Berliner Krankenhausbewegung: Erfolgreiche Urabstimmung

Die gewerkschaftlich organisierten Krankenhaus-Mitarbeitenden wollen es wissen: 98 Prozent stimmten in einer Urabstimmung für Streik.

Pflegekräfte und anderer Beschäftigter nehmen an einer streikbegleitenden Kundgebung teil - vor der Vivantes-Zentrale in Berlin

Hohe Streikbereitschaft: streikbegleitende Kundgebung vor der Vivantes-Zentrale am 23.8.21 Foto: dpa

BERLIN taz | Der Druck auf die beiden landeseigenen Krankenhauskonzerne Charité und Vivantes steigt: Bei einer Urabstimmung unter den gewerkschaftlich organisierten Mitarbeitenden stimmten am Montagmorgen 98 Prozent für Streik. Bereits im Mai wusste die Berliner Krankenhausbewegung, in der sich die Beschäftigten organisiert haben, 63 Prozent aller Beschäftigten sowie eine Mehrheit auf jeder Station hinter sich. Gewerkschaftlich organisiert dürften etwas weniger Beschäftigte sein. In Vivantes und Charité arbeiten rund 12.000 Pfleger:innen, dazu kommen noch die Beschäftigten der Tochterunternehmen.

Demnach werden in den nächsten Tagen wohl einige Tausend Mitarbeitende ihre Arbeit niederlegen, schon am Donnerstag könnte es losgehen. Man sei zu einem „Erzwingungsstreik“ bereit, sagte Verdi-Verhandlungsführerin Meike Jäger am Montagmorgen in einer online-Pressekonferenz. Man sei aber auch bereit weiter zu verhandeln und warte auf bessere Angebote der Arbeitgeberseite.

Die Gewerkschaft fordert für die Pflegenden einen Tarifvertrag Entlastung, der für jede Station Normalbesetzungen definiert und einen Belastungsausgleich vorschreiben würde, falls die Normalbesetzung unterschritten wird. Für die Tochtergesellschaften, in denen zahlreiche Krankenhausberufe von Essenszubereitung bis Krankentransporte oder Laborarbeiten ausgegliedert sind, fordert sie eine Bezahlung nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVÖD). Bei der Entlohnung von Kantinenmitarbeitenden gebe es zum Beispiel eine Lohndifferenz von 900 bis 1.000 Euro pro Monat, berichtete Jennifer Lange, seit 10 Jahren im Gastro-Bereich des Tochterunternehmens SVL tätig, bei der Pressekonferenz am Montag. „Wir möchten endlich den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit“, sagte sie.

Mit der Charité gebe es zwar Verhandlungen, die Geschäftsführung bewege sich auch, aber bislang sei das Entgegenkommen „nicht ausreichend“, sagte Jäger. Und die Geschäftsführung von Vivantes sei bis zum Warnstreik in der vorigen Woche nicht zu Verhandlungen bereit gewesen. Der Konzern hatte im Vorfeld der Warnstreiks auch versucht, diese gerichtlich verbieten zu lassen – allerdings erfolglos.

Vivantes bewegt sich

Im Verlauf des Montags gab es dann erste substanzielle Verhandlungen mit Vivantes. Dabei haben Konzernvertreter nach eigenen Angaben ein Modell vorgestellt, „nach dem der Leistungsumfang der Krankenhäuser sich nach dem vorhandenen Personal richtet“, womit die Versorgungsqualität verbessert und gleichzeitig die Belastung für Pflegekräfte begrenzt würde. Voraussetzung für weitere Gespräche sei allerdings, das nicht gestreikt würde, hieß es in einer Pressemitteilung von Vivantes. „Sollte Verdi also zu Streiks aufrufen, werden für diesen Zeitraum die Gespräche ausgesetzt.“

„Wir freuen uns über die Verhandlungsbereitschaft, aber unsere Forderungen sehen anders aus“, kommentierte Silvia Habekost von der Berliner Krankenhausbewegung den Vorschlag gegenüber der taz. Die Bedingung von Vivantes, die Verhandlungen auszusetzen, solange Streiks stattfinden, kritisierte sie. „Wir werden uns nicht einschüchtern lassen“, so Habekost.

Jäger appellierte an die Politik, auf beide Geschäftsführungen hinzuwirken, dass für beide Krankenhauskonzerne gemeinsam verhandelt werden könne. Von den Geschäftsführungen forderte sie, endlich eine Notdienstvereinbarung zu unterzeichnen, damit der Streik „sicher“ ablaufen könne. Eine solche Vereinbarung hat bei vergangenen Streiks dafür gesorgt, dass Stationen, die bestreikt wurden, rechtzeitig geschlossen und die PatientInnen verlegt wurden, damit niemand unversorgt blieb. Weil dies immer gut funktioniert habe, wollten dies die Geschäftsführungen offenkundig nicht, sagte Luigi Wolf von Verdi. Wenn die Stationen offen blieben, setze dies nämlich die Pflegekräfte unter „emotionalen Druck“, nicht am Streik teilzunehmen um ihre PatientInnen nicht zu gefährden.

Dessen ungeachtet sei die Streikbereitschaft außergewöhnlich hoch – in manchen Stationen, etwa beim Klinikum Vivantes, liege sie bei 100 Prozent, sagte Heike Groß, Krankenschwester in einer Vivantes-Klinik. Dies gelte auch für die Tochterunternehmen, so Ibo Garbe, Verhandlungsführer für diesen Bereich. Dort soll es am Donnerstag eine erste Verhandlungsrunde geben, für die man ein konkretes Angebot der Arbeitgeber erwarte. Beim Warnstreik am vorigen Freitag habe SPD-Fraktionschef Raed Saleh bei einem Besuch gesagt, ein TVÖD in diesem Bereich „werde nicht am Geld scheitern“.

Update: Am Montag, 17.30 Uhr, wurde dieser Text um das von Vivantes neu vorgeschlagene Modell sowie die Kritik der Krankenhausbewegung daran ergänzt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.