Aktivistinnen über Feminismus im Wahlkampf: „Es geht nicht um die weiße cis Frau“

Wie positionieren sich demokratischen Parteien zum Feminismus? Sally Lisa Starken und Cordelia Röders-Arnold haben dafür einen Wahl-O-Maten entworfen.

Eine Frau hält ein Plakat mit einem Frauenzeichen und einer Faust in die Höhe

Wie wählt man denn feministisch? Demo zum Internationalen Tag der Frau in Berlin Foto: Stefanie Loos

taz: Frau Starken, Frau Röders-Arnold, Sie haben Wahltraut, einen Wahl-O-Maten für Feminismus, entworfen. Wie haben Sie das gemacht?

Sally Lisa Starken: Wir haben Wahlprüfsteine gemeinsam mit Organisationen und Ak­ti­vis­t:in­nen formuliert. So sind die Forderungen der Organisationen eingeflossen. Die Antworten sind von den Parteien selbst gekommen. Wir haben alles gegengecheckt, die Parteien mussten uns sogar die Seitenanzahl ihres Wahlprogramms schicken. Das haben wir geprüft.

Wie wählt man denn feministisch?

Cordelia Röders-Arnold: Man kann sich angucken: Wie viel verdienen Frauen? Wie groß ist die Gender-Pay-Gap zwischen Frauen und Männern? Wie viele Frauen und wie viele Männer sind im Bundestag? All das könnte man sich anschauen, wenn man sich für einen größeren Blick auf das Thema Feminismus interessiert und die Parteien darauf prüfen möchte.

Sally Lisa Starken und Cordelia Röders-Arnold arbeiten gemeinsam mit sechs anderen seit zehn Monaten ehrenamtlich für Wahltraut. Sie haben dafür allen Parteien im Bundestag ihre Fragen zur feministischen Maßnahmenpolitik zugeschickt – auch der AfD. Von der kam als einziges keine Rückmeldung. Foto: Hella Wittenberg

Wie haben Sie das für Wahltraut gelöst?

Röders-Arnold: Wir haben uns für einen intersektionalen Feminismus entschieden. Also auch marginalisierte Personen miteinbezogen, die nicht zwischen Männern und Frauen entschieden werden. Sondern auch Themen wie zum Beispiel Anti-Rassismus, Inklusion und queere Rechte einbezogen.

Also Maßnahmen, die feministisch sind, obwohl es nicht unbedingt explizit draufsteht.

Röders-Arnold: Genau. Themen, bei denen nicht unbedingt „Frau“ draufsteht, können trotzdem wichtige feministische Forderungen sein. Wir fragen: Sollen Frauenhäuser barrierefrei sein? Soll die Bundesregierung dafür sorgen, dass die deutsche Kolonialgeschichte aufgearbeitet wird? Um anzuerkennen, dass es nicht um die Gleichberechtigung der weißen cis Frau geht. Wir wollen gerne, dass alle Menschen gleiche Rechte bekommen.

Starken: Es gibt Themenbereiche, da denkt man: Das geht doch alle Menschen etwas an? Und das ist natürlich auch so, aber die Menschen, die maßgeblich darunter leiden, dass sie keinen Mindestlohn bekommen, sind ganz oft alleinerziehende Mütter oder Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Oder Frauen in der Pflege.

Röders-Arnold: Auch das Thema haushaltsnahe Dienstleistungen, die staatlich gefördert werden sollen, gehört dazu. An der Oberfläche setzen wir uns gerne mit den Diskussion auseinandersetzt: Wie können wir es schaffen, Kinder und Arbeit besser miteinander zu verknüpfen? Dass aber die Konsequenz daraus ist, dass, „wenn eine Frau das hinbekommt“, oft eine Person den Haushalt schmeißt, die eben in einer noch weiter nach unten priviligierteren Situation ist. Es kann nicht das Ziel sein, dass auf dem Rücken von noch weniger priviligierten Personen die weiße cis Frau Karriere machen kann. Es muss nicht nur an der Oberfläche Gleichstellung stattfinden, sondern ganzheitlich.

Wie stehen die Parteien zu diesem Thema?

Röders-Arnold: Alle von uns befragten Parteien lagen da nah beieinander, sie wollen legale Arbeit in Privathaushalten fördern.

Gibt es Parteien, die den Zusammenhang zwischen Feminismus und Klimaschutz erkennen?

Starken: Ja. Ganz stark haben die Linken diesen Querschnitt gemacht. Die haben es explizit in ihrem Wahlprogramm drinnestehen. Sie schreiben dort, dass gerade Frauen von der Klimakrise betroffen sind, stärker in Armut leben und das ist genau diese Verbindung, die man bei diesen Themen haben muss.

Wie haben Sie das abgefragt?

Starken: Es gibt den Vorschlag, dass es einen Rat geben soll von Klima-Aktivist:innen. Sowohl CDU als auch FDP haben sich dazu neutral verhalten. Sie sind nicht auf die Details eingegangen, dass es marginalisierte Gruppen mehr treffen kann. Die anderen Parteien, die Grünen und die SPD haben es bejaht.

Röders-Arnold: Von der FDP gab es keine Angabe. Auch bezeichnend.

