Botanisches Museum: Zukunft der floralen Arche Noah

Der Botanische Garten in Dahlem wächst und gedeiht: Er soll in den nächsten Jahren zum Knotenpunkt der internationalen Biodiversitätsforschung werden.

Es grünt so grün: Bromeliengewächshaus im Botanischen Garten Dahlem Foto: I.Haas, Botanischer Garten

BERLIN taz | Blumen, Bäume, Pilze, Farne: In Berlins Botanischem Garten ist alles auf Wachstum angelegt, jedenfalls in den passenden Jahreszeiten. Aber der einzigartige Pflanzenpark in Dahlem strebt nach mehr. Als Tochtereinrichtung der Freien Universität will der Botanische Garten mit angeschlossenem Botanischem Museum auch wissenschaftlich wachsen.

Dazu hat er ein ambitioniertes „Zukunftskonzept“ entwickelt, das ihn bis 2030 in die erste Liga der Botanikforschungsstätten weltweit führen soll. Dabei ist Gartendirektor Thomas Borsch die „Bodenhaftung“ in doppeltem Sinne wichtig. „Wir wollen, dass der Mensch einen neuen Zugang zur Natur findet und den Reichtum des Lebens bewahrt“, lautet seine Vision für die florale Arche Noah. Im Botanischen Garten werden 20.000 unterschiedliche Pflanzenarten gehegt und gepflegt. Es ist die größte Einrichtung ihrer Art in Deutschland, die jährlich an die 450.000 Besucher anzieht. Vor allem das Große Tropenhaus ist zugleich eine Touristenattraktion des „Hauptstadtgartens“ mit einer Fläche von 43 Hektar und 23 Kilometern Wegstrecke.

Im Moment wird die gewohnte Ruhe durch Bagger und Baulärm gestört. Große Umbauarbeiten sind im Gange, innen wie außen. Das Museum erhält eine energetische Komplettsanierung plus Neugestaltung der Ausstellungsflächen. „Wir wollen die großen Themen wie Klimawandel und Bio-Diversitätskrise in neuer Weise vermitteln, und dies auch interaktiv mit der Gesellschaft“, sagt Bosch. Das verlangt neben digitalen Formaten auch erneuerte didaktische Mittel. Denn nicht nur die natürlichen Arten schwinden unter dem Vordringen der Technikzivilisation, sondern auch das Bürgerwissen über diese Arten nimmt ab. „Wir brauchen wieder eine biologische Alphabetisierung“, formuliert Borsch den Lehrauftrag seines Gartens.

In den Umbau des Museums plus dem neuen Besucherzentrum fließen bis 2023 neun Millionen Euro an Wirtschaftsfördermitteln; weitere 17 Millionen Euro gehen in die Neugestaltung des Außenbereichs. Das Gesamtbudget von Garten und Museum liegt bei 14 Millionen Euro jährlich, wovon auch die 40 Wissenschaftler bezahlt werden. „Unsere Pflanzengeografie der sogenannten Temperierten Welt ist international einzigartig“, sagt Gerald Parolly, der als Kustos die „mediterranen und temperaten Lebendsammlungen“ betreut, also die Pflanzen aus den gemäßigten Breiten.

Herbarium mit vier Millionen Exemplaren

In fast 300 Hügeln und Arealen sind im Süden Berlins die unterschiedlichsten Vegetationstypen nachgestellt, von der Flachlandheide bis zum Hochgebirge. „Diese 110 Jahre alte Anlage bekommt jetzt ein komplett neues Besucherleitsystem“, erläutert Parolly. Zentrale Infos über Ursprung und Verbreitung werden mit Tafeln vor Ort vermittelt. Noch größer wird der Innovationsschub des Zukunftskonzepts aber für jene Bereiche des Botanischen Gartens sein, in die normale Besucher üblicherweise keinen Zugang haben. Dieser wissenschaftliche Ansatz besteht für Borsch aus drei Elementen: der Digitalisierung des jahrhundertealten Archivs an gepressten Pflanzen, dem „Herbarium“ mit rund vier Millionen einzelnen Belegen, dem größten Bestand in Deutschland.

