Luxemburgs „Jo“ ist längst nicht mehr sicher

Im reichsten EU-Land ist die Zustimmung zur EU-Verfassung beim Referendum am Sonntag keine ausgemachte Sache mehr. Premierminister Juncker erwartet knappe Entscheidung und droht bei Ablehnung mit seinem Rücktritt

BRÜSSEL taz ■ Jean-Claude Juncker lächelt wieder. Der Luxemburger Premierminister scheint die Sorgenfalten und Enttäuschungen zum Ende seiner EU-Präsidentschaft verwunden zu haben und kämpft nun im eigenen Land für das Ja zur Europäischen Verfassung. Die Luxemburger stimmen an diesem Sonntag über den Text ab. Und auch im reichen EU-Musterland wird das Ergebnis vermutlich „sehr knapp“ ausfallen, meint der Premierminister inzwischen sogar selbst: „Es stehen sich zwei fast gleichstarke Gruppen gegenüber.“

Das belegen auch die Zahlen: Zwar dürfen in den letzten vier Wochen vor der Abstimmung keine Umfragen mehr veröffentlicht werden – das ist gesetzlich verboten – aber Anfang Juni wollten nur noch 45 Prozent der Wahlberechtigten für den Text stimmen. Zwei Monate vorher waren es noch über 70 Prozent gewesen.

Für Juncker steht am Sonntag nicht nur seine Glaubwürdigkeit auf europäischer Ebene auf dem Spiel, sondern seine politische Zukunft. Denn sollten die Luxemburger tatsächlich gegen die Verfassung stimmen, will der seit 1995 amtierende Juncker zurücktreten. Er könne sein Land dann nicht mehr angemessen nach außen vertreten, ist seine Begründung.

Also stürzt sich Juncker mit all seinen Kräften in die Debatte im eigenen Land. In dieser Woche besucht er drei Gymnasien, um die Jungwähler von dem Text zu überzeugen. Täglich ist der Premierminister in Radio- oder Fernsehsendungen zu hören. Im Internet chatten die Minister mit interessierten Bürgern. Und Mitglieder von Junckers Christdemokraten besuchen sogar die Luxemburger zu Hause, um Überzeugungsarbeit zu leisten. Alle großen Parteien unterstützen diesen Kurs und fahren ihre eigenen Informationsveranstaltungen, die zurzeit jeden Abend und im ganzen Land stattfinden.

In der vergangenen Woche hat das Parlament schon mal vorsorglich für die Verfassung gestimmt – mit einer Mehrheit von über 90 Prozent. Wenn das Referendum am Sonntag positiv ausfällt, verabschieden die Abgeordneten den Text endgültig im September. Im umgekehrten Fall fällt diese Abstimmung aus. Jetzt haben auch noch 84 Bürgermeister einen Aufruf für das Ja unterschrieben. Die beiden großen Bauernverbände bekennen sich genauso zur Verfassung wie der Naturschutzverband „Natura“ und die großen Gewerkschaften.

Öffentliche Gegenstimmen kommen in Luxemburg – wie schon in Frankreich und in den Niederlanden – von den Rändern der politischen Landschaft. Auf der einen Seite steht die rechtspopulistische Partei für Demokratie und Rentengerechtigkeit ADR. Ihre Anhänger reden gegen den Beitritt der Türkei zur EU und warnen die Luxemburger vor Arbeitslosigkeit und einer Schwächung der Wirtschaft. „Schon heute gehen 80 Prozent der jährlich neu geschaffenen Arbeitsplätze an Grenzgänger und Nichtluxemburger. Das wird immer schlimmer“, sagt Gast Gibéryen, Fraktionsvorsitzender der ADR.

Mit solchen Argumenten will das „Komitee für das Nein“, das mehrere linke Gruppierungen zusammenfasst, nichts zu tun haben. Die Linken haben gegen die Verfassung die gleichen Vorbehalte wie etwa die Franzosen: Sie sei nicht demokratisch, zu liberal und fördere die Aufrüstung in Europa, heißt es auf Flugblättern. Gestern Abend sollte der französische Aktivist José Bové noch mal für richtig „negative“ Stimmung sorgen. Bei einer ähnlichen Veranstaltung am vergangenen Samstag mit dem ebenfalls französischen Sozialisten Henri Emmanuelli waren immerhin über 500 Neinsager versammelt.

André Kremmer vom Nein-Komitee rechnet mit einem echten „High Noon“ am Sonntag. Für Juncker ist jedenfalls klar: „Ich werde kämpfen bis zum Schluss. Es muss einfach ein Ja sein!“ CLARA ROSENBACH