Regenbogenfamilien in Deutschland: Vater, Mutter, Mutter, Kinder

Alternative Familienmodelle werden in Deutschland immer häufiger, aber haben bürokratische Hürden. Karo, Lisa und Sören haben gemeinsam zwei Kinder.

Familienfoto

Nils, Sören, Karo und Lisa mit den beiden Söhnen, fotografiert am 17.09.21 in Hamburg Foto: Paula Markert

Wenn Karo und Lisa mit ihren Kinderwagen spazieren gehen, denken die Pas­san­t:in­nen wahrscheinlich, zwei befreundete Mütter kreuzen ihren Weg, kaum jemand, dass es sich um eine Familie handelt. Karo und Lisa sind verheiratet und im vergangenen Jahr beide Mutter geworden. Im Abstand von 13 Tagen kamen Lukas und Anton zur Welt, vom selben Vater – einem gemeinsamen Studienfreund, der selbst mit einem Mann zusammenlebt.

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Zusammen bilden sie seit einem Jahr eine sogenannte Regenbogenfamilie, laut Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) eine „Familie, in der mindestens ein Elternteil gleichgeschlechtlich liebt oder transgeschlechtlich lebt“. Geschätzt leben in Deutschland rund 12.000 Regenbogenfamilien, konkrete Zahlen gibt es nicht. Erhebungen werden vor allem dadurch erschwert, dass viele solcher queeren Familien das Sorgerecht unter sich ausmachen. Offizielle Regelungen oder gar ein gemeinsames Sorgerecht für mehr als zwei Elternteile gibt es in Deutschland nicht.

Karo, Lisa und Sören haben den offiziellen Adoptionsprozess durchgeführt. Karo und Lisa sind die rechtlichen Eltern. Sören ist „der Papa“, wenn auch nicht auf dem Papier. Die drei sprechen gerne über ihre Erfahrungen mit ihrer Familienkonstellation, auch um sie mit Menschen zu teilen, die selbst eine Regenbogenfamilie gründen möchten, und diese miteinander zu vernetzen.

„Wir sind zwei Frauen, die zusammenleben, wir wünschen uns Kinder, wir müssen dazu einen Partner finden, der sich mit uns wohlfühlt“, erzählt Karo von den Anfängen. Sören und Lisa kennen sich schon seit über acht Jahren und auch das Thema Familie kam nicht unerwartet: „Es war immer wieder mal ein Partythema“, erzählt Sören. „Wäre witzig, wenn wir Kinder hätten, haben wir immer gemeint.“ Auf Lisas und Karos Hochzeit kamen von weiteren Freunden Angebote, halb im Scherz, halb im Ernst. Ein halbes Jahr später entschieden sich die beiden dann, auf Sören zuzugehen.

Workshops für Regenbogenfamilien

Bei allen kam die Frage auf: „Was müssen wir denn so wissen?“ Um das zu beantworten, nahmen sie zu dritt an einem Regenbogenfamilien-Workshop in der Nähe von Göttingen teil – in der Akademie Waldschlößchen, einer queeren Volksbildungsstätte. Dort trafen sie eine Familie mit zwei Frauen, einem Mann und einem Kind und tauschten sich aus. Auch Bürokratisches, die Adoption oder mögliche Reaktionen auf peinliche Fragen wurden besprochen, aber auch, wie man selbst zu Religion, Taufe oder veganem Essen steht. Themen eben, die es bei jeder Kinderplanung zu besprechen gibt. Das Wochenende überzeugte die drei, ihre Idee in die Tat umzusetzen.

Sie entschieden sich für die sogenannte Bechermethode. „Bedeutet, wir hatten keinen Sex miteinander, wir haben das Sperma überführt in eine Spritze und damit dann weiter in die Vagina“, erklärt Karo. Ob sie nicht über eine medizinisch unterstützte künstliche Befruchtung nachgedacht hätten? „Wir sind alle drei Biologen und dachten uns, die Natur findet ihren Weg. Wir haben uns entspannt, was getrunken und einen albernen Film geguckt.“ Die aktiven Treffen, um Kinder zu zeugen, seien total merkwürdig gewesen, meint Sören. Irgendwann habe man sich aber daran gewöhnt. Nach etwa einem Jahr klappte es schließlich – sehr wahrscheinlich am selben Tag bei beiden.

Ärztliche Unterstützung nicht unbedingt nötig

„Regenbogenfamilien brauchen nicht unbedingt ärztliche Unterstützung“, sagt Markus Ulrich, Pressesprecher des LSVD. Viele Frauen führen die Insemination ohne ärztliche Hilfe durch. Für gleichgeschlechtliche Paare, die Schwierigkeiten haben, schwanger zu werden, ist eine medizinisch unterstützte Befruchtung jedoch notwendig. Diese kostet pro Versuch bis zu 5.000 Euro und wird per Gesetz nicht von der Krankenkasse übernommen.

Oft sind Ärz­t:in­nen nicht bereit, diese durchzuführen. Zwar ist sie für Paare gleichen Geschlechts nicht verboten, jedoch auch nicht ausdrücklich erlaubt. Die meisten durchführenden Ärz­t:in­nen orientieren sich an den Richtlinien ihrer jeweiligen Ärztekammer. Momentan erlaubt nur die Hamburger Ärztekammer diese für gleichgeschlechtliche Paare explizit. Wer es sich leisten kann, gehe ins Ausland, wie zum Beispiel nach Frankreich.