Wie positionieren sich die Parteien zu queeren Rechten?

Starken: Die Wahlprüfsteine für queere Rechte wurden geschrieben von Felicia Ewert, vom Bundesverband Trans*, von Phenix Kühnert und vom Schwulen- und Lesben-Verband. Vor allem die Grundgesetzänderung über das Selbstbestimmungsgesetz war wichtig.

Röders-Arnold: Gerade beim Thema LGBTIQ+ war ich doch überrascht, dass einige Parteien sehr progressiv – was heißt progressiv? – sehr queerfreundlich vorhaben unterwegs zu sein. Beim Thema Blutspendeverbot für homo- und bisexuelle Männer und transgeschlechtliche Menschen, da waren alle Parteien dabei, die sagen, wir wollen das abschaffen. Anders sah es beim Thema Transsexuellengesetz aus.

Wie unterscheiden sich die Meinungen für dieses Gesetz?

Röders-Arnold: Es ist ein super wichtiges Gesetz, weil das Transsexuellengesetz wahnsinnig veraltet ist. Es stellt transsexuelle Personen vor die Herausforderung, dass sie ihren Geschlechtseintrag erst dann ändern können, wenn Ärz­t:in­nen ihnen bescheinigen nach einem sehr langen und schwierigen Weg, dass sie ihren Personenstand ändern können. Das ist nicht gut. Deswegen soll es ein Selbstbestimmungsgesetz geben.

Wollen das alle Parteien? Im Juni ist es ja im Bundestag gescheitert.

Röders-Arnold: Fast alle Parteien haben bei Wahltraut gesagt: Ja, es soll ein Selbstbestimmungsgesetz geben, das das Transsexuellengesetz ablösen soll. Nur die CDU will das weiterhin nicht.

Das heißt: Wenn es wieder eine Koalition aus CDU und SPD gäbe, würde sich der Status Quo nicht verändern.

Röders-Arnold: Die Vergangenheit lässt darauf schließen, dass das für den Feminismus nicht die beste Kombination wäre.

Und was sagen die Parteien zu reproduktiven Rechten?

Röders-Arnold: Da haben wir – super wichtig – das Thema Paragraph 218 im Strafgesetzbuch. Der Schwangerschaftsabbruch muss raus aus dem Gesetzbuch. Die FDP haben die Frage zu 218 ausgeklammert.

Starken: Die CDU hat Nein gesagt.

Gibt es zu reproduktiven Rechten noch andere Fragen, die Sie berücksichtigt haben?

Starken: Wir haben danach gefragt, ob der Schwangerschaftsabbruch als Teil der medizinischen Grundversorgung aufgenommen werden soll. Da sind sich SPD, Linke und Grüne relativ einig mit Ja, bei der CDU ist es Nein und bei der FDP war es ein neutral.

Bei reproduktiven Rechten geht es aber ja nicht nur um Schwangerschaftsabbrüche. Haben Sie auch anderes abgefragt?

Starken: Wir haben einen Wahlprüfstein mit reingenommen über die selbstbestimmte Fortpflanzung von Frauen mit Behinderung, den wir sehr sehr wichtig fanden. Nur die CDU hat es neutral beantwortet – ohne Begründung. Alle anderen Parteien waren dafür. Also etwas, was relativ simpel umgesetzt werden könnte. Man sieht an so etwas halt immer, bei Übereinstimmungen: Ach, schau, mit solchen Part­ne­r:in­nen kann man so etwas gut umsetzen.

Welche Parteien haben viele Übereinstimmungen?

Röders-Arnold: Die SPD, Grüne und Linke waren sehr nah beieinander in ihren Antworten. Es gibt unter den 32 Fragen nur eine Abweichung unter diesen drei Parteien.

Starken: Wir waren erfreut, dass die FDP einen großen Teil zu queeren Rechten in ihrem Wahlprogramm aufgenommen hat. Auch, was reproduktive Rechte und Frauengesundheit anging, war relativ viel vorhanden. Wenn es um Arbeit geht, natürlich nicht mehr, für die FDP ist der Markt eher das Bestimmende.

Gibt es Themen, bei denen sich alle demokratischen Parteien einig sind?

Starken: Ja, zum Beispiel die flächendenkende Tarifbindung. Und dass Frauen beim Gründen von Unternehmen gefördert werden.

Röders-Arnold: Und, was es auch nicht reingeschafft hat, gerade bei reproduktiven Rechten, war: Alle Frauen sollen kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln erhalten. Das haben tatsächlich alle, die Grüne, Linke, SPD und mit Ja beantwortet, die FDP und die CDU mit neutral. Und das ist natürlich echt spannend. Sally erinnert mich immer wieder daran, dass das nicht unbedingt bedeutet, dass das ab dem 28. September Gesetze sind.

Starken: Der Koalitionsvertrag wird erst nächstes Jahr geschlossen wahrscheinlich.

Röders-Arnold: Das dauert alles noch und dann …

Starken: … sind es vier Jahre Zeit! Und genug Gelegenheit für uns und andere tolle Aktivist:innen, sich noch hinter diese Dinge zu klemmen. Denn es heißt natürlich noch lange nicht, dass das passieren wird, was die Parteien versprechen.

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