Die AfD nach der Bundestagswahl: Endlich wieder Flügelkämpfe

Nach der Wahl ist der Burgfrieden trotz guter Ergebnisse im Osten vorbei. Meuthen attackiert Weidel und Chrupalla auf offener Bühne.

Jörg Meuthen, Tino Chrupalla und Alice Weidel stehen in der Bundespressekonferenz

Führten vor versammelter Presse ein Theaterstück auf: Meuthen, Chrupalla und Weidel

BERLIN taz | Die Parteispitze der AfD hat sich nach dem Verlust von 2,3 Prozentpunkten auf offener Bühne zerlegt. Nachdem die Spit­zen­kan­di­da­t*in­nen Alice Weidel und Tino Chrupalla von einem soliden Ergebnis bei der Bundestagswahl und einer Konsolidierung angesichts einer knapp zweistelligen AfD sprachen, griff Jörg Meuthen die beiden in der Bundespressekonferenz frontal an: „Versuche, sich das Ergebnis in Altparteienmanier schön zu reden, darf es bei uns nicht geben“, wiederholte er gleich mehrfach.

Man habe außerhalb des AfD-Milieus keine Wäh­le­r*in­nen mobilisieren können – trotz massiver Verluste der CDU, wie Meuthen kritisierte. „Wir brauchen eine innerparteiliche und schonungslose Analyse“, so Meuthen, der beim Wahlkampfabschluss noch deutlich anders geklungen hatte.

Weidel und Chrupalla lächelten währenddessen passiv-aggressiv – und gifteten danach zurück. Weidel sagte: „Ich lasse mir das Ergebnis nicht schlecht reden!“ Ausdrücklich bedankte sie sich nur bei Chrupalla für den Wahlkampf, woraufhin Meuthen noch mal vor der versammelten Hauptstadtpresse nachlegte: „Wenn wir fast 20 Prozent unserer Stimmen verlieren, halte ich Zufriedenheit für unangebracht.“

Das schlechte Ergebnis bestätige den Trend der vergangenen Landtagswahlen, so Meuthen. Erneut kritisierte er den Radikalisierungskurs der AfD: „Wir müssen klare Signale senden in die bürgerliche Mitte der Gesellschaft“, so Meuthen. Und: „War es wirklich klug, den Dexit in das Wahlprogramm zu schreiben?“ Der Burgfrieden in der AfD ist mit der Wahl vorbei – die innerparteilichen Flügelkämpfe dürften sich weiter zuspitzen.

AfD stark im Osten

Meuthen gilt innerhalb der AfD als Antipode zum rechtsextremen Flügel um Björn Höcke. Chrupalla und Weidel waren die Wunsch­kan­di­da­t*in­nen des offiziell aufgelösten rechtsextremen Flügels. Den Showdown gibt es spätestens im Dezember, wie auch Weidel ahnen ließ: Man müsse das jetzt intern „in den Gremien klären“ – aber „spätestens im Dezember, wenn der Vorstand neu gewählt wird“. Eine eindeutige Drohung in Richtung Meuthen.

Dabei ist Meuthens Analyse durchaus zutreffend: Denn die AfD ist nach druchwachsenem Wahlkampf auf ihr Kernklientel zurückgeworfen. Dennoch waren viele am Wahlabend vor allem mit Blick auf gute AfD-Ergebnisse im Osten schockiert: Das südliche Ostdeutschland ist mal wieder braunblau. Während die AfD bundesweit auf 10,3 Prozent zurückfiel, sind die völkischen Landesverbände aus Sachsen und Thüringen in beiden Bundesländern stärkste Kraft geworden. Der Verfassungsschutz stuft die AfD-Verbände dort als rechtsextreme Verdachtsfälle ein.

David Begrich, Rechtsextremismus-Experte

„Die AfD in Ostdeutschland ist ausmobilisiert“

Auf den zweiten Blick ist aber auch klar: In beiden Ländern sieht die AfD nur deswegen so gut aus, weil die CDU so viel verloren hat: In Thüringen hat es für die AfD mit 24 Prozent für einen denkbar knappen Sieg vor der SPD (23,4 Prozent) gereicht. In Sachsen kommt die AfD auf das bundesweit beste Ergebnis mit 24,6 Prozent (2017: 25,4 Prozent). Aber auch hier hatte man 30 Prozent angepeilt.

Allerdings konnte die AfD vor allem aufgrund der schwachen CDU hier zahlreiche Direktmandate gewinnen. Hatte die AfD 2017 insgesamt nur 3 Direktmandate geschafft, sind es nun allein in Sachsen 10. Sie gewann alle ländliche Wahlkreise, abgesehen vom Vogtlandkreis. Nur dort und in den Städten Leipzig, Dresden und Chemnitz hielt eine knappe Mehrheit von CDU, SPD oder Linkspartei. Vier Direktmandate konnte die AfD noch in Thüringen sowie zwei im Süden Sachsen-Anhalts holen. In den nördlicheren Ost-Ländern hingegen blieb die AfD zumeist hinter der SPD und den eigenen Erwartungen zurück: Etwa im Norden Sachsen-Anhalts, in Brandenburg, nicht zuletzt bei der Berlin-Wahl und in Mecklenburg-Vorpommern, wo sie jeweils Stimmen verlor. Im Westen blieb die AfD überall unter 10 Prozent.

