffentliche „Fundamentalangriffe auf demokratische Institutionen und Verfassungsorgane“, pflege Kontakte zu Rechtsextremisten und rufe mit „Revolutionsrhetorik“ selbst zum Sturz der Bundesregierung auf, heißt es dort. Und ausgerechnet hier landen Ermittlungsinterna zum Fall Lina E.?

Verfahren wegen Verrats von Dienstgeheimnissen

Seit einer Woche nun ist klar: Es wird wegen der Durchstechereien ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz bestätigte der taz, dass im Fall Lina E. ein Verfahren wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen gegen unbekannt eingeleitet wurde. In den Blick genommen werden dafür auch die Ermittler, welche die Vorwürfe gegen Lina E. zusammentrugen: die Soko Linx des LKA Sachsen.

Die Ermittlungsgruppe wurde im November 2019 gegründet, nachdem sich in Leipzig Angriffe auf Baustellen, Polizeireviere und Autos häuften, die der autonomen Szene zugerechnet wurden. Größere Ermittlungserfolge aber blieben aus – bis zur Festnahme von Lina E. Doch die Beweislage in ihrem Fall bleibt wackelig, wie sich im bisherigen Prozessverlauf zeigte.

„Beispiellose Vorverurteilung“

Neben Compact veröffentlichten auch konservative Medien wie Focus oder Welt früh Ermittlungsinterna. Die Verteidiger von Lina E. stellten deshalb bereits im Dezember 2020 Anzeige bei der Bundesanwaltschaft wegen der strafbaren Weitergabe von Akten durch Ermittlungsbehörden. Auch zu Prozessbeginn vor dem Oberlandesgericht Dresden kritisierten sie die Durchstechereien scharf: Diese sorgten für eine „beispiellose Vorverurteilung“. Offenbar solle das Verfahren „für rechte politische Interessen genutzt“ werden.

Im Prozess äußerte der Richter den Verdacht, dass die Informationen von Anwälten der angegriffenen Neonazis weitergetragen worden sein könnten, die dort als Nebenkläger sitzen. Tatsächlich sind diese einschlägig vertreten: durch Frank Hannig etwa, der zuletzt den Lübcke-Mörder Stephan Ernst verteidigte, oder Martin Kohlmann, Chef des rechtsextremen „Pro Chemnitz“. Dass ihr Draht zur rechtsextremen Szene kurz ist, zeigte sich gleich zu Prozessbeginn: Noch im Saal machte Kohlmann ein Foto der Angeklagten – das umgehend der NPD-Aktivist Sebastian Schmidtke auf Twitter veröffentlichte.

Gibt die Soko Linx direkt Infos weiter?

Die VerteidigerInnen – und nun auch die Staatsanwaltschaft Chemnitz – haben dagegen den Verdacht, dass die Soko Linx auch ganz direkt Informationen an Compact weitergibt. Und eine Person gerät dabei besonders in den Fokus: Soko-Ermittler Patrick H. Vor einer Woche war der Enddreißiger im Prozess gegen Lina E. geladen, sollte zu den Ermittlungen zum Fall des angegriffenen Ex-NPD-Mann Enrico Böhm aussagen. Überraschend erschien Patrick H. aber mit einem Anwalt – und berief sich auf einige Fragen plötzlich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, da möglicherweise Ermittlungen gegen ihn liefen.

Und diese laufen tatsächlich. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz bestätigte der taz, dass seit wenigen Tagen gegen Patrick H. wegen Verrats von Dienstgeheimnissen ermittelt werde. Ursache ist ein anderer Ermittlungsfall der Soko gegen einen Leipziger: der von Henry A. Dem 33-Jährigen wird vorgeworfen, im September 2019 an einem Angriff von linken Chemie Leipzig-Fans auf rechte Anhänger des FC Lokomotive Leipzig beteiligt gewesen zu sein – was Henry A. vehement bestreitet und bis heute unbewiesen ist. Die Lok-Fans wurden damals in einer S-Bahn mit Pyrotechnik beschossen, eine Person leicht verletzt.

Der Fall Henry A.

