Hannes Köhler über seinen Roman „Götterfunken“: „Er ver­schwindet nach dem Attentat“

Hannes Köhlers „Götterfunken“ handelt von Anarchisten. Und spielt auf verschiedenen Zeitebenen zwischen Barcelona, Toulouse und Frankfurt.

Schwarz/Weiß-Aufnahme, düstere Stimmung, Polizisten mit weißen Helmen schlagen auf am Boden liegenden Demonstranten ein

Am Ende der Franco-Diktatur 1976 in Barcelona: Polizei knüppelt Demonstranten nieder Foto: Manel Armengol/imago

Ein sonniger Nachmittag in Barcelona auf der Terrasse der Bar Funicular im Eixample-Viertel. Die Bar wirkt auf den ersten Blick schmucklos, hat aber eine bewegte Geschichte, wie Hannes Köhler berichtet. Der Berliner Schriftsteller mit familiärer Verbindung nach Barcelona hat sie als Hintergrund in seinen dritten Roman „Götterfunken“ (Ullstein Verlag) eingewebt. Er erzählt dabei von drei Anarchisten aus verschiedenen Zeiten zwischen Barcelona, Toulouse und Frankfurt am Main.

taz: Herr Köhler, wo befinden wir uns gerade, was macht die Bar Funicular so besonders?

Hannes Köhler: „Götterfunken“. Ullstein Verlag, Berlin 2021. 320 Seiten, 24 Euro

Hannes Köhler: Die Bar war die Stammkneipe von Salvador Puig Antich, einem bekannten katalanischen Anarchisten und Aktivisten der anarchistischen Gruppe MIL [Movimiento Ibérico de Liberación, Iberische Freiheitsbewegung]. Die MIL war Anfang der siebziger Jahre für mehrere Banküberfalle und kleinere Attentate in Katalonien und Südfrankreich verantwortlich. Und hier, in dieser Bar, hat er im September 1973 sein letztes Bier in Freiheit getrunken, bevor er von der Polizei verhaftet wurde.

In Ihrem Roman „Götterfunken“ geht es um eine Gruppe Anarchisten, Salvador Puig Antich selbst wird namentlich erwähnt …

Puig Antich spielt eine Rolle. Dazu muss man wissen, dass er nicht nur verhaftet, sondern relativ schnell verurteilt und hingerichtet wurde, zusammen mit einem Deutschen als Letzter während des Franco-Regimes im März 1974. Für die Anarchisten in meinem Roman ist er entsprechend das Beispiel für das, was im schlimmsten Fall passieren kann, wenn man sich dem franquistischen Staat widersetzt.

Ihr Roman spielt auf mehreren Zeitebenen und in mehreren Ländern. Der Hauptteil ist im Barcelona der Jahre 1974 und 1975 angesiedelt. Wie war die Stadt zu jener Zeit?

Wir haben heute ein sehr buntes und lebendiges Bild von Barcelona. Aber man muss sich die Stadt in den siebziger Jahren komplett anders vorstellen: eine extrem graue Stadt unter einer gleißenden Sonne. Trotz der Franco-Diktatur gab es eine Alternativkultur und einen relativ lebendigen Anarchismus. Aber Spanien und auch Katalonien waren immer noch sehr konservativ und enorm von der katholischen Kirche geprägt. Die Zeitzeugen, die ich für die Recherche interviewte, beschrieben es als Zeit im Wartezustand. Mitte der Siebziger liegt Diktator Franco im Sterben. Die baskische ETA hat seinen designierten Nachfolger Luis Carrero Blanco bei einem Attentat getötet. Alle fragen sich: Was wird nach Francos Tod passieren? Die Anarchisten in meinem Roman kämpfen in dem Bewusstsein, dass das Regime auf sehr wackligen Beinen steht.

Anarchismus hat in Barcelona und in Spanien eine lange Tradition. Wie kommt das?

Grob gesagt könnte man in Europa eine Trennlinie ziehen zwischen Nord und Süd; im Süden dominierten in der Linken zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Anarchisten, während sich der Norden dem Marxismus zuwandte. Der Spanische Bürgerkrieg 1936–39 gilt als Wendepunkt, weil innerhalb der Linken, auch durch das Eingreifen der Sowjetunion, die Marxisten die Macht übernehmen konnten. Der Anarchismus wird in Spanien anders gesehen als in Deutschland, wo Anarchisten als Bombenleger oder Mörder gelten. Er ist hier ein Anarchosyndikalismus – kommunal, basisdemokratisch und gewerkschaftlich verankert. Frankreich hatte eine Scharnierfunktion inne, Südfrankreich in der Gegend um Toulouse und Teile Italiens waren ebenfalls anarchistisch geprägte Regionen.

Einer Ihrer drei Protagonisten, der Franzose Germain, ist in Toulouse aktiv, bis er sich den katalanischen Anarchisten anschließt.

Toulouse war eine Hochburg des Anarchismus und galt zugleich als Rückzugsort; die Anarchisten konnten sich relativ frei über die Pyrenäen zwischen Südfrankreich und Spanien bewegen. Germains Gruppe in Frankreich hilft den katalanischen Anarchisten, beliefert sie mit Waffen. Nach einer solchen Waffenlieferung bleibt er in Barcelona, um aktiv mitzuwirken.

Götterfunken“ spielt auch in Frankfurt und Kopenhagen. Der Titel ist zudem an Beethovens „Ode an die Freude“ und somit die offizielle Hymne Europas angelehnt. Was hat Sie gereizt, einen solchen euro­päi­schen Roman zu schreiben?

Meine Partnerin stammt aus Barcelona. Durch sie und ihre Familie habe ich Menschen kennengelernt, die im anarchistischen Widerstand aktiv waren. Ihre Geschichten über den politischen Kampf in der Diktatur sind unglaublich interessant. Am Anarchismus speziell hat mich die internationale Komponente gereizt. Ich bin regelmäßig in Barcelona und spreche mit den Menschen hier. Der spanische Blick auf Europa ist anders. Etwa auch im Hinblick auf die wirtschaftliche und politische Macht von Deutschland oder Frankreich.

Ihr Roman ist auch auf verschiedene Zeitebenen angesiedelt. In der Gegenwart ist Ihre Romanfigur Toni mit katalanischen Nationalisten konfrontiert. Es ist nicht derselbe anarchische Geist des Widerstands der siebziger Jahre. Warum haben Sie diese Konstruktion gewählt?

Die Unabhängigkeit Kataloniens ist in Barcelona immer noch ein unglaublich wichtiges Thema. Ich finde es sehr spannend, wie sich der katalanische Nationalismus in weiten Teilen selbst als links definiert, gleichzeitig aber sehr nationalistisch ist; und dass darin von den Akteuren offensichtlich kein Widerspruch gesehen wird. Mich irritiert das. Es ist sonderbar, wie in dieser nationalen Bewegung bestimmte Symbole und Ideen des Widerstands als Kampf gegen ein „Unterdrückungssystem“, also gegen Spanien, inszeniert werden. Das empfinde ich als absurd, zumindest wenn man sich den Widerstand gegen eine tatsächliche Diktatur wie den Franquismus in den siebziger Jahren anschaut. Außerdem hat mich die Frage interessiert, wie jemand, der diesen Kampf gegen die Diktatur geführt hat und linken Widerstand immer als international definiert hat, mit solchen Positionen heute umgeht.

Ihre drei Protagonisten lernen wir in den Siebzigern kennen und dann dort, wo sie sich vierzig Jahre später im Leben befinden. Germain, der Franzose, ist Politiker geworden, ein linker zwar, aber doch in­sti­tu­tio­na­li­siert. Der Deutsche, Jürgen, hat eine Software­firma. Nur der Dritte, der Spanier Toni, scheint sich treu geblieben zu sein und betreibt eine kleine Bodega in Barcelona. Aber auch bei ihm kaufen inzwischen vor allem Touristen und Hipster ein. Was ist von den früheren Idealen noch übrig, haben sie sie verraten?

Die Frage lautet eher: Was ist der logische Weg für die Figuren? Ich hatte nicht das Bedürfnis, über Menschen zu schreiben, die, weil sie Karriere gemacht haben, sozusagen ihre politischen Ideale verleugnen. Toni ist in den Siebzigern derjenige, der ins Gefängnis kommt, und diese Erfahrung muss Folgen haben für seine Selbstwahrnehmung und sein Leben. Deswegen sieht er sich als Abgehängter, als Verlierer, obwohl er es gar nicht mehr ist. In der Gegenwart ist sein Problem, dass er mit seinem Erfolg klarkommen muss. Wie geht man damit um, wenn man sich immer als linker Außenseiter wahrgenommen hat, aber plötzlich Geld macht? Der Franzose wiederum hat einen sehr schrägen Werdegang und kommt schließlich im Jahr 2017 in der französischen Regierung an, aber nur, weil ihn eine alte Freundin ins Kultusministerium holt. Das heißt, er ist in einer Establishmentposition gelandet, ohne sie wirklich gesucht zu haben. Jürgen, der Deutsche, ist das große Fragezeichen im Roman. Er verschwindet nach dem Attentat der Gruppe spurlos. Seine Gefährten wissen nicht, was mit ihm passiert ist, ob er fliehen musste oder verhaftet wurde.

Vierzig Jahre später taucht er auf einer Hochzeit wieder auf …

Jürgen leitet eine Softwarefirma und hat den klassischen kapitalistischen Erfolgsweg gefunden. Die Frage, wie es dazu gekommen ist, spielt eine wichtige Rolle. Von außen gesehen ist er ein Kapitalist, der sehr erfolgreich ist, aber auch dieser Weg ist kein stromlinienförmiger. Am Ende des Romans äußert Jürgen – er ist eine von sieben Erzählstimmen – seine ganz eigene Sicht auf seine Radikalität und auf die Dinge, die ihm widerfahren sind. Es bleibt den Leserinnen und Lesern überlassen, ob sie ihm glauben möchten.

Jürgen lebt in Frankfurt am Main, mehrere Szenen spielen im Nordend. Warum haben Sie ausgerechnet diese Stadt als Setting ausgesucht?

Wenn man aus Sicht des politischen Aktivismus der siebziger Jahre überlegt, ist Frankfurt natürlich eine der zentralen Städte, in der die RAF aktiv war. Mich hat aber mehr die Hausbesetzerszene interessiert. In ihr haben sich Leute wiedergefunden, die aus dem Anarchismus kamen, weil dort die Idee einer konkreten Demokratie und eines konkreten Aufbaus von Strukturen von unten nach oben sehr dominant war. Im Hintergrund, auch wenn es im Roman selbst keine große Rolle spielt, schwingen auch Proteste wie am Flughafen gegen den Bau der Startbahn West mit. Für mich war klar, dass für jemanden, der aus Spanien kommt und dem die Idee des kommunal und gewerkschaftlich geprägten Anarchismus gefällt, Frankfurt am Main die logische Adresse ist. Deswegen ist folgerichtig, dass Jürgen in Frankfurt landet und sich dieser Szene anschließt, weil das innerhalb der politischen Linken in Deutschland die Position ist, der er sich am ehesten verbunden fühlt. Frankfurt ist eine Stadt mit einer langen Geschichte, wenn es um linken Aktivismus geht.

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