AfD als „Lega Ost“

Jemand, der am Wahlabend nicht geschockt war von den blaubraunen Inseln im Osten, ist Rechtsextremismus-Experte David Begrich aus Magdeburg. Aus dem Ergebnis leitet er zwei Befunde ab: „Erstens: Die AfD in Ostdeutschland ist ausmobilisiert – das Politikmodell der AfD hat nicht endlos Luft nach oben.“

Zweitens zeige das insgesamt gute Abschneiden im Osten, dass das Wählermilieu dort stabil und mobilisierbar sei – „selbst wenn die AfD keines ihrer klassischen Themen wie Migration auf der emotionalen Ebene spielen kann“, sagte Begrich. Die Wählerschaft stimme also mit den extrem rechten Positionen der AfD überein. Karlheinz Weißmann, wichtiger Theoretiker der Neuen Rechten, auch tätig im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, habe mal davon gesprochen, dass die AfD in den neuen Bundesländern als eine Art Lega Ost erfolgreich sei.

„In gewisser Weise hat Weißmann hier recht“, sagt Begrich, „die AfD im Osten ist eine regionalistische Partei mit völkisch-nationaler Ausrichtung. Sie hat Erfolge mit einem ‚solidarischen Patriotismus‘, der auf die Volksgemeinschafts­ideologie ausgerichtet ist.“ Man müsse sich nun genau die soziokulturellen Hintergründe der Wahl anschauen und auswerten.

Seine vorläufige These: „Die AfD hat die Linkspartei als Identitätspartei unter völkisch-autoritären Vorzeichen verdrängt.“ Dazu passt laut Begrich, dass 110.000 Wäh­le­r*in­nen von der Linken zur AfD wanderten. Die AfD würde zum größten Teil von Männern aus dem Arbeitermilieu gewählt. Dort liege sie bundesweit bei 22 Prozent, bei Arbeitslosen bei 18 Prozent.

Begricht macht aber auch auf Differenzen im Osten aufmerksam: Es gebe ein klares Metropolen-Peripherie-Gefälle sowie ein Nord-Süd-Gefälle. Für die hohen Zustimmungswerte gebe es eine Reihe von möglichen Faktoren: Abwanderungsquoten, Generationenkohorten. Aber auch traditionelle Zustimmung zu rechtsextremen Politikangeboten – wie es sie etwa mit dem Wiedervereinigungsnationalismus und zuvor mit einem DDR-Nationalismus gegeben habe, so Begrich. Es gebe in Teilen der Bevölkerung eine große Zustimmungsbereitschaft zu autoritären Gesellschaftskonzepten.

Neue Fraktion kleiner, aber fieser

Im neuen Bundestag zählt die AfD-Fraktion nun 83 Abgeordnete – elf weniger als zuvor. Mit dabei sind wieder einige Parteivordere: Chrupalla, Weidel, Alexander Gauland. Und durch die Erfolge im Osten gewinnen die Anhänger des völkischen Lagers, dem einstigen „Flügel“, weiter an Einfluss. So sitzen die Thüringer Höcke-Vertrauten Stephan Brandner, Jürgen Pohl oder Marcus Bühl erneut in der Fraktion, neu dazu kommen Klaus Stöber und Michael Kaufmann.

Auch wieder dabei: der Bayer Petr Bystron, der den rechtsextremen Identitären nahesteht, Enrico Komning, der einer rechtsextremen Burschenschaft angehörte, Martin Renner, der „Rückführungsprogramme“ im „Millionenmaßstab“ forderte, oder Gottfried Curio und Markus Frohnmaier, die wiederholt über eine „Messermigration“ und Geflüchtete wetterten. Dazu passt der Dortmunder Neuling Matthias Helferich, der sich in einem privaten Chat selbst als „das freundliche Gesicht des NS“ bezeichnete.

In der Fraktion tummeln sich auch Sympathisanten des Coronaprotests. Einer ist der Polizist Karsten Hilse, der im Bundestag bereits mit Querdenken-Shirt auftrat. Neu hinzu kommt sein sächsischer Polizeikollege Steffen Janich, der in Pirna sogar Kundgebungsanmelder war und suspendiert wurde – er gewann den Wahlkreis von Ex-Parteichefin Frauke Petry.

Andere Radikale dagegen müssen die Fraktion verlassen. Der prominenteste ist wohl der Richter Jens Maier, einst „Flügel“-Obmann in Sachsen. Er verpasste den Wiedereinzug wegen der vielen Direktmandate der Partei in dem Bundesland – was zur Folge hatte, dass weder er noch andere von der Landesliste einzogen.

Wie radikal sich die AfD-Fraktion aufstellt, könnte sich schon in Kürze entscheiden. Am Montag erklären Chrupalla wie Weidel, dass sie diese künftig anführen wollen – nachdem Gauland nicht mehr kandidiert. Das Duo gilt als mehrheitsfähig unter den Parteiradikalen. Und es ist selbst „Flügel“-nah, votierte etwa gegen den Parteiausschluss des einstigen „Flügel-“Frontmanns und Rechtsextremen Andreas Kalbitz.

Rechtsaußen-Anführer Björn Höcke zeigte sich am Montag zufrieden. „Der Thüringer Weg setzt sich durch“, kommentierte er den Wahlausgang. Ob des öffentlichen Gegenwinds sei das zweistellige Ergebnis „eine enorme Leistung“. Wem man das Ergebnis verdankt, ist für Höcke klar. Dort, wo die AfD Opposition gewesen sei, – also mit den völkischen Verbänden im Osten – soll die Partei „überaus erfolgreich“ gewesen sein. Wo sie sich aber den „Altparteien“ anglich, habe man „Vorschusslorbeeren verspielt“.

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