„Endlich platzt die Immobilienblase“

EUROPA Bislang haben die Spanier jahrzehntelang gespart, um die eigene Wohnung abzubezahlen. Das lohnt jetzt nicht mehr – und das ist gut so

■ ist Wirtschaftsjurist. 2010 erschien von ihm „Die Wahrheit über den spanischen Immobilienmarkt“ und sorgte für Aufsehen. 2012 publizierte er „Wie man den Immobilienabsturz überlebt“.

INTERVIEW REINER WANDLER

taz: Herr Mateo, in Spanien ist die Immobilienblase geplatzt und Sie sagen, das könne eine große Chance für das Land sein. Warum?

Borja Mateo: Bisher wurde das ganze Geld, wurden die ganzen Ersparnisse in die Bauindustrie investiert, da dies sehr hohe Gewinne versprach. Dabei ist das eine Branche mit niedriger Produktivität und ohne Perspektive. Das Geld fehlt in anderen Bereichen, für Zukunftsinvestitionen und Forschung, also dort, wo es auch eine Steigerung der Produktivität bringen würde. Die spanische Wirtschaft wuchs hingegen nur, weil die Spekulationsblase größer wurde.

Warum steuerte die Politik nicht dagegen?

Der Staat profitierte von der Spekulationsblase. Sie schuf sehr schnell sehr viele Arbeitsplätze – was zu höheren Steuereinnahmen führte. Der Staat konnte so seinen Einfluss deutlich ausweiten, zum Beispiel indem er mehr Beamte einstellte.

In den Jahren des Baubooms waren die Zinsen für die Kredite niedriger als die spanische Inflation. Wie kann eine Bank da verdienen?

Die Banken und Sparkassen waren direkt am Baugeschäft beteiligt. Und natürlich verdienten sie auch mit den Krediten Geld. Die Inflation war schließlich nicht überall in Europa gleich hoch. In Spanien war die Inflation hoch, weil alles in den Konsum floss. In Deutschland hingegen war sie viel niedriger, dank der Investitionen in die Produktion. Die steigende Produktivität lässt die Preise sinken, das wirkt der Inflation entgegen. Die spanische Zentralbank hat völlig versagt. Sie unternahm nichts gegen diese Kreditschwemme, ganz im Gegenteil.

Jetzt kommt die Rechnung: Spanien braucht für die Rekapitalisierung seiner Kreditinstitute bis zu 62 Milliarden Euro aus Brüssel.

Das ist sehr optimistisch. Die beiden Beraterfirmen, die im Auftrag der Regierung die Banken und Sparkassen unter die Lupe genommen haben, gehen von einem Verfall der Wohnungspreise von 36 Prozent aus. Aber diese Marke haben wir bereits im vergangenen Jahr erreicht. Inzwischen sind wir bei 44 Prozent angekommen – und es geht weiter bergab, die Preise für Wohnungen werden am Ende wohl sicherlich um 60 Prozent unter den Spitzenwerten von 2006 liegen. Um den Finanzsektor in Spanien zu retten, werden letztendlich 130 bis 150 Milliarden Euro notwendig sein.

Mehr als das Doppelte also als bisher diskutiert?

Die Banken haben toxische Aktivposten, das heißt Immobilien und Grundstücke, geschickt in der Bilanz versteckt. Außerdem sind viele Immobilien völlig überbewertet. Die Banken beschönigten ihre Situation, indem sie den Wert um 10 Prozent höher ansetzten. Das ging so lange gut, wie die Preise dank der Spekulationsblase tatsächlich stiegen. Das Dogma lautete: Die Wohnungspreise fallen nie. Seit den 1970er-Jahren war das ja auch so – bis zum Ausbruch der jetzigen Krise.

Was passiert, wenn die Banken und Sparkassen gezwungen werden, die toxischen Aktivposten auszulagern und zu verkaufen?

Das wird zu einem noch stärkeren Verfall der Wohnungspreise führen. Deshalb will die Regierung den Banken 20 Jahre einräumen, um die Immobilien abzustoßen. Sollten die Kreditinstitute gezwungen werden, die Immobilien schneller an den Markt zu bringen, würden die meisten Institute bankrottgehen. Spanien befindet sich in einer sehr kritischen Lage.

Und die Kosten für die Blase müssen jetzt die Familien tragen.

Vor fünf, sechs Jahren bestand das Gesamtvermögen der spanischen Familien zu 80 Prozent aus Immobilieneigentum. Diese Wohnungen haben schon jetzt über 40 Prozent ihres Werts verloren; wenn die Preise um bis zu 60 Prozent fallen, wie ich es erwarte, verlieren die Spanier also zwei Drittel ihres Vermögens. Das Niveau, das die Familien auf dem Höhepunkt der Spekulationsblase hatten, werden sie nie wieder erreichen. Dazu wäre ein Zuwachs von 200 Prozent nötig. Das ist unmöglich.

Warum wird ein Rettungspaket für die Banken geschnürt, während die Bürger auf ihren Schulden sitzen bleiben?

Das ist ein sehr interessanter Punkt. Wenn die Banken gerettet werden, hat die Bevölkerung auch Anspruch auf Hilfe. Es muss irgendwann einen teilweisen Schuldenerlass für die Bürger geben. Und wir brauchen eine stärkere Kontrolle der Macht. Das heißt, die Regierenden müssen strafrechtlich verantwortlich sein für das, was sie tun. Ich rede nicht nur von der Korruption, die in Spanien in den Jahren des Baubooms zugenommen hat. Und es ist auch nicht nur das liberale Marktdenken, das für die Spekulation verantwortlich ist. Die Hauptverantwortung trägt der Staat, der ganz direkt die Spekulation begünstigte, weil er über Steuereinnahmen davon profitiert hat.

Und wenn Spanien die Banken einfach zusammenbrechen ließe, um bei null anzufangen? Island hat sich nach dem Kollaps seines Finanzsystems im Jahr 2008 berappelt und gilt heute als Beispiel für schnelle Erholung.

Ein Prozess wie in Island ist in Spanien nur schwer vorstellbar. Das Land ist viel größer, die Macht unzähliger Interessengruppen in der Wirtschaft und den Regionen auch.

Woher kommt dann Ihr Optimismus, die geplatzte Immobilienblase könne eine Chance für Spanien sein?

Wir werden künftig weniger in Wohnungen investieren müssen. 1973 gab eine Familie 5 Jahreseinkommen für eine Eigentumswohnung aus. 2006 waren es schon 15 Jahreseinkommen. Das hat die ganze Gesellschaft gelähmt. Die Familien mussten fast ihr ganzes Geld für den Wohnungskredit aufbringen. Und die Banken investierten nicht mehr in neue Technologien, in Forschung, in produktive Industrie, sondern in Dinge, die keinerlei nachhaltigen Wert haben. Eine Wohnung, die in 20 oder 30 Jahren abbezahlt wird, ist totes Kapital. Ein Kredit, der für den gleichen Zeitraum an ein Unternehmen für neue Maschinen vergeben wird, ist produktiv.