Spielfilm „Nowhere Special“: Wenn ein Saurier stirbt

„Nowhere Special“ erzählt von einer liebevollen Vater-Sohn-Familie und Adoption. Der Film nimmt sich Zeit für Blicke und kleine Gesten.

Vater und Sohn sitzen auf einer Parkbank in Uberto Pasolinis Film "Nowhere special"

Abschied nehmen müssen: Sohn Michael (Daniel Lamont) mit Vater John (James ­Norton) Foto: Piffl

Es gibt den besonderen Blick, mit dem Eltern in stillen Momenten ihre Kinder betrachten. Solche Blicke voller Zuneigung und Zugehörigkeitsgefühl sprechen auch von der Verwunderung, wie nah und zugleich anders, eigen und letztlich nicht durchschaubar so eine kleine Persönlichkeit ist. Sie gehören zur leisen Dramatik zwischen Vater und Sohn in der Geschichte vom Abschiednehmen, die Uberto Pasolinis Film „Nowhere Special“ erzählt.

Der Produzent, Drehbuchautor und Regisseur, ein geborener Italiener, der seit Jahrzehnten in Großbritannien lebt, spinnt darin seine Liebe zu skurrilen britischen Charaktertypen weiter, wie zuvor zum Beispiel der Truppe Arbeitsloser, die sich in „Ganz oder gar nicht“ als männliche Stripper versuchte, oder dem einsamen Beamten in der schwarzen Komödie „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“, der sich um würdige Bestattungen für die Ärmsten kümmert, am eigenen Grab aber erst in einem fantastischen Kinofinale von den Geistern seiner umsorgten Kunden besucht wird.

Nucleus einer Vater-Sohn-Familie

Wie in der lakonischen Ode auf den menschenfreundlichen Sturkopf Mr. May nimmt es Pasolini auch in „Nowhere Special“ mit den letzten Fragen auf. Nicht das melodramatische Elend um Krankheit und Sterbenmüssen ist sein zentrales Thema, sondern die innig emotionale Nabelschnur zwischen den Generationen, die es alles andere als leicht macht, ein Kind mit dem Tod, vor allem dem Verlassenwerden zu konfrontieren.

„Nowhere Special“. Regie: Uberto Pasolini. Mit James Norton, Daniel Lamont u. a. Großbritannien/Italien/Rumänien, 2020, 96 Min.

„Nowhere Special“ nimmt einen mit in den Nucleus einer Vater-Sohn-Familie, in der einen kurzen Herbst lang kleine Funken liebevoller Zweisamkeit genossen werden, aber für den einsamen Vater der Druck steigt, neue Eltern für sein Söhnchen zu finden.

Pasolini (der mit Pier Paolo Pasolini nur den Nachnamen teilt) ließ sich von einer Zeitungsnotiz inspirieren, nach der ein alleinerziehender Vater, der nur noch wenige Monate zu leben hatte, verzweifelt auf die Suche nach Adoptions- oder Pflegeeltern für sein Kind ging und sich dabei im bürokratischen Gestrüpp des Adoptionsrechts verfing.

Stärke mit zarten Gesten

In „Nowhere Special“ hat das Drehbuch seinem Protagonisten zwei sehr zugewandte tatkräftige Jugendamtsmitarbeiterinnen zur Seite gestellt, die Familien finden und ihn begleiten bei den heiklen Erstbegegnungen, lauter schräge Einblicke in das Selbstbild britischer Familienkonstrukte.

Die Betonung liegt auf dem inneren existenziellen Dilemma des Vaters, den Zweck der absurden Besuche bei „neuen Freunden“ zu erklären und nicht zuletzt mit der dringlichen Entscheidung, auch seinen letzten Abschied zu akzeptieren. In dem britischen Serienstar James ­Norton hat Pasolini einen Schauspieler gefunden, der seine äußerliche Stärke mit zarten Gesten im Umgang mit dem Kind zu verbinden weiß.

Nortons verschlossener Single-Vater nimmt einen mit in den inneren Prozess, sich zögernd vor den wenigen Menschen zu öffnen, die ihm zuhören. Selbst das Kind eines verlassenen Vaters, der ihn ins Kinderheim abgeben musste, ist John ohne Familie aufgewachsen und in der letzten Lebensphase ganz auf die intensive Beziehung zu dem vierjährigen Michael (Daniel Lamont) konzentriert. Das Heimweh von Daniels russischer Mutter war so groß, dass sie das Baby zurückließ und zu ihren Eltern zurückkehrte.

Den Tod erklären

„Nowhere Special“ hat Zeit für die liebevollen Blicke des Vaters und die kleinen Gesten, die ihn spüren lassen, dass Michael seinen Zustand ahnt. Man folgt ihren Alltagsroutinen, dem Popcornfrühstück, dem Weg zur Kita inklusive Druck auf den Ampelknopf, dem abendlichen Bad, wo auch der Plastik-Lkw eingeschäumt wird, dem Vorlesen vor dem Einschlafen, bei dem das Kinderbuch „When Dinos Die“ helfen soll, den Tod zu erklären.

Wenn John seiner Arbeit als Fensterputzer in den Vororten von Belfast nachgeht, sieht man ihn an den unterschiedlichsten Haustypen auf seine Leiter klettern, solange, bis er sich seiner Balance nicht mehr sicher ist und das Putzzeug samt Auto verkauft.

Der kurze Herbst des Films hat Momente einer treffenden britischen Sozialkomödie, die Klassenunterschiede aufs Korn nimmt. Einmal reagiert John beispielsweise mit gezielten Eierwürfen auf die Arroganz eines reichen Kunden. Von der Leiter aus schaut er in Kinderzimmer aller Art und scheint sich auszumalen, wohin sein Kind kommen wird.

Die süße Pausbacke Michael

Wie schräg funkelnde Perlen scheinen die Episoden auf, in denen Vater und Sohn bei Pflegeeltern zu Gast sind, die sich selbst und ihren Großfamilienbetrieb im besten Licht erscheinen lassen. Unfreiwillig grotesk präsentieren sich die adoptionswilligen, ihre Macken kultivierenden Paare der Upperclass, denen zur Krönung ihres Erfolgs noch ein Kind fehlt. Und da ist die Single-Frau, die als Teenager ihr Baby weggab.

Die süße Pausbacke Michael, ohne Zweifel ein Trumpf in Uberto Pasolinis Film, erklärt einmal, nicht adoptiert werden zu wollen. John füllt eine Memory-Box mit Briefen und Erinnerungsgaben und trifft eine Entscheidung. Mit einem Blick zurück auf den Papa nimmt der Junge die fremde Hand an.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.