Derzeit ist etwa ein Fünftel der Bestände digitalisiert und damit computernutzbar gemacht worden; bis 2030 sollen die 100 Prozent geschafft sein. Teil zwei des Wissenskonzeptes ist die interdisziplinäre Vernetzung des Botanischen Gartens, der zwar schon 1679 auf kurfürstliche Veranlassung gegründet wurde – damals noch in Schöneberg –, aber erst 1995 zur Freien Universität kam, mit der Vielzahl an Instituten der Universität als einem internen Wissens-Pool. FU-Präsident Günter M.Ziegler kommt das für das Exzellenzkonzept seiner Hochschule sehr entgegen. „Der Botanische Garten Berlin bringt in seiner Arbeit die Idee der International Network University zum Blühen.“ Dritte Wissensorientierung ist die internationale Vernetzung, wo sich Berlin unter verstärkter Nutzung digitaler Techniken zum „Knotenpunkt der internationalen Biodiversitätsforschung“ profilieren will.

Dazu wurde ein neues „Zentrum für Biodiversitätsinformatik und Sammlungsintegration“ gegründet. „In den kommenden zehn Jahren werden wir daran arbeiten, unterschiedliche Datentypen so miteinander zu verbinden, dass neue Erkenntnisse entstehen“, erklärt Informatiker Anton Güntsch. Unter seiner Leitung will das Zentrum neue „Wissensräume“ schaffen, globale Entwicklungen prognostizieren und neue Erkenntnisse für den globalen Artenschutz gewinnen.

In der „Dahlemer Saatgutbank für Wildpflanzen“, die 2015 ein neues Gebäude hinter dem Museum bekommen hat, sind derzeit rund Samen von 13.000 botanischen Arten archiviert. Darunter befinden sich zahlreiche seltene und gefährdete Arten. Deutschlandweit gibt es sechs solcher Saatgutbanken in Botanischen Gärten, die jeweils regional spezialisiert sind. „Mit den heutigen molekularbiologischen Methoden können wir feststellen, wie es um die genetische Vielfalt bedrohter Arten bestellt ist“, erläutert Elke Zippel, die Leiterin der Saatgutbank. „In den nächsten zehn Jahren wollen wir ein genomisches Monitoring etablieren, das den schleichenden und unsichtbaren Verlust von Vielfalt systematisch sichtbar macht“, ist der Plan der „Bank-Chefin“.

Die Herbonauten kommen

Der Botanische Garten ist an den Berliner Bürgern aber nicht nur als Besuchern interessiert, sondern spannt sie gerne als „Bürgerforscher“ auch in seinen wissenschaftlichen Betrieb mit ein. 2017 wurde die Citizen-­Science-Gruppe „Herbonauten“ gegründet, in der wissenschaftliche Laien den hauptamtlichen Botanikforschern bei der Entschlüsselung der alten Herbar-Dokumente helfen.

Die jahrhundertealten Blätter sind teilweise in kaum mehr zu entzifferndem Sütterlin oder in kyrillischer Schrift verfasst oder sie enthalten rätselhafte Ortsangaben. Mit ihrer geografischen oder sprachlichen Laienkompetenz konnten die Bürgerforscher häufig genug zur Aufklärung beitragen. „Nahezu 95 Prozent der Eingaben sind nach aktueller Prüfung unserer Wissenschaft korrekt“, stellt das Botanische Museum fest.

Jetzt soll das Citizen-Science-Engagement auf neuen Feldern ausgebaut werden. „Wir brauchen einen Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Ein gemeinsames Anpacken von Biodiversitäts- und Klimakrise“, betont Borsch. Das Zukunftskonzept hat wissenschaftliche Samenkörner in die Dahlemer Erde gelegt. Man darf gespannt sein, welche Früchte daraus reifen werden.

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