heute in hamburg
: „Wie Kommunismus klappen kann“

Buchvorstellung „Die Kommunen vor der Kommune 1870/71“: im Garten der Roten Flora,19 Uhr

Interview Tjade Brinkmann

taz: Herr Wimmer, was ist „die Kommune“?

Christopher Wimmer: Gemeinhin wird als „die Kommune“ der Aufstand in Paris verstanden, bei dem am 18. März 1871 Ar­bei­te­r:in­nen und Hand­wer­ke­r:in­nen für 73 Tage die Macht in der Stadt übernommen haben und sie nach fortschrittlichen Regeln neu gestaltet haben.

Und was verstehen Sie darunter?

Ich habe den Begriff etwas weiter definiert und mich mit den Kommune-Bewegungen beschäftigt, die sich schon zuvor in den 1860er- und 1870er-Jahren in mehreren Städten in Frankreich entwickelt hatten. Neben Paris waren vor allem Marseille, Lyon und die kleine Stadt Le Creusot Hotspots dieser Bewegung.

Worum ging es dabei?

In den Kommunen haben Ar­bei­te­r:in­nen und Bäue­r:in­nen versucht, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und die Orte, an denen sie gelebt haben, jenseits von staatlichen Autoritäten nach demokratischen Mitteln selbstverwaltet und autonom zu gestalten.

Was war der historische Kontext?

Man muss die Kommunen vor dem Hintergrund des Kaiserreichs in Frankreich sehen. Ab 1852 regierte Napoleon III. immer autoritärer und zentralistischer. Gerade die Landbevölkerung wurde mit immer höheren Steuern belastet. Das war ein mittelbarer Grund für die Kommunen. Ein unmittelbarer Grund war auch der Deutsch-Französische Krieg, der 1870/71 in Frankreich ausgetragen wurde. Darunter litten vor allem die Provinzstädte, aus denen die Menschen in den Militärdienst eingezogen wurden. In dieser Situation gründeten sich die Kommunen, als antimilitaristische Bewegung, die sich gegen die Übermacht des Zentralstaats richtete und autonome und lokale Strukturen aufbauen wollte.

Was wollten die Kommunen konkret erreichen?

Neben den neuen demokratischen Strukturen waren wichtige Forderungen eine Reihe sozialpolitischer Maßnahmen. Themen waren zum Beispiel Mieterlass, unentgeltliche Schulbildung, die Trennung von Staat und Kirche, die Vermittlung von leer stehendem Wohnraum oder die Festlegung des Brotpreises.

Foto: Andreas Domma

Christopher Wimmer

32, arbeitet als Soziologe und beschäftigt sich mit Klassenpolitik und Feminismus. Zuletzt erschien seine Einführung zum Begriff „Lumpenproletariat“ im Schmetterling-Verlag.

Welche Erkenntnisse lassen sich heute noch daraus ziehen?

Gerade in Bezug auf die Kommune-Bewegungen in den Provinzen stellt sich die Frage, was unter einer Revolution zu verstehen ist. Revolution ist nicht nur der Zustand, wenn es einmal groß kracht und ein Schloss gestürmt wird. Die Kommunen haben gezeigt, dass es einen Vorlauf gibt, bei dem sich die Menschen organisieren müssen, in Fabriken, in der Nachbarschaft oder in Kneipen. An diesen Orten entwickeln sich die revolutionären Ideen als Basisbewegung von unten.

Lässt sich aus den Kommunen ableiten, dass der Kommunismus zum Scheitern verurteilt ist?

Im Gegenteil. Ich glaube, die Kommunen sind eine Erinnerung, wie Kommunismus doch klappen kann. Sie hat es innerhalb weniger Tage geschafft, Maßnahmen zum Wohl der Mehrheit der Gesellschaft zu erreichen. Für das Scheitern ist der Einfluss von außen, vom Staat oder allgemeiner vom Kapitalismus relevant. Da stellt sich die Frage, wie man diese Bestrebungen dagegen verteidigen kann.