Außerplanmäßiger Weltmeister in Flandern

Julian Alaphilippe gewinnt erneut den WM-Titel im Straßenrennen. Der Franzose profitiert von einer Strategie, die ihn gar nicht als Sieger vorsah

Julian Alaphilippe ist vom eigenen Erfolg überwältigt Foto: dpa

Von Tom Mustroph

Julian Alaphilippe wollte in Löwen seinen Augen nicht recht trauen. Das WM-Rennen war zu Ende und er steckte noch immer im Regenbogentrikot. „Wir haben unseren Plan nicht ganz wie gewollt umgesetzt“, sagte er zu seinem Nationalcoach Thomas Voeckler. Der schalt ihn aber ganz und gar nicht. Denn den Sieg hatte Alaphilippe ja errungen. Nur eben anders als geplant.

Eigentlich sollte im Finale der schnelle Florian Senechal das Leibchen holen. Alaphilippe sollte vorher lediglich das Rennen schwer machen, der Konkurrenz die Kraft aus den Beinen ziehen. Das klappte dann noch besser als erwartet. Die Beine der anderen, insbesondere des hoch favorisierten belgischen Teams, waren derart leer, dass der Mann mit der Startnummer 1 ganz allein und unbehelligt dem Ziel entgegen streben konnte. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich allein in die Schlussrunde gehen würde“, erzählte der Doppelweltmeister hinterher, und wunderte sich noch immer. Aber an diesem Tag hatte es bereits ausgereicht, einen großartigen Plan nur zu zwei Dritteln zu erfüllen – und trotzdem zu siegen.

Dass die vom einstigen Radhelden Voeckler gecoachten Franzosen an diesem Sonntag bei dem 268 Kilometern langen Rennen über Flanderns Pflaster- und Asphaltstraßen etwas Besonderes vorhatten, wurde schon früh deutlich. Immer wieder starteten Männer in den dunkelblauen Trikots Attacken. Sie wollten das Rennen so schwer wie möglich machen und die anderen Teams zum frühen Kräfteverschleiß durch die Verfolgungsarbeit zwingen. Eine erste erfolgversprechende Gruppe initiierte dann schließlich Benoît Cosnefroy. „Wir wollten eigentlich noch früher mit den Angriffen starten, aber einer unserer Fahrer, Remi Cavagna, hatte einen Reifenschaden“, erzählte Voeckler später. Der Plan sah vor, ein Angriffsrennen schon vom ersten Kilometer an zu starten. „Wir wollten loslegen, bevor alle anderen dies erwartet haben. Wir wollten immer einen Schritt voraus sein, mit Cosnefroy oder auch Arnaud Demare, um einen schnellen Fahrer vorn zu haben und für Gefahr zu sorgen. Wir wollten auch, dass es am Ende auf der Strecke nicht zu voll wird“, erläuterte Voeckler den Masterplan.

Genau das setzten seine Fahrer auch um. Im mittleren Teil des Rennens erhielten sie noch prominente Unterstützung. Bei den von den Franzosen, und einmal auch vom Kölner Nils Politt initiierten Fluchtgruppen fuhr Belgiens Jungstar Remco Evenepoel fleißig mit. Er war sogar die stärkste Lokomotive, die die Gruppen zog. Kräfte investieren mussten vor allem die Italie­ner, die mehrere dieser Gruppen verpassten.

In der entscheidenden Gruppe 30 km vor dem Ziel waren dann aber doch die wichtigsten Nationen mit dem Gros der Favoriten vertreten. Mit je drei Mann waren Frankreich, Belgien und Italien dabei. Alaphilippes Aufgabe war es nun, diese Patt-Situation zu lösen. Fünf Mal griff er an, vier Mal wurde er dabei gestellt. Meist hatte er einen Belgier und einen Italiener am Hinterrad. Beim fünften Versuch, etwa 20 km vor dem Ziel, schoss er schließlich davon.

„Das muss ich jetzt erst einmal verkraften“, sagte er später. Mit seinem zweiten Regenbogentrikot schrieb er nicht nur Geschichte. Eine Titelverteidigung war noch keinem Franzosen geglückt, keinem ­Hinault, keinem Leducq und wie die alten Helden sonst so heißen. Er hatte eine für ihn nicht sonderlich erfolgreiche Saison doch noch gekrönt. Womit er jetzt freilich leben muss, ist eine weitere Saison im Regenbogentrikot. „Es ist sehr schön, es die ganze Saison über zu tragen. Es kostet aber auch viel Kraft“, seufzte er. Denn jeder will den Weltmeister schlagen, wenn der mal attackiert.