Eine Rose für Angela Winkler

Ein Roman erzählt Theatergeschichte: „Sein oder Nichtsein“ von Klaus Pohl erinnert an ein Familienfest mit alkoholischen Abstürzen und drastischen Beleidigungen

Von Claudia Ingenhoven

Horatio ist der beste Freund von Hamlet. Er soll verbreiten, was am dänischen Hof passiert ist: Liebe, Intrige, Mord. Klaus Pohl hat diesen Horatio 1999 in einer sehr besonderen Inszenierung von Peter Zadek gespielt. Der Regisseur hatte damals seine Lieblinge engagiert, Eva Mattes, Otto Sander, Ulrich Wildgruber und, das war der Clou, die Rolle des Prinzen Hamlet mit Angela Winkler besetzt. Drei Monate dauerten die Proben in einem verlassenen Militärgebäude in Straßburg. Klaus Pohl hat damals notiert, was ihm wichtig war, manchmal auch, was seine Schauspielkollegen wollten – bei der Probe, in der Garderobe, in der Kneipe. Und all das erzählt er jetzt in einem „in wohltemperierter dichterischer Freiheit“ komponierten Roman: Bis auf Mord war alles wie bei Hofe.

Die meisten hatten schon öfter mit Peter Zadek zusammengearbeitet. Ulrich Wildgruber etwa war mal der Hamlet einer bejubelten Bochumer Inszenierung, zwanzig Jahre lag das zurück. Er ist schwer gekränkt, dass er nun ersetzt wurde, noch dazu von einer Frau. Er weiß selbst, dass er als Sechzigjähriger, herzkrank und depressiv, keinen überzeugenden Hamlet mehr abgeben würde. Trotzdem! Angela Winkler dagegen ist gar nicht scharf auf die Rolle. Das Rivalisieren ist ihr verhasst, Konkurrenzkämpfen entzieht sie sich. Wenn ihr jemand ganz fies kommt, entwaffnet sie ihn lieber mit einem Kuss. Vor allem hat sie Angst vor den enormen Textmassen, sie kommt schlecht vorbereitet zur Probe.

Kein freundliches Wort

Der Regisseur schreit, wütet, beleidigt – sie scheint daran gewöhnt zu sein. Zwar sehnt auch sie sich nach einem freundlichen, aufbauenden Wort, aber sie kann sich besser abschotten als die Neuen.

Angela Winkler verzweifelt eher an sich und ihrer Panik. Plötzlich ist sie verschwunden. Niemand weiß, wohin. Ulrich Wildgruber sieht sofort seine Chance. Es wird dem Regisseur nichts anderes übrig bleiben, als doch ihn zu nehmen. Der junge Uwe Bohm findet, eigentlich sei nur er im richtigen Alter für Hamlet, und mit einer großen Rolle könnte er auch seine Scheidung bezahlen. Aber Angela Winkler wird gefunden. Sie war bei einem Bienenbauern in den Vogesen untergetaucht. Auch ihren zweiten Fluchtversuch erzählt Klaus Pohl so aufregend, dass man um Winklers Existenz fürchtet. Ob er selbst gezittert hat, erfahren wir nicht, wohl aber, wie verliebt er in sie war. Jeden Morgen erfreut er sie mit einer Rose, er ermutigt und bestärkt sie, auch wenn er sie abends nur bis zur Haustür begleiten darf.

Nicht nur der Regisseur teilt aus, auch untereinander sind die Beteiligten drastisch in ihren Beleidigungen: zu dumm für die Rolle, zu fett, zu schmierenhaft. Nur wenn es auf der Probe ganz eng wird, das hat Klaus Pohl besonders anrührend beschrieben, stehen sie füreinander ein.

Man muss die Inszenierung nicht gesehen haben, um diesen Roman mit Vergnügen zu lesen. Manches erinnert an ein Familienfest. Neben all den Krisen und alkoholisierten Abstürzen hat Pohl auch viele komische Situationen im Blick. Wenn der Regisseur kreischt, weil sein instabiler Tisch noch nicht „entwackelt“ wurde. Oder wenn ein Darsteller den kollegialen Tipp bekommt, eine Regie-Idee als „wie von Claus Peymann“ zu qualifizieren – damit Zadek sie sofort fallen lässt.

Die Inszenierung wurde ein großer Erfolg. Fast hundertmal hat das Ensemble diesen Hamlet gespielt, zuletzt an der Berliner Schaubühne. Klaus Pohl hat mit seinem poetischen Roman mindestens zwei Liebeserklärungen geschrieben: an das Theaterspielen und an den großen Schauspieler Ulrich Wildgruber. Bei der letzten Szene, Otto Sander und Klaus Pohl in der Paris Bar, könnte man heulen.

„Sein oder Nichtsein“. Galiani Verlag, 288 Seiten, 23 Euro. Romanvorstellung mit Klaus Pohl, Angela Winkler und Joachim Meyerhoff am 21. September, 20.30 Uhr, Schaubühne