Olaf Latzel im Vorletzten

Bremens Landgericht bestellt ein theologisches Gutachten zu Homosexualität. Das
aber gleitet schon mit der Fragestellung in den fundamentalistischen Diskurs ab

Der Bremer Pastor Olaf Latzel will seine Verurteilung wegen Volksverhetzung nicht hinnehmen Foto: Sina Schuldt/ dpa

Von Benno Schirrmeister

Der Befangenheitsantrag ist beim Bremer Landgericht eingegangen. „Aktuell haben die Vereidigung und der Sachverständige noch Gelegenheit zur Stellungnahme“, so ein Sprecher des Gerichts auf Nachfrage. Die Kammer werde wohl Anfang kommender, vielleicht aber auch schon Ende dieser Woche eine Zwischenentscheidung im Fall des fundamentalistischen Pastors Olaf Latzel verkünden – nämlich die, ob der methodistische Theologe Christoph Raedel als Gutachter in Frage kommt.

Oder ob er, so sieht es inzwischen die Staatsanwaltschaft, befangen ist: Der Professor an der eher randständigen Freien Theologischen Hochschule Gießen hält nämlich Homosexualität für Sünde. Das hat er nicht nur früher schon in seinen Schriften deutlich gemacht. Er hat es auch öffentlich verkündet, nachdem er als Gutachter benannt worden war.

Im vergangenen Herbst war der in seiner Gemeinde, der zentral direkt an der Weser gelegenen St.-Martini-Kirche, gerade wegen seiner hasserfüllten Predigten wertgeschätzte Olaf Latzel­ erstinstanzlich wegen Volksverhetzung verurteilt worden. Grund waren homophobe Äußerungen gewesen, die er im Rahmen eines auch über Social-Media-Kanäle online verbreiteten Eheseminars getätigt hatte. Fürs Berufungsverfahren hatte das Landgericht nun einen von der Verteidigung vorgeschlagenen Gutachter bestellt.

Der soll aber nicht den Geisteszustand des Geistlichen ergründen, sondern klären, ob das, was der Martini-Pastor von sich gegeben hatte „noch von der Bibel gedeckt“ ist. Bizarr­ findet das Herbert Thomsen vom Internationalen Bund der Konfessions­losen und Atheisten: „Das Rechtsverständnis dieses Landes basiert auf dem Grundgesetz“, erinnerte er das Gericht an die Geschäftsgrundlagen, „und nicht auf Bibelauslegungen oder der Scharia“. Das „sollte auch so bleiben“.

Für juristisch befremdlich, wenn nicht gar sinnlos, erklärten aber auch der Oldenburger Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler und der Göttinger Staatskirchenrechtler Hans Michael Heinig die Fragestellung: „Religiöse oder weltanschauliche Motive“, stellte Heinig klar, „schließen gerade nicht aus, dass der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt wird“.

Diese Differenzierung hatte bereits die Vorsitzende Richterin Ellen Best in ihrer Urteilsbegründung vorgenommen: Die bloße Missbilligung von Schwulen und Lesben wäre demnach durch Meinungs- und Religionsfreiheit gedeckt gewesen: Jemanden zu hassen ist nicht schön, vielleicht sogar sündig, aber eben komplett legal. Der entscheidende Unterschied: Latzel hatte seine frisch heterosexuell verpartnerten Zu­hö­re­r*in­nen erkennbar aufgestachelt, so die Überzeugung des Gerichts. Seine Reden hätten „als eine Lizenz zum Handeln verstanden werden“ können, wie Best damals klargestellt hatte.

„Wir können immer nur in Klammern zu theologischen Aussagen kommen“

Ruth Hess, Leiterin EKD-Studienzentrum für Genderfragen

Im Gegenzug erweist sich nun die Fragestellung auch „aus theologischer Sicht selbst problematisch formuliert“, wie Ruth Hess erklärt, die theologische Leiterin des Studienzentrums für Gender-Fragen der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD). Knackpunkt hier: Die Fragestellung des Landgerichts setze ja voraus, „dass die Bibel zu diesen und jenen Fragen, die gesellschaftspolitisch und in diesem Fall auch juristisch strittig sind, unmissverständlich Auskunft gäbe. Und dass sich das wissenschaftlich verifizieren oder falsifizieren ließe“. Ein ­solches Theologieverständnis aber sei bereits fundamentalistisch.

Es müsse dabei, so Hess weiter, denjenigen Teil des christlichen Bekenntnisses ausblenden, der in der Fachwelt als eschatologisch bezeichnet wird – also die in die Zukunft projizierte Erlösung aus der irdischen Unvