Abschied von „Geht's noch“-Kolumne: Geht’s noch!

Jede Woche wurden in dieser Kolumne Dinge gehasst, die Linke lieben. Ein Format, wider jede Intuition. Für uns Redakteur_innen war es eine Qual.

Autofahrere steckt den Mittelfinger aus dem Fahrerfenster raus

Tschüss geht`s noch Foto: Trutschel/imago

Sitzen zwei Männer beim vierten Hefeweizen und überlegen, wie sie den Journalismus revolutionieren können. Die neue Wochenendausgabe wird bald gelauncht und ihr Arbeitgeber hat ihnen einen lächerlich winzigen Platz auf Seite 10 abgedrückt, den sie nun bestmöglich in Szene setzen wollen. „Wie wärs“, sagt der eine und zieht nachdenklich an seiner E-Zigarette, „wenn wir jede Woche Dinge hassen, die Linke eigentlich per se gut finden?“ Der andere reißt die Augen auf: „Wow, so kontraintuitiv? Das ist genial. Nennen wir es: Geht’s noch?“

So ähnlich stelle ich mir die Entstehung dieses Formats vor, das heute zum allerletzten Mal erscheint. Gott sei Dank! Vermissen wird es niemand, am allerwenigsten wir Redakteur_innen, die es wöchentlich befüllen mussten.

Allein der Aufwand, schon am Mittwoch ein Thema zu bestimmen, das sich bis Samstag hält, um es mit den anderen Themen im Blatt abzustimmen, weil die natürlich alle viel wichtiger sind als dieses kleine Pupsformat, das alle übersehen und welches online auch nur selten funktioniert – es war die Hölle.

Dazu kommt dieser Anspruch des „Kontraintuitiven“. Es macht einfach keinen Sinn: Dinge, die Linke per se gut finden? Was soll das sein? Hässliche Trekkingschuhe von bergfreunde.de? Wer diese Zeitung regelmäßig liest, wird jedenfalls wenig finden, auf das sich die Redaktion größtenteils einigen kann, außer vielleicht Christian Lindner. Warum also ein „Geht’s noch?“-Fomat in einer Zeitung, die aus 40 Seiten „Geht’s noch?“ besteht? Geht’s noch?

Überall gehasst und gemeckert

Ich muss zugeben, einige meiner schlechtesten Texte freitagmorgens verkatert in diesen Kasten getippt zu haben, weil irgendwer abgesprungen ist, ich im Dienst war und dringend ein „Geht’s noch?“ brauchte.

Das Thema stand (schon seit Mittwoch), ich musste nur 80 Zeilen lang so tun, als sei ich gegen das bedingungslose Grundeinkommen, sehr kontraintuitiv, peinlich vor allem. Denn leider ist der Text wie alles andere immer noch im Archiv auffindbar und ich kriege noch fünf Jahre später Talkshow-Anfragen, um dem Publikum zu sagen, dass es arbeiten gehen soll, wenn es Geld braucht. Grüße von der gelb-grünen Front!

Zum Glück wurde mit der Zeit die Definition des Formats so sehr aufgeweicht, dass man irgendwann alles Mögliche hassen durfte, Horst Seehofer sogar. Und den hassen 79 Millionen andere auch, womit sich dieses Format schließlich selbst erledigt hat. Ab nächster Woche wird wieder ganz intuitiv und ohne Formzwang gehasst und gemeckert. Endlich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.