Vorgeschichte des Kinos: Parodie ist Recht des Künstlers

Große Komödie als Hommage an das italienische Theater und die Frühzeit des italienischen Kinos. Das gibt es bei den Filmfestspielen von Venedig.

In Nachtgewändern des 19. Jahrhunderts sieht man ein Paar im Bett, womöglich streiten sie.

Toni Servillo und Maria Nazionale in „Qui rido io“ von Mario Martone Foto: Mario Spada

Die Filmfestspiele von Venedig haben sich seit einigen Jahren einen Namen als Warmlaufstrecke für die Oscars gemacht. Filme wie Todd Phillips’ Superschurken-Hit „Joker“ oder die Fantasy-Liebesgeschichte „Shape of Water“ von Guillermo del Toro liefen siegreich im Wettbewerb, bevor sie ihren Erfolgszug bei den Oscarverleihungen fortsetzten. Doch in Venedig gibt es verständlicherweise ebenfalls ein starkes Aufgebot an italienischen Filmen, dieses Jahr stehen fünf heimische Beiträge auf dem Wettbewerbsprogramm.

Bis jetzt kann man über die Auswahl nicht klagen. So unterschiedlich Paolo Sorrentinos autobiografische Tragikomödie „È stata la mano di Dio“ und Michelangelo Frammartinos nachgestellte Höhlenexpedition „Il buco“ auch sind, sie gehören allemal zu den stärkeren Kandidaten auf den Goldenen Löwen. Das gilt auch für die Theaterhommage „Qui rido io“ von Mario Martone, in dem Toni Servillo mit seiner Hauptrolle als Komödiant und Theaterdirektor Eduardo Scarpetta seinen zweiten Auftritt im Wettbewerb hat.

Eduardo Scarpetta war Erfinder der Figur des Felice Sciosciammocca, der auf der Bühne in neapolitanischem Dialekt seine Possen reißt. In Scarpettas Truppe spielten verschiedene seiner Kinder, eheliche wie uneheliche, darunter Eduardo, Peppino und Titina De Filippo, die neben ihrer Theater- später eine bemerkenswerte Leinwandkarriere haben sollten.

Ab auf die Bühne

In Martones Film bekommt man die familiären Zusammenhänge erst allmählich erklärt, man versteht aber schon früh, dass die häusliche Situation Scarpettas unübersichtlich ist. Servillo gibt diesen Scarpetta als passionierten Patriarchen und sorgsam an einer Künstlerdynastie arbeitenden Chef seines Hauses. Die Kinder müssen sehr jung auf die Bühne, selbst der kleine Peppino, der den Vater nicht mag und lieber mit seinem Schaf auf dem Land spielt, lernt irgendwann seine Texte auswendig.

Martone präsentiert diese Geschichte, die am Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzt, als Reigen der stets im Fluss scheinenden persönlichen Zu- und Abneigungen eines weitverzweigten Hauses.

Die Komödie überwiegt in diesem Porträt. Ein wenig Drama kommt hinzu, als Scarpetta den Dichterfürsten Gabriele D’Annunzio (Paolo Pierobon) aufsucht, um dessen jüngstes Stück „La figlia di Joria“ mit dessen Autorisierung zu parodieren. D’Annunzio gibt sich einverstanden, ohne die Sache schriftlich zu genehmigen. Nach der Uraufführung verklagt er Scarpetta, wirft ihm vor, dessen Parodie sei in Wirklichkeit ein Plagiat. Aus dem Prozess wurde Italiens erster großer Urheberrechtsstreit. D’Annunzio, der im Film noch nicht als Ideengeber des Faschismus in Erscheinung tritt, wird von Martone als Parodie eines Fin-de-Siècle-Poeten inszeniert, der seinen Gast im seidenen Hausmantel empfängt, umgeben von lasziven „Musen“.

Martone erzählt damit nicht allein ein Kapitel wichtiger Theatergeschichte Italiens, sondern auch die Vorgeschichte der Komödie des italienischen Kinos. Von den Spuren, die die Geschwister De Filippo darin hinterlassen haben, gibt es derzeit übrigens ein wenig auf Netflix zu sehen: In „Im Zeichen der Venus“ (1955) spielt Peppino De Filippo, in „Ferdinand – König von Neapel“ (1959) neben ihm zugleich Eduardo und Titina.

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Jahrgang 1971, arbeitet in der Kulturredaktion der taz. Boehme studierte Philosophie in Hamburg, New York, Frankfurt und Düsseldorf. Sein Buch „Ethik und Genießen. Kant und Lacan“ erschien 2005.

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