Auf Youtube gesperrtes RT Deutschland: Reichlich Tinnef

Nachdem Youtube die Kanäle von RT Deutschland gelöscht hat, reagiert Russland mit Drohungen. Doch Präsident Putin braucht den Westen.

Putin mit entblößtem Oberkörper beim Angeln

Putin lässt mal wieder seine Muskeln spielen Foto: Alexei Nikolskyi/RIA Novosti/Kremlin/Reuters

Wenn die russische Staatspropaganda offensiv den ollen Karl Marx aus dem Schrank holt, ist Vorsicht geboten. „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, das heißt, die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht“, zitiert RT Deutsch den Autor des „Kommunistischen Manifests“. „Mit der Löschung der RT DE-Videokanäle von ihrer Plattform hat die Google-Tochter YouTube wieder einmal demonstriert, wie dicht an der Wirklichkeit Karl Marx mit dieser Einschätzung lag“, schreibt RT Deutsch auf seiner Website in eigener Sache.

Diese Argumentation hat eher was von Groucho Marx und ist mindestens so fake wie dessen angemalter Balkenschnurrbart. Doch leider lässt sich die Auseinandersetzung nicht als reine Vaudevilleklamotte, die sich ins 21. Jahrhundert verirrt hat, abhaken. Das Ganze ist Bestandteil von Putins Zersetzungsstrategie, sie geht zumindest in einigen Bereichen auf. Das vertrackte an Propaganda ist ja gerade, dass sie so einfach zu funktionieren scheint. Nach dem Motto „Haltet die Dieb*in!“ heißt die Überschrift des Beitrags: „Politische Zensur – oder: Wie der Westen das Denken beherrschen will“. Es gibt mittlerweile auch hierzulande eine Klientel, bei der das auf fruchtbaren Boden fällt. Und so schwafelt Nachdenkseiten-Gründer Al­brecht Müller im Interview mit RT Deutsch brav von Zensur. Und RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan lässt sich gerne mit dem Satz zitieren, kein normaler Mensch glaube noch an Redefreiheit in Deutschland.

Nun ist gerade der Umstand, dass so etwas uneingeschränkt geäußert werden kann, gleichzeitig das beste Argument gegen solchen Tinnef. Denn der Wahn vom beherrschbaren Denken existiert ja eher im Heimatland von RT. Wobei der russische Präsident Wladimir Putin und seine Knechte natürlich nicht so schlicht sind, wirklich daran zu glauben. Weshalb in Russland freie Medien, oppositionelle Gedanken und der dazugehörende Journalismus mit Gewalt verfolgt und eingeschüchtert werden.

Der Westen dient als Feinbild

Logischerweise bekommen die RT-Mythen vom „Informationskrieg“, der hier tobe, durch die Löschung der Youtube-Kanäle neues Futter. Zumal RT und seine verblendeten Verbündeten nicht müde werden, mit allen zehn Fingern auf die Bundesregierung zu zeigen und zu raunen, dass die doch in Wahrheit dahinterstecke. Auf derlei Anwürfe überhaupt zu reagieren ist nicht wirklich klug. Regierungssprecher Steffen Seibert hat es trotzdem getan. Vermutlich, weil Schweigen statt eines klaren Dementis als Schuldeingeständnis gewertet worden wäre. Auch das gehört zur Logik der Zersetzung. Und es nützt nichts. Denn nun dreht RT die Propagandaschraube einfach weiter und lässt Adepten wie Müller verkünden, dieser Version der Bundesregierung sei selbstverständlich nicht zu trauen.

War die Löschung der Kanäle deshalb falsch? Natürlich nicht, und was nun folgt, ist zu verschmerzen – selbst wenn der Kreml Ernst macht mit seinen Drohungen, nun die Arbeit deutscher und anderer westlicher Medien in Russland einzuschränken. Denn das läuft ohnehin und ist auch schon deutlich länger der Fall. Putin wird hier aber immer auf dem schmalen Grat zwischen Einschüchterung und Selbstentlarvung wandeln, der einen völligen Abbruch der medialen Beziehungen ausschließt. Schließlich braucht er den Westen als Handelspartner, Projektionsfläche und Feinbild

Der Wahn vom beherrschbaren Denken existiert ja eher im Heimatland von RT

Und was wird aus den hochtrabenden Plänen von RT Deutsch? Zum Glück nichts. Mit rund 200 neuen Stellen wollte der Kanal endlich durchstarten und „richtiges“ Fernsehen machen. Weil sich die hinter RT Deutsch stehende russische Staatsagentur Novosti sicher sein konnte, in Deutschland keine Sendelizenz zu erhalten, sollte Luxemburg ran. Doch das für seine liberale Medienpolitik bekannte Herzogtum, das einst ein Radioprogramm für Deutschland namens RTL zuließ, dachte nicht dran: Das Unternehmen sei schließlich in der Bundes­republik ansässig.

Alles Taktik

Außerdem sei der wesentliche Teil des Personals in Berlin tätig. Daher unterliege das geplante TV-Programm der Rechtshoheit Deutschlands, so das luxemburgische Staatsministerium. Damit sind auch die Chancen von RT, in einem anderen EU-Land eine Zulassung zu bekommen und damit automatisch auch in Deutschland senden zu dürfen, gleich null.

Besonders erfreulich ist, dass auch die Rekrutierungskampagne offensichtlich nicht aufgeht. Schließlich sind im klassischen Mediengeschäft die fetten Jahre vorbei. Von 200 neuen Jobs auf einen Schlag in Berlin sollte also eigentlich eine gewisse Attraktivität ausgehen. Doch von langen Bewerberschlangen bei RT wurde bislang nicht berichtet. Die Stellen sind immer noch ausgeschrieben. Von spektakulären Personalien, gar dem Abwerben bekannter Gesichter von anderen Sendern wie unlängst durch RTL und ProSiebenSat.1, kann schon gar keine Rede sein. Denn zum Journalismus gehört Wahrhaftigkeit. Doch davon ist bei RT nichts zu spüren.

Wird die Zersetzungstaktik von RT trotzdem aufgehen? Nein, oder höchstens in der zum Glück kleinen Gruppe der Menschen, die für den demokratischen Diskurs schon jetzt nicht mehr erreichbar sind. Wichtig ist vor allem, sich hier nicht kirre machen zu lassen. Sondern lieber mit Marx eine Zigarre zu rauchen. Aber mit dem richtigen, mit Groucho.

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