Theologin über Homo-Hass in der Bibel: „Gott hat noch etwas vor“

Das Bremer Landgericht will per Gutachten klären, ob die Bibel Olaf Latzels homophoben Aussagen deckt. Laut Ruth Heß ist das auch theologisch sinnlos.

Seitenansicht von Olaf Latzel, der, eine Bibel in der linken Hand, im Gericht auf die Angeklagtenbank eilt.

Mit der Bibel in der Hand und Homophobie auf der Zunge: Pastor Olaf Latzel vor Gericht Foto: Sina Schuldt (dpa)

taz: Frau Heß, die juristische Frage ist das eine. Aber ist ein Gutachten des Landgerichts im Fall Latzel theologisch sinnvoll?

Ruth Heß: Die Frage, die an das angeforderte Gutachten gestellt wird, ob nämlich die Aussagen Latzels „noch von der Bibel gedeckt“ sind, ist aus meiner Sicht theologisch selbst schon problematisch formuliert. Denn sie teilt ja bereits die fundamentalistische Voraussetzung, dass die Bibel zu diesen und jenen Fragen, die gesellschaftspolitisch und in diesem Fall auch juristisch strittig sind, unmissverständlich Auskunft gäbe. Und dass sich das wissenschaftlich auf diese Weise verifizieren oder falsifizieren ließe.

Das geht nicht?

Die theologische und auch die bibelwissenschaftliche Diskussion zum Thema Homosexualität ist sehr vielstimmig. Um sich ein realistisches Bild zu machen, müsste sie ja in ihrer Breite dargestellt werden. Ein einzelnes Gutachten, noch dazu mit einer von vornherein festgelegten Position, wird sich damit wahrscheinlich schwertun. Dafür bräuchte es mindestens zwei oder besser noch drei Gutachten.

Und was stört Sie dann an der fundamentalistischen Annahme der eindeutigen Antwort, wenn sie doch nur eine von vielen ist?

Das christliche Glaubensbekenntnis hat ja nicht nur einen, sondern drei Teile: den Glauben an den Gott der Schöpfung, der Versöhnung, der Erlösung. Es kann also in der christlichen Wirklichkeitsdeutung nie abstrakt um eine starre „Schöpfungsordnung“ gehen.

Sondern?

Gerade auch in der Bibel wird von einer lebendigen Beziehung zwischen Gott und Mensch erzählt, in der das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Gott hat, fromm gesprochen, immer noch etwas Neues mit uns vor – auch was unsere Geschlechtlichkeit betrifft. Das bedeutet aber auch: Was wir selbst hier und heute für theologisch richtig halten, kann nie dieses letzte Wort sein. Wir bewegen uns als Menschen immer im Vorletzten – nie im Letzten. Das ist ja der eigentliche Witz am Glauben, dass der Selbstzweifel per se dazugehört. Wir können immer nur in Klammern zu theologischen Aussagen kommen, weil sie allesamt unter einem göttlichen Bewahrheitungsvorbehalt steht. Diesen grundlegend selbstkritischen (um nicht zu sagen: demütigen) Zug vermisse ich in der ganzen Diskussion am meisten: Denn er führt jeden fundamentalistischen Gestus von innen heraus ad absurdum.

Jahrgang 1976, hat evangelische Theologie an den Universitäten Jena, Marburg, Bern und Bochum studiert. Sie leitet seit Juli 2020 das Studienzentrum der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) für Genderfragen. Von 2011 bis 2016 war sie Gleichstellungsbeauftragte der Bremischen Evangelischen Kirche, danach hatte sie am Evangelischen Zentrum für Frauen und Männer als Referentin gearbeitet. Geforscht hat sie unter anderem in Berkeley und Cambridge (MA) insbesondere zu Karl Barth.

Das würden Olaf Latzel und andere bestreiten, die einer wortgetreuen …

Pastor Latzel zitiert ja nicht einfach die Bibel. Das Wort „Gender“ kommt dort nicht vor.

Sondern?

Er eignet sich das, was er aus der Bibel herausnimmt, in seiner sehr spezifischen Weise an. Er interpretiert biblische Motive in einer bestimmten Weise. Und er rahmt sie in einer bestimmten Weise. Es geht also immer, ob wir wollen oder nicht, um komplexe und unabschließbare Deutungsprozesse.

Seine Deutung scheint mir relativ abgeschlossen: Homosexuelle müssen, weil teuflisch, bekämpft werden. Das scheint ihn schon lange umzutreiben. Lässt sich das theologisch erklären?

Die Frage ist wichtig: Woher kommt überhaupt der Drang, im Kontext eines Eheseminars, an dem ja vermutlich ausschließlich heterosexuelle Ehepaare teilnehmen, das Thema Homosexualität derart exponiert zu verhandeln? Warum wird Geschlechtlichkeit – und hier die Haltung zur Homosexualität – zu dem scheinbar letzten Nagel in der Wand, der über Rechtgläubigkeit oder nicht entscheidet? Warum? Sexualität und Geschlechtlichkeit sind in der Bibel ein Nebenthema und in der christlichen Theologiegeschichte zwar mitgelaufen, haben aber nie eine solche Prominenz entwickelt. Ich denke, da geht es schlicht um eine Diskursstrategie, die weit über die Causa Latzel hinausgeht.

Inwiefern?

In den Debatten und auch gerade in den Aussagen von Pastor Latzel passiert zweierlei: Ein Nebenthema wird zum Hauptthema gemacht, und es wird vereindeutigt. Meine These ist: Geschlechterfragen eignen sich prima als Differenzmarker in religiösen Kulturkämpfen, auch global gesehen, weil sie gesellschaftlich vermittelbar sind. Wenn sich das christliche Identitätsprofil wie früher drehen würde um dogmatische Fragen – Abendmahlsverständnis, Trinitätslehre –, das wäre gesellschaftlich kaum noch verständlich. Die theo-politische Instrumentalisierung von Geschlechterfragen erreicht dagegen in westlichen Gesellschaften maximale Resonanz. Das scheint mir die Diskursstrategie dahinter. Sex sells – auch in dieser Hinsicht.

Mal ernsthaft: Ist der bloß ein Narr in Christo oder halten Sie das für gefährlich?

Pastor Latzels Aussagen bewegen sich ja auf drei Ebenen: erstens auf der Ebene von Bibel und Theologie, die angebliche „feste Ordnung der Schöpfung“. Diese Aussagen müsste man dann eben auch biblisch-theologisch diskutieren. Zweitens greift er konkrete Personen und Personengruppen an, die angeblichen „Verbrecher vom CSD“. Wie diese Pauschalisierung zu beurteilen ist, wird das Gericht klären. Die aus meiner Sicht problematischste Ebene ist da erreicht, wo Pastor Latzel diesen beiden Aussagenebenen ein bestimmtes Framing gibt: Er legt ein extremes Freund-Feind-Schema darüber. Er spricht ja von „Gender“ als Dreck. Er spricht davon, dass das Eintreten für queere Rechte satanisch, teuflisch, gottlos sei. Er legt nahe, dass Regenbogenfahne und Rathaus nicht zusammengehören. Und dann stellt er das alles in einen Zusammenhang mit Degeneration, Zerstörung und Untergang. Die Botschaft lautete: „Wir“ und „unsere Kinder“ sind durch diese Einwicklungen zutiefst bedroht. Mit diesen perversen „Anderen“ und ihrem Denken bahnt sich eine Katastrophe an und wir laden Schuld auf uns, wenn wir nicht dagegen vorgehen, bis ins Alltagsleben hinein, bei der Wohnungsvergabe oder im kollegialen Kreis.

Das ist aber doch nur ein Rückzugsgefecht, oder?

Das ist das klassische Framing des Anti-Gender-Diskurses, wie er sich seit 30 Jahren, übrigens aus christlich-religiösen Wurzeln heraus, bis in die Mitte der Gesellschaft vorgeschoben hat und immer weiter befeuert wird. Das finde ich das eigentlich Beunruhigende: das Ausbreiten dieses Schwarz-Weiß-Schemas, in dem ganze gesellschaftliche Gruppen und abweichende Denkweisen als abstrakte, übermächtige Bedrohung dargestellt werden. Man sagt nicht mehr: Diese oder jene geschlechterpolitische Entwicklung finde ich aus diesem oder jenem Grund problematisch, sondern man arbeitet mit Dämonisierungen. Das macht den demokratischen Diskurs unmöglich und entmenschlicht im schlimmsten Fall das Gegenüber. Gläubige werden dazu animiert, Andersdenkende und -lebende pauschal als eine Art toxischen Feind anzusehen, dem man sich erwehren muss.

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