Auch Vaterrolle besprochen

Bei der Familienplanung war wichtig, von vornherein auch Sörens Rolle als Vater zu besprechen. Da er Medizin im Zweitstudium studiert und nebenher arbeitet, wussten alle von Anfang an, dass er wenig Zeit haben würde. „Du kannst da sein, wann immer du kannst und möchtest. Du hast aber keine Verpflichtungen, weder finanzieller Natur noch beziehungstechnisch“, war die Verabredung. Gegenüber den Kindern ist er „der Papa“ und sieht sich auf jeden Fall auch als solcher: „Ich mag den Begriff Samenspender gar nicht. Das klingt so steril und unromantisch. Ich fühle mich als Papa, wie jeder frischgebackene Vater – verunsichert, sehr glücklich.“

Wann immer er Zeit hat, fahre er aus Göttingen zu der Familie nach Hamburg. Während der Schwangerschaft lernte Sören seinen Partner Nils kennen, der nun auch von Anfang an Teil der Familie ist.

Alle kümmern sich um alle

Im Alltag lautet bei den Müttern der Plan: Alle Erwachsenen kümmern sich um alle Kinder. Ohne Unterschiede. Vor den Kindern selbst nennen sich beide „Mama“. Sie wollen es ihnen selbst überlassen, sich irgendwann unterschiedliche Namen zu überlegen. „Vielleicht habe ich irgendwann einen Fleck im Gesicht und dann bin ich die mit dem Fleck im Gesicht“, lacht Karo. Ein großer Vorteil ihrer Familie sei es, dass schon während der Schwangerschaft absolutes Verständnis für die andere da war, da man miteinander sowohl dieselben Probleme als auch dieselben Glücksmomente teilen konnte.

Um rechtlich gesehen die Eltern beider Kinder zu sein, mussten Karo und Lisa „quer adoptieren“, das heißt, jeweils das leibliche Kind ihrer Frau adoptieren. Damit sind sie mittlerweile durch. Ein formaler Aufwand, finden sie, der das Einverständnis des Vaters benötigte und dessen Kosten im mittleren dreistelligen Bereich lagen.

Viele haben Angst vor dem Adoptionsprozess

Karo erzählt, dass viele Regenbogenfamilien große Angst vor dem Adoptionsprozess hätten. „Sie vermuten, dass die Leute vom Jugendamt ihnen nicht gewogen sind“, erklärt sie. „Es gibt urbane Mythen darüber, dass man den Vater besser gar nicht erst in die Geburtsurkunde einträgt.“ In ihrem Fall sei der Prozess aber sehr einfach und gut verlaufen. Dafür sei es wichtig, ein freundliches, offenes Miteinander zu wählen, findet Karo.

Laut Doris Achelwilm, die als Sprecherin der Fraktion Die Linke für Gleichstellungs-, Queer- und Medienpolitik im Bundestag sitzt, müsse die Elternschaftsanerkennung für alle Elternpaare unabhängig vom Geschlecht des zweiten Elternteils gelten. Zwei-Mütter-Familien würden in dieser Hinsicht diskriminiert, da die Kinder in eine nachteilige, rechtsunsichere Situation hineingeboren würden.

Diskriminierende Formulare

„Schon, dass man nicht selbst angeben kann in diesem Formular im Krankenhaus, wer denn jetzt die Eltern des Kindes sind, sondern dass es nur die Varianten ‚Vater und Mutter‘ gibt, ist diskriminierend“, findet Karo. „Wir haben uns dann trotzig, wie wir sind, mit Geburtsmutter und Co-Mutter eingetragen. Das wurde dann aber von der Stadt nicht übernommen.“ In einer für sie perfekten Welt würde auf den Formularen stehen: „Welche sind die rechtlichen Eltern?“

Die größte Benachteiligung, die Karo seit der Geburt ihres Kindes erlebt hat, habe sich jedoch gar nicht auf ihre Familienkonstellation oder sexuelle Orientierung bezogen. „Ich wurde bisher ausschließlich benachteiligt, weil ich Mutter bin“, betont sie. Es erschwere die Suche und das Halten einer Arbeit, wenn man sich nebenher noch um seine Kinder kümmere und nicht direkt einen Vollzeitjob annehmen möchte. „Das heißt, eine doppelte Benachteiligung, weil wir zwei Mütter sind. Aber das liegt nicht an unserem Konzept, sondern an jeder einzelnen von uns.“

Eine Kopfentscheidung

Die Familie hofft, mit ihrem Modell ein Blaupausenbeispiel geben zu können: „Ich wollte das an die Öffentlichkeit bringen, weil ich gemerkt habe, dass es häufig Konflikte darüber gibt, wer denn jetzt das Kind bekommt. Warum denn das Kind? Es können ja auch mehrere Kinder sein, indem man versucht, gleichzeitig schwanger zu werden“, sagt Karo.

Vieles ist bei der jungen Familie wie in jeder Familie. Jedoch: „Vorteil ist bei uns, dass wir alles bewusst entschieden haben. Uns konnte nicht passieren, dass nach einer Party das Kondom geplatzt ist“, so Sören. Ihre Familienentscheidung war vor allem eine Kopfentscheidung.

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