Unterwegs mit Tierschutz-Aktivist:innen: Gerettet!

Die Ak­ti­vis­t:in­nen vom Verein „Rettet das Huhn“ bewahren Legehennen vor dem Schlachthof, indem sie sie an neue Be­sit­ze­r:in­nen vermitteln.

Ein Mitglied vom Verein "Rettet das Huhn" trägt am frühen Morgen eine Legehenne aus einem Stall im Landkreis Gifhorn.

Einsatz am frühen Morgen: Ein Huhn auf dem Weg in die Freiheit Foto: dpa / Moritz Frankenberg

HAMBURG taz | Am Sonntagmittag stehen etwa zwanzig Menschen auf dem Parkplatz des Tierheims an der Hamburger Süderstraße und warten auf ihre neuen Haustiere. Sie alle adoptieren ausgediente Legehennen und retten sie damit vor dem Tod. Aus einem großen Anhänger reichen Ak­ti­vis­t:in­nen des Vereins „Rettet das Huhn“ die gackernden Hennen ihren neuen Besitzern.

Die Tiere sind gezeichnet von ihrem vorigen Leben als Legehennen. Viele von ihnen haben keine Federn am Hals oder sind vollkommen verdreckt: Spuren von Kannibalismus und des Lebens mit 800 Artgenossen auf engstem Raum – eine Haltungsform, die der natürlichen Lebensart von Hühnern vollkommen widerspricht.

Jetzt werden sie in ein neues Leben entlassen; in kleine Gruppen, in denen sie Rangfolgen bilden können und dadurch stressfreier sind; in große Hühnerställe und Gärten, in denen sie in der Erde scharren können und die Sonne sehen. Vor allem sind ihre neuen Besitzer Menschen, die sie nicht ausbeuten, sondern als Haustiere halten.

Zwölf Stunden zuvor beladen Knud Bartels und Laura Pingel den Anhänger von „Rettet das Huhn“. Der Verein versucht, so viele Hühner wie möglich vor der Schlachtung zu retten. Heute geht es zu einem Freilandhof in Niedersachsen. Treffen dort ist um vier Uhr morgens, um ein Uhr nachts geht es in Hamburg los. Laura ist 28 und Sozial­pädagogin. Der 52-jährige Knud arbeitet in einer Tierarztpraxis. Bei Knud und seiner Frau Dani leben gerade sieben Hühner, die noch nicht vermittelt werden können, weil sie zu krank sind. Die beiden pflegen sie jeden Tag.

Nach einem Jahr Eierlegen ist Schluss

Geschlafen haben Knud, Dani und Laura kaum. Alle paar Monate helfen sie bei einer Ausstallung. Heute wollen sie 800 Hühner vor der Schlachtung retten. Nach 15 Monaten Eierlegen sind sie für die Lebensmittelindustrie nicht mehr lukrativ. Durch die ständige Belastung in der Massentierhaltung werden sie oft krank und legen nicht mehr schnell genug Eier. Deshalb bringen die Betriebe etwa einmal im Jahr alle Hühner zum Schlachthof und füllen ihren Stall mit neuen Legehennen. Das passiert bei allen Haltungsformen, auch bei Biohöfen. „Rettet das Huhn“ übernimmt die Ausstallung für die Bauern und vermittelt die Hühner weiter, um sie vor der Schlachtung zu retten.

„Das übergeordnete Ziel von ‚Rettet das Huhn‘ ist ein Ende der Massentierhaltung, aber bis dahin versuchen wir alles, um den Hühnern zu helfen“, sagt Knud. Sehr optimistisch, ihr Ziel bald zu erreichen, sind die drei aber nicht. Den Stall in Niedersachsen fährt der Verein seit 2013 an. Der Bauer gebe sich Mühe, seine Tiere gut zu behandeln. Die Situation in anderen Ställen sei deutlich dramatischer. Allein dieses Jahr hätten sie schon 130.000 Euro an Tierarztrechnungen bezahlt. Finanziert wird das durch Spenden.

Um halb vier kommt die Hamburger Gruppe am Stall an. Nach und nach tauchen auch andere Ak­ti­vis­t:in­nen auf. Alle haben vorher eine Aufgabe zugeteilt bekommen. Laura und Dani sind dafür verantwortlich die Tiere, die aus dem Stall kommen, zu untersuchen und in Transportboxen zu packen. Knud verteilt die Boxen dann auf die verschiedenen Autos und Anhänger. Schon Tage zuvor wurde festgelegt, welches Team wie viele Hühner mitnehmen wird.

Es ist noch dunkel, als die ersten Ak­ti­vis­t:in­nen mit Schutzanzügen den Stall betreten. Um die Tiere nicht aufzuschrecken, sind ihre Stirnlampen abgedunkelt. Trotzdem kreischen die Hühner, als sie aus dem Schlaf gerissen werden.

Im Stall riecht es nach Tier. Sich hier länger ohne Maske aufzuhalten, ist anstrengend. 800 Hühner auf engstem Raum sorgen für verbrauchte Luft. Bauer Udo drückt den Ak­ti­vis­t:in­nen immer zwei Hühner auf einmal in die Hand. Die tragen sie vor den Stall und geben sie weiter an Laura und die anderen in ihrem Team.

Verletzte Hühner kommen zu einer Tierärztin

Bevor Laura die Hühner in Transportboxen setzt, untersucht sie jede Henne. Dabei fühlt sie, ob der Bauch weich ist. „Manchmal fühlt man da harte Stellen, dann müssen die Hühner weiter untersucht werden“, sagt sie. Außerdem sucht sie bei jedem Huhn nach Verletzungen im Gesicht und überprüft die Krallen. Am Ende wird noch das Hinterteil jedes Huhns angeschaut.

Viele Hühner haben Verletzungen. Wenn Laura das bemerkt, ruft sie „Pflegi“. Dann holt eine andere Aktivistin das verletzte Huhn ab und bringt es zu einer Tierärztin. Auf einem provisorischen Behandlungstisch untersucht sie die Hühner genauer. Einige von ihnen können nicht laufen, andere können noch nicht mal sitzen, ohne zur Seite umzufallen.

Sozial und intelligent

Das Verhältnis zwischen dem Bauern Udo und den Ak­ti­vis­t:in­nen ist gut. „Ich konnte das früher kaum mit anschauen, wenn die ganzen Hühner zum Schlachthof gefahren wurden“, sagt Udo. Er sei dem Verein dankbar. Aber auch er müsse irgendwie kostendeckend arbeiten. Dass er seine Hühner vergleichsweise gut behandeln kann, liegt auch daran, dass er die Eier an Di­rekt­ab­neh­me­r:in­nen verkauft. Pro Ei bekommt er dadurch 23 Cent. Wenn er an Großabnehmer wie Supermärkte verkaufen würde, wären es sechs bis acht Cent, schätzt Udo.

Bei Sonnenaufgang ist die Ausstallung beendet und die letzten Hühner sind für ihre Reise in ein neues Leben verpackt. Vor dem Stall organisieren die Hel­fe­r:in­nen noch letzte Transporte und kümmern sich darum, wer die kranken Hühner pflegen wird, bis auch sie vermittelt werden können.

Mit Huhn auf dem Schoß und einem vollen Anhänger geht es dann zurück nach Hamburg. Hühner sind etwa 40 Grad warm. Es ist ein angenehmes Gefühl, wenn sie bei einem auf dem Schoß sitzen. Sie lassen sich streicheln und manchmal gurren sie auch ein wenig. Die Tiere sind sozial und relativ intelligent. Sie haben es verdient, artgerecht gehalten zu werden.

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