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Im Notfall ersparte die Streitaxt im Haus den Richter

Im Mittelalter eroberten Kirche, Adel und Städte Einfluss gegenüber den Herzögen. Eine Ausstellung in Celle zeigt, wie sich Rechts- und Freiheitsanspruch entwickelt haben

Von Joachim Göres

Ein rund 200 Jahre altes Schwert hängt in einer Vitrine an der Wand, mit dem bis 1843 in der Grafschaft Hoya und Verden Todesurteile vollstreckt wurden. Zu sehen ist es in der neuen Dauerausstellung „Herrschaft und Landschaft – Macht und Teilhabe“, die seit Kurzem im Residenzmuseum im Celler Schloss ihren Platz hat.

Dort geht es unter anderem darum, wie in weiten Teilen des heutigen Niedersachsens seit dem Mittelalter Konflikte ausgetragen und Recht gesprochen wurde. Dabei schlossen sich Klerus, Adel und Städte zu sogenannten Landschaften zusammen, unterstützten die Landesherren finanziell und sicherten sich im Gegenzug politischen und rechtlichen Einfluss.

In der Ausstellung wird die Urkunde zur Lüneburger Sate (Satzung) von 1392 präsentiert, in der der Celler Herzog Heinrich erstmals schriftlich das Recht der Landschaft anerkennt, die Bevölkerung politisch zu vertreten. „Wer den Prälaten, Mannen, Rathsherren und Bürgern … mit Unrecht Schaden zufügt oder sie befehdet, soll auch vor den Herzögen nicht sicher sein“, heißt es. In der Praxis zeigte sich allerdings, dass die Macht der Landesherren zunächst ungebrochen war – Herzog Heinrich konnte 1396 in Seelze ungestraft Dietrich von Mandelsloh ermorden, einen der einflussreichsten adeligen Vertreter der Sate, der sich gegen den absoluten Machtanspruch der Herzöge gestellt hatte.

Im „Sachsenspiegel“, dem ältesten Rechtsbuch des Mittelalters, wurden mündlich überlieferte Gewohnheiten schriftlich und in Bildern festgehalten. In Celle wird in einer Faksimile-Ausgabe der „Oldenburger Sachsenspiegel“ gezeigt, der in mittelniederdeutscher Sprache zwischen 1220 und 1235 verfasst wurde und der auch Teile des römischen Rechts und des Kirchenrechts enthält. Daneben liegt im Original eine kommentierte Zusammenstellung von Rechtstexten aus dem Jahr 1577 des Juristen Balthasar Klammer für seinen Sohn Otto, der als Hauptmann des Amtes in Medingen für die Rechtsprechung zuständig war.

Die Lüneburger Landschaft kam zwischen 1355 und 1652 regelmäßig in Hösseringen bei Uelzen unter freiem Himmel zu Beratungen mit den Landesfürsten zusammen. Dort wurden Gerichtsurteile gefällt und Steuern bewilligt. Auch weitreichende Entscheidungen für alle Bewohner wie die Einführung der Reformation im Fürstentum Lüneburg im Jahr 1527 wurden getroffen.

Ähnliche Landtage fanden in den Landschaften Bremen und Verden, Hoya-Diepholz, Osnabrück, Hildesheim sowie Calenberg-Grubenhagen statt. Die Ostfriesische Landschaft, die aus Adligen, Stadtbürgern und Bauern bestand, war für den Küstenschutz zuständig und beanspruchte weitergehende Freiheiten als die übrigen Landschaften. Diese bekam sie vom Kaiser 1678 mit einem eigenen Wappen mit der Abbildung des Upstalbooms auch verliehen - an diesem Ort bei Aurich trafen sich einst Abgesandte friesischer Gemeinden.

Aber auch zu dieser Zeit hatten Paragrafen nur eine begrenzte Wirkung. Das symbolisiert eine mehr als 500 Jahre alte ausgestellte Streitaxt aus Holz und Metall, mit der bis in das 16. Jahrhundert hinein Konfliktparteien notfalls mit Gewalt ihr Recht durchsetzten. In der Ausstellung wird der Bogen zur Gegenwart geschlagen und gezeigt, welche Grundrechte heute gelten, die einst der Bevölkerungsmehrheit vorenthalten wurden.

Ob diese in der Praxis tatsächlich verwirklicht sind, ist nicht selten fraglich. Einst hatten die Mächtigen neben ihren Privilegien auch die Pflicht, sich um die Versorgung der auf ihrem Grund arbeitenden Menschen zu kümmern. In der Ausstellung steht dieser Aussage der Artikel 14 aus dem Grundgesetz gegenüber: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Was geblieben ist? Die alten Landschaften in Niedersachsen haben ihre Rolle als Ständevertretung verloren, aber weiterhin Einfluss als wichtige Institutionen bei der Kulturförderung sowie als Mitträger von Museen in Celle, Hoya und Lüneburg. Und einen weiteren Trumpf haben sie noch: Sie besitzen bedeutende Immobilien.