Ende April erfolgten deshalb Durchsuchungen im Leipziger Stadtteil Connewitz gegen fünf Beschuldigte. Nur einen Tag später berichtete erneut Compact dazu „exklusiv“ Ermittlungsinterna. Als erste benannte es Henry A. als Beschuldigten, seine Arbeitsstelle bei der Stadtverwaltung und die Dauer der Razzia. Wenige Wochen später legte das Magazin nach, veröffentlichte nun auch ein Observationsfoto von Henry A. und interne Polizeiberichte über ihn. Der reagierte mit einer Strafanzeige, ebenso wie Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) als oberster Dienstherr und das LKA Sachsen selbst. Compact löschte darauf beide Artikel über Henry A. aus dem Internet.

Laut Staatsanwaltschaft steht Patrick H. nun im Verdacht, im Fall Henry A. Dateien aus einem beschlagnahmten Handy verschickt zu haben. Der Anwalt von Henry A. übermittelte der Behörde dafür einen Schriftsatz mit Indizien. Den Leipziger kennt Patrick H. gut: Schon vor Jahren war er nach taz-Informationen maßgeblich an den Ermittlungen gegen Henry A. und mehrere BSG Chemie-Fans beteiligt, die verdächtigt wurden, als kriminelle Bande Angriffe auf Rechtsextreme verübt zu haben. Patrick H. schrieb dabei auch Personenberichte zu Henry A..

Rund 200 Personen abgehört

Der Fall geriet zum Skandal: Rund 200 Personen wurden damals abgehört, auch Gespräche mit Jour­na­lis­t:in­nen oder An­wäl­t:in­nen – das Verfahren 2017 ergebnislos eingestellt. Und es gäbe auch ein aktuelles Motiv: Denn Henry A. genehmigte in der Stadtverwaltung im Frühjahr ein Bauprojekt in der Nachbarschaft von Patrick H. – das eine Bürgerinitiative, an der sich laut A. der Polizist und seine Frau beteiligten, ablehnten. Mehrmals habe H.s Frau sich deshalb auch direkt telefonisch bei ihm beschwert. Sollte Henry A. öffentlich und bei seinem Arbeitgeber diskreditiert werden, um das Bauprojekt noch zu stoppen?

Henry A. selbst jedenfalls beklagt eine „jahrelange Kampagne“ gegen sich. „Dass das LKA dafür nun offenbar mit dem rechten Compact paktiert, ist unfassbar“, sagte er der taz.

Ist es Ermittler Patrick H., der auch im Fall Lina E. Informationen an Compact weitergab? Die Staatsanwaltschaft verweist hier darauf, dass gegen unbekannt ermittelt werde. Compact wie das LKA Sachsen schweigen dazu auf taz-Nachfragen. Man unterstütze die Aufklärung, sagt ein LKA-Sprecher lediglich. Was an den Vorwürfen dran sei, werde sich am Ende zeigen.

Journalistenverband rügt Compact

Der Deutsche Journalistenverband rügt Compact dagegen schon heute scharf. Medien hätten sich daran zu halten, dass Angeklagte bis zu einem Urteil als unschuldig gelten, betont Sprecher Hendrik Zörner. „Die Veröffentlichung ungepixelter Fotos und die Verdachtsberichterstattung von Compact sind aber nichts anderes als eine Vorverurteilung.“ Auch müssten die Ermittlungsbehörden beantworten, wie Compact an die Fotos der Beschuldigten gelangte.

Ulrich von Klinggräff, Verteidiger von Lina E., kündigt presserechtliche Schritte gegen Compact an. „Die Artikel zu unserer Mandantin werden wir so nicht stehen lassen.“ Schon im Mai hatte Compact eine Unterlassungserklärung kassiert. Zuvor hatte es über angebliche Kontakte der Linken-Landtagsabgeordneten Juliane Nagel zu einem Beschuldigten im Lina E.-Verfahren berichtet. Nagel bestritt das unter Eid – und bekam vom Leipziger Landgericht recht. Wird die Aussage nun wiederholt, droht Compact ein Strafgeld von 250.000 Euro oder sechs Monate Haft für Herausgeber Elsässer.

Auch in diesem Verfahren hatte Elsässer indes behauptet, man habe sich die Information von einem LKA-Ermittler namens Christian M. bestätigen lassen. Das Gericht hielt das für nicht überzeugend. Für Lina E.-Verteidiger von Klinggräff wäre es dagegen „ein echter Skandal“, wenn sich bestätigt, dass Ermittler Aktendetails an rechtsradikale Medien weitergaben. „Das stärkt den Verdacht, dass hier politisch orientiert ermittelt wurde. Hinter die vorgelegten Beweise setzt das ein nochmal viel größeres Fragezeichen.“

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