Lob des Föderalismus: Flickenteppich des Grauens

Die Bundesländer werden 75: Faszinierende Geschichten haben sie hervorgebracht. Die Demokratie stärken sie. Deswegen werden sie gehasst.

Eine Frau geht durch eine Ausstellung mit Flickenteppichen, gewebt in den Bauahuswerkstätten

Schreckenskammer für Autoritäre: Ausstellung mit Bauhaus-Flickenteppichen Foto: Hendrik Schmidt/dpa

BREMEN taz | Sollte ich jemals die Aufgabe bekommen, für einen deutschen Horrorfilm ein Drehbuch zu schreiben, weiß ich schon, was darin eine Hauptrolle bekommt. Es geht ja in diesem Genre darum, Ängste zu nutzen, die so permanent vorhanden sind, dass sie sich einer Bearbeitung entziehen.

Und zwar so weit, dass bereits die Warnung vor der furchteinflößenden Person oder dem todbringenden Requisit als rational gilt. Deshalb wird mein Gruselfilm „Der Flickenteppich des Grauens“ heißen.

Denn vor Flickenteppichen wird gewarnt! Flickenteppiche sind unser aller Untergang. Sie stürzen uns ins Chaos, wussten die besonders schlauen Hamburger Nachrichtenmagazine in ihren Hochglanzcoronaregel-Reports: Waaas! In Bremen darf man noch demonstrieren, während in Niedersachsen Ausgangssperre herrscht? Flickenteppichalarm!

Wiiiee?! In Schleswig-Holstein sind Ferienwohnungen derzeit nur für Landeskinder zugänglich, in Mecklenburg-Vorpommern ist dagegen die Einreise nur aus Nordrhein-Westfalen untersagt? Da droht er, der Flickenteppich. Unser aller Unglück.

Frisst denn der Flickenteppich unsere Kinder?

Denn natürlich nagt der Flickenteppich mit seinen Flickfransen an den Grundfesten unseres Staatsgebäudes. Und nächtens wickelt er unsere Kinder ein und verdaut sie ungekaut: Seit Ende des späten 19. Jahrhunderts haben die Deutschen gelernt, ihrer Diversität zu misstrauen, sie zu hassen und für die Ursache egal welchen Elends zu erklären.

Blechkanzler Otto von Bismarck war treibende Kraft hinter diesem antiföderalen Spin. Er musste die innere Vielfalt des Landes im Bild eines Schmutzfängers aus Reststoffen verunglimpfen. Sein Ziel war, sie zu überwinden, denn wer Krieg will, braucht Einheit. Und umgekehrt. Bloß den Nationalstaat mit Gewalt herzustellen, daran waren ja die Gegner des Föderalismus oft gescheitert: Bad Langensalza in your face, doofe Preußen!

Dem historischen Argument, dass es immer schlecht ausgegangen ist, wenn Deutschland seinen tradierten Föderalismus zugunsten zentralistischer Tendenzen und eines Traums von Größe wie vor 150 Jahren zurückgefahren und ausgehöhlt oder, wie dann 1933, zerstört hat, fehlt es sicher an Überzeugungskraft.

Man kann denken, dass straightes Handeln in globalen Krisen Vorteile hätte und wenigstens Operettenstadtstaaten wie Bremen 75 Jahre nach ihrer Neugründung besser mit dem Umland fusioniert würden. Also her mit dem Nordstaat!

Bollwerk gegen die Tyrannei der Mehrheit

Aber dieser autoritäre Ansatz übersieht, dass die Krisen-Kompetenz eines Staates gar nicht davon abhängt, ob er föderal organisiert ist oder strikt zentralistisch, wie Peru, das mit Abstand weltweit die meisten Covid-Todesfälle gemessen an seiner Bevölkerung zu beklagen hatte: Es gibt hier, schaut man sich die Zahlen an, keine Korrelation. Deutschland ist auf seinem Flickenteppich fast ebenso schlecht wie Frankreich durch die Pandemie gesegelt.

Auch übersieht er, dass die vertikale Gewaltenteilung, also die Vervielfältigung der staatlichen Systeme von Gesetzgebung, -anwendung und Rechtsprechung etwas Tolles ist. Sie ermöglicht, Vielfalt jenseits weltanschaulicher Konflikte – die sich in der Parteienlandschaft abbilden – darzustellen und zu berücksichtigen. Sie kann ein Bollwerk gegen die Tyrannei der Mehrheit sein, in die Demokratie stets umzuschlagen droht.

Sie ermöglicht, gleichzeitig unterschiedliche Ansätze zur Bewältigung desselben Problems zu erproben. Sie kann viel zielgerichteter kulturelle Differenzen pflegen – die sich auf regionaler Ebene artikulieren. Es ist sinnvoll, in Länderkammern die divergierenden Interessen von Städten und industriell sowie agrarisch geprägten Gebietskörperschaften miteinander zu konfrontieren und miteinander zu versöhnen. Und ja, es ist gut, dass die Länder einem Durchregieren im Wege stehen.

Das verhindert Reformen – zum Glück. Denn wahrscheinlich verringert es die Zahl der Reformen zum Schlechteren. Längst hätte der Bund ein freiheitsfeindliches Polizeigesetz durchgedrückt, das alle bayerischen Zumutungen beinhaltet; aktuell gibt es dagegen 16 und die Palette reicht von antidemokratischen Ausspähbefugnissen aus dem grün-schwarzen Baden-Württemberg bis zu jenem in Bremen, dass Ord­nungs­hü­te­r*in­nen mehr Rechenschaft der Zivilgesellschaft gegenüber abverlangt.

Föderalismus schützt

Deswegen: Mehr Föderalismus wäre besser. Das schützt im Zweifel nicht vorm Abbau der Bür­ge­r*in­nen­rech­te, macht aber klar: Es geht auch anders. Mehr Föderalismus könnte, wie in den USA, ermöglichen, dass Länder, die es wollen, aus der schädlichen Kriminalisierung von Drogen aussteigen.

Mehr Föderalismus könnte – und sei’s als Pilotprojekt – die gesundheitliche Versorgung von Frauen absichern, die ihre Schwangerschaft abbrechen wollen. Zum föderalen Modell gehört dabei, das Interesse für die Wege der anderen, für Wahlergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holsteins Küstenschutzpläne und Hamburgs Hafenpolitik wach zu halten. Es gehört dazu, sich auszutauschen. Von Flicken zu Flicken.

Bis der männliche Held mit der Pumpgun kommt, der Erlöser, und das Ding zerfetzt. Endlich!

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