Uuups!

Geniale Gesten, geklaute Gedanken und ein Lachen im unpassendsten Moment. Bilder und Geschichten, die die letzten Monate in Deutschland geprägt haben – und auch das Ergebnis der Bundestagswahl nicht unbeeinflusst ließen. Ein Rückblick

Von Klaus Hillenbrand

Nichts zu lachen für Armin Laschet

Unlustig: Der CDU-Kanzlerkandidat feixt im vollkommen falschen Augenblick. Das Bild wird er über Monate nicht mehr los

Foto: Federico Gambarini/dpa

Erftstadt bei Köln, 17. Juli: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet sind in einen der Brennpunkte der Flutkatastrophe gereist, um den betroffenen Menschen Mitgefühl und ihren Willen zur schnellen finanziellen Hilfe zuzusichern. Der Medientross ist mitgekommen. Die Fernsehbilder zeigen Steinmeier im Vordergrund. „Wir trauern mit denen, die ihre Familien, Bekannten, Familienangehörige verloren haben. Ihr Schicksal zerreißt uns das Herz“, sagt der Bundespräsident.

Laschet steht währenddessen mit einigen namentlich nicht bekannten Menschen im Hintergrund und ist nur unscharf zu sehen. Während Steinmeier spricht, lacht der Kandidat. Er feixt. Reibt sich die Hände. Ein Ton wird nicht übermittelt. Worüber sich Laschet so amüsiert, bleibt unbekannt.

Vor zwanzig oder dreißig Jahren, in der Zeit des analogen Fernsehens, wären diese Bilder vielleicht gar nicht weiter aufgefallen. „Das versendet sich“, so lautet ein alter Spruch von Rundfunk­kollegen, wenn ein Beitrag einmal nicht so gelungen erscheint. Jetzt aber dauert es nur Stunden, und der aus dem Hintergrund herangezoomte Kanzlerkandidat läuft in allen sozialen Netzwerken und wird tausendfach geklickt. Internetmedien ziehen als Erste nach, es folgen TV, Zeitungen, sogar internationale Medien wie der britische BBC zeigen die Bilder. Sie vermitteln, dass dieser Mann kein Mitgefühl zeigt, sondern in ernster Stunde herumalbert. Sie legen nahe, dass Laschet über keinerlei Medienkompetenz verfügt. Sie führen zu der durchaus ernst gemeinten Frage, ob „so einer“ als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland geeignet ist.

Für die Union und Armin Laschet ist es eine Situation, aus der es kein Entkommen gibt. Der Kandidat entschuldigt sich noch am selben Tag für sein Fehlverhalten: „Dies war unpassend und es tut mir leid.“ Doch diese Aussage hat gegenüber den bewegten Bildern kaum eine Bedeutung. Die Bilder bleiben und begleiten den CDU-Kanzlerkandidaten fortan im Wahlkampf. Sie werden tausendfach in den Medien wiederholt – eine Endlosschleife des Fehlverhaltens, gegen das keine Presseerklärung, kein Video und keine Rede ankommt. Fortan wird jeder Satz, jede Bewegung und jede Geste des Kanzlerkandidaten genauestens beobachtet. Das produziert weitere unschöne Momente: Laschet vergisst eine seiner drei Kernaussagen. Laschet nimmt Kinder nicht ernst. Laschet vergisst seinen Mund-Nasen-Schutz. Und noch am Wahltag: Laschet faltet seinen Stimmzettel so, dass eine geheime Wahl nicht mehr gegeben ist. Das ist nicht erlaubt. Der Wähler müsse ihn „in der Weise falten, dass seine Stimmabgabe nicht erkennbar ist“, heißt es auf der Website des Bundeswahlleiters. Sollte die Stimmabgabe erkennbar sein, müsste der Wahlvorstand den Wähler zurückweisen.

All dies hat Armin Laschet zum Pausenclown gemacht. Die Bilder vom lachenden CDU-Kanzlerkandidaten aber sind der Anfang dieses Absturzes, der sich auch in den Umfragen widerspiegelte.

Worüber sich Laschet am 17. Juli 2021 so sehr amüsiert hat, ist bis heute nicht bekannt. Es ist aber auch wurscht.

Baerbocks Buch, besser ungeschrieben

Die grüne Kanzlerkandidatin hat abgeschrieben. Das beschert ihr einen durchschlagenden Glaubwürdigkeitsverlust

Foto: Christoph Soeder/picture alliance

Berlin, 17. Juni, 11 Uhr: Annalena Baerbock, frisch gebackene Kanzlerkandidatin der Grünen, lädt im Haus der Kulturen der Welt zu einer Buchvorstellung ein. Der Termin findet in der Nachrichtenagenda von dpa keine überragende Bedeutung und läuft unter „ferner liefen“. Vorgestellt wird ihr gerade fertiggestelltes Werk „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“. Die taz hat Parlamentskorrespondentin Jasmin Kalarickal zu dem Termin geschickt. Sie schreibt in ihrem Artikel, dass das Buch sich „in Teilen wie eine lange Version ihrer Parteitagsrede liest“.

