Europäischer Gerichtshof und Polen: Nächster Dämpfer für Warschau

Der Europäische Gerichtshof befindet einen weiteren Teil der polnischen Justizreform für rechtsstaatswidrig. Geklagt hatte ein Richter, der degradiert worden war.

Europäische und polnische Flagge

Kompliziertes Verhältnis: Europäische und polnische Flaggen Foto: Ints Kalnins/reuters

FREIBURG taz | Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat erneut einen wichtigen Bestandteil der polnischen Justizreform beanstandet. Auch die am Obersten Gericht gebildete Kontrollkammer sei rechtsstaatswidrig besetzt. Im Juli hatte der EuGH bereits die Zusammensetzung der ebenfalls umstrittenen Disziplinarkammer als Verstoß gegen EU-Recht gewertet.

Seit 2015 regiert in Polen die nationalkonservative Partei PiS und versucht, die bis dahin unabhängige Justiz gleichzuschalten. In Polen wird daher zwischen „alten Richtern“ und „neuen Richtern“ unterschieden, je nachdem, ob sie vor oder nach den Reformen von 2015 ins Amt kamen.

Den aktuellen Fall brachte Waldemar Zurek ins Rollen, ein „alter Richter“ am Bezirksgericht Krakau. Zurek ist ein erklärter Kritiker der Justizreform und wurde 2018 gegen seinen Willen von einer zweitinstanzlichen in eine erstinstanzliche Abteilung des Bezirksgerichts versetzt. Er wurde damit faktisch degradiert. Dagegen klagte Zurek und landete mit seinem Rechtsmittel schließlich bei der Kontrollkammer des Obersten Gerichts.

Die Kontrollkammer (oft auch „Kammer für außerordentliche Überprüfung“ genannt) wurde 2018 gemeinsam mit der Disziplinarkammer neu eingeführt und besteht nur aus „neuen Richtern“, während die Mehrheit des Obersten Gerichts Polens noch aus „alten Richtern“ bestand. Zurek stellte deshalb sogleich einen Ablehnungsantrag gegen alle Richter der Kontrollkammer. Noch bevor über den Ablehnungsantrag entschieden war, lehnte ein Einzelrichter der Kontrollkammer im März 2019 Zureks Rechtsmittel gegen die Zwangsversetzung ab.

Verzwickter Fall

Der Fall wurde im Mai 2019 von der Zivilkammer des Obersten Gerichts, die noch mehrheitlich mit „alten Richtern“ besetzt war, dem EuGH vorgelegt. Die Zivilkammer wollte wissen, ob der Einzelrichter der Kontrollkammer überhaupt als gesetzlicher Richter anzusehen ist.

Der EuGH hat in diesem verzwickten Fall nun zwei Dinge entschieden. Zum einen stellte er klar, dass die Zwangsversetzung eines Richters nur möglich ist, wenn sie dazu dient, die Kapazitäten der Gerichte dem jeweiligen Arbeitsanfall anzupassen. Ansonsten seien Zwangsversetzungen in der Regel als Gefahr für die Unabhängigkeit der Justiz anzusehen, weil sie auch als Sanktion für unliebsame Urteile genutzt werden können. Ob im Fall Zurek „berechtigte Gründe“ für die Zwangsversetzung vorlagen, musste der EuGH nicht entscheiden.

Schwerpunktmäßig befasst sich das EuGH-Urteil vielmehr mit den Richtern der Kontrollkammer. Diese Richter vermittelten nicht den Eindruck, „unabhängig und unparteilich zu sein“, was das Vertrauen in die Justiz beeinträchtige, so der EuGH. Ihre Beschlüsse könnten daher als „nicht existent“ angesehen werden.

Als einen wesentlichen Grund für die Zweifel nannte der EuGH, dass die Richter der Kontrollkammer vom Landesjustizrat ausgewählt werden, der selbst seit 2015 einseitig besetzt ist. Damit sprach der EuGH zugleich allen seit 2015 vom Landesjustizrat vorgeschlagenen „neuen Richtern“ das Misstrauen aus.

Abstrakte Maßstäbe

Diese EuGH-Entscheidung muss nun noch vom vorlegenden Gericht, der Zivilkammer des Obersten Gerichts Polens, umgesetzt werden. Der EuGH hat sich aber nicht auf abstrakte Maßstäbe beschränkt, sondern sich konkret zur Situation in Polen geäußert. Von dieser Einschätzung kann die Zivilkammer kaum abweichen und wird dies nur tun, wenn zwischenzeitlich auch dort die „neuen Richter“ die Mehrheit übernehmen. (Az.: C-487/19)

Am Donnerstag dieser Woche wird das polnische Verfassungsgericht eventuell darüber entscheiden, ob EU-Recht Vorrang vor polnischem Recht hat. Das Urteil war aber schon oft angekündigt und bisher stets verschoben worden.

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