Ende Juni findet der österreichische Plagiatsjäger Stefan Weber fünf angeblich kopierte Textstellen in Baerbocks Buch. Die Grünen-Spitze reagiert hart. Von „Rufmord“ ist die Rede und von einer Kampagne. Die Partei schaltet einen bekannten Medienanwalt ein. Fraktionsvize Oliver Krischer spricht von „Halbsätzen“, „gewissen Parallelitäten“ und „Fisselchen“.

Diese Vorneverteidigung funktioniert nicht. Immer mehr Stellen in Baerbocks Buch gelten als Plagiate, zuletzt sind es etwa einhundert. Ein Beispiel: Annalena Baerbock hat eine Stadt in ihrem eigenen Wahlkreis versehentlich Berlin zugeschlagen. Der an dem Buch beteiligte Journalist Michael Ebmeyer distanziert sich, seine Rolle sei lediglich die eines „Geburtshelfers“ gewesen. Der Ullstein Verlag kündigt eine Überarbeitung an, auch sollen Fußnoten gesetzt werden, um die Quellen deutlich zu machen. Doch bald geht es nicht länger nur um dieses Buch.

Man entdeckt Ungereimtheiten in Annalena Baerbocks Lebenslauf, der daraufhin korrigiert werden muss. Und: Die Zahlen bröckeln. Kein Wunder, denn es geht um ein hohes Gut: die Glaubwürdigkeit der Spitzenkandidatin und damit der Partei.

Während die Grünen Anfang Mai in Umfragen noch auf 26 Prozent kommen und damit sogar die Union überholt haben, geht es danach immer weiter bergab, auf 22, 20, 19, 17, 16 Prozent. Eine grüne Bundeskanzlerin Annalena Baerbock rückt scheinbar in weite Ferne.

Die Partei, die Partei, die hat immer recht

Die Linke stimmt dem Afghanistan-Rettungseinsatz im Deutschen Bundestag nicht zu – und gibt sich damit im Wahlkampf eine offene Flanke

Foto: imago

Berlin, 25. August. Der Deutsche Bundestag stimmt nachträglich über den Einsatz der Bundeswehr zur Rettung deutscher und afghanischer Zivilisten – insbesondere der einheimischen Helfer der deutschen Armee – vor der Machtübernahme der Taliban ab. Eine große Mehrheit der Abgeordneten votiert mit Ja, darunter alle Vertreter von Union, SPD, FDP und Grünen.

Bei der Linken hat man zuvor lange über diese Abstimmung diskutiert. Die Partei hat noch nie einem Auslandseinsatz der Bundeswehr zugestimmt, dabei soll es bleiben, beschließt die große Mehrheit der Fraktion.

Die Begründung von Spitzenkandidatin Janine Wissler entbehrt nicht einer gewissen Dialektik: „Wir sind für die Rettung von möglichst vielen Menschen, deshalb wollen wir nicht dagegen stimmen.“ Im Beschluss der Fraktion heißt es zur Begründung der Enthaltung: „Eine Zustimmung käme nur unter der Bedingung in Betracht, dass alle Ortskräfte und alle Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t:in­nen gleichberechtigt mitgerettet werden.“

Am Ende lehnen sieben Abgeordnete der Linken den Afghanistaneinsatz ab, der Rest enthält sich. Linke-Fraktionschef Dietmar Barsch sagt in der Debatte an die Spitzen der Großen Koalition gewandt: „Die letzten Wochen sind unentschuldbar. Die Folgen Ihrer Fehler gefährden Menschenleben. Sie sind in Ihren Ämtern gescheitert.“

Damit ist sich die Partei treu geblieben. Das Abstimmungsverhalten aber wird in den folgenden Wochen immer wieder von Politikern aus SPD und Grünen genüsslich hervorgeholt, um darauf hinzuweisen, dass die Linke ganz offensichtlich nicht regierungsfähig ist – bis hin zu dem Verlangen, dass die Partei ein ehrliches Bekenntnis zur Nato ablegen müsse, bevor man über eine Regierungsbeteiligung reden könne. „In einer Regierung könnte sie sich so nicht verhalten“, sagt der Abgeordnete Cem Özdemir von den Grünen zum Afghanistanvotum der Linken. Sie laufe „vor der Verantwortung davon“.

Die Linkspartei bewegt sich in den Umfragen danach nicht mehr vom Fleck. Und der liegt zwischen 5 und 6 Prozent.

Die Raute, made by Scholz

Der SPD-Kanzlerkandidat kopiert eine Geste der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel. In der Union findet man das gar nicht amüsant

Quelle: Süddeutsche Zeitung Magazin

München, 19. August. Das Magazin der Süddeutschen Zeitung erscheint mit Olaf Scholz auf dem Cover. „Wie sehr werden Sie Frau Merkel vermissen?“ lautet eine Frage der Redaktion in der Bilderserie, auf die nur mit Gesten geantwortet werden kann. Und der SPD-Kanzlerkandidat gibt als Antwort auf diese Frage die Merkel-Raute. Sein Wahlversprechen lautet damit Berechenbarkeit, ein hohes Gut unter den Deutschen. Seht her, sagt der Bundesfinanzminister, Angela Merkel tritt nicht mehr an, aber ich bin weiter für euch da.

Selbstverständlich ist es nicht messbar, ob dieses Foto den Höhenflug der SPD im Wahlkampf in den letzten Wochen maßgeblich beeinflusst hat. Die wütenden Reaktionen aus der Union allerdings sprechen dafür, dass da einer einen Coup gelandet hat, der der Gegenseite Schmerzen zufügt.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nannte Scholz’Raute „ein bisschen Erbschleicherei“. Auch CSU-Chef und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder warf Olaf Scholz vor, mit seiner Geste Angela Merkel zu imitieren.

Und die noch amtierende Bundeskanzlerin Merkel selbst sprach von einem „gewaltigen Unterschied zwischen ihm und mir“.

Im Reden Nummer eins

FDP-Spitzenkraft Christian Lindner macht keine Fehler – und begeistert den Fachverband der Redenschreiber

Foto: Thilo Schmuelgen/reuters

Man muss weder die Politik der FDP mögen noch deren Spitzenkandidat und Vorsitzenden Christian Lindner lobpreisen. Aber es ist Lindner tatsächlich gelungen, vollkommen unfallfrei den Wahlkampf zu bestehen – und das, obwohl er in aller Regel ohne ein Manuskript frei spricht. Der Verband der Redenschreiber deutscher Sprache verpasste Lindner ein besonderes Lob: Er wird zum besten Redner im Bundestagswahlkampf gekürt. Lindner nutze in seinen Reden die gesamte Palette rhetorischer Stilmittel „und ist unterhaltsam, ohne Inhalte auszusparen“, stellte der Fachverband fest. Lindner lag bereits 2017 auf dem ersten Platz.

„Mit humorvollen Pointen, kurzen Anekdoten und einer bildhaften sowie gut verständlichen Sprache überzeugt er auf allen beobachteten Veranstaltungen. Geschickt arbeitet er Unterschiede zu politischen Wettbewerbern heraus, ohne zu diffamieren. Er bleibt sachlich und fair“, begründete Präsidentin Jacqueline Schäfer die Bewertung Lindners.

Der Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, verschenke Punkte mit schiefen Sprachbildern, meinen die Redenschreiber. Dabei sei er eigentlich ein guter Redner, „wenn auch seine Sprache und seine rhetorischen Stilmittel des Öfteren zu einfach und eintönig wirken“.

Dem SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz fehle Feuer, doch habe er in diesem Wahlkampf zu einem rollenauthentischen Auftritt gefunden. Ihm gelinge ein für ihn typisches und etwas gebremstes, aber glaubwürdig wirkendes Engagement, das Überzeugung und inhaltliche Kompetenz ausstrahlt.

Kein Gedicht der AfD

Spitzenkandidat Tino Chrupalla soll sein deutsches Lieblingsgedicht nennen. Es fällt ihm keines ein

Foto: ZDF

11. September, die Kindernachrichten in „ZDF-Logo“. Der 13-jährige Reporter Alexander interviewt AfD-Spitzenkandidat Tino Chrupalla. Der spricht sich für „mehr deutsches Kulturgut“ in den Schulen aus. „Wir möchten, dass wieder mehr deutsche Volkslieder gelernt werden, dass wieder mehr deutsche Gedichte gelernt werden, dass wir unsere deutschen Dichter und Denker wieder mehr an den Schulen würdigen“, sagt Chrupalla. Dann die Frage: „Was ist denn Ihr Lieblingsgedicht eigentlich?“ Pause. „Deutsches Lieblingsgedicht?“, fragt der Interviewer nach. Es folgen Ähs, bis endlich die Antwort kommt: „Da muss ich erst einmal überlegen, da fällt mir jetzt gerade keines ein.“ „Nicht?“ „Nein.“

Der AfD-Spitzenkandidat kennt kein deutsches Gedicht. Das kurze Video wird mehr als eine Million Mal auf Twitter angeschaut, sicherlich weniger von Fans der Partei. Die AfD bemühte sich im Bundestagswahlkampf um einen möglichst bürgerlichen Auftritt. „Deutschland normal“, der Slogan spiegelt diesen Versuch wider. Nur keine Wähler mit allzu radikalen Forderungen verschrecken, so lautet die Devise.

Gedichte können Revolutionen auslösen. Aber nur so betrachtet hat Tino Chrupalla alles richtig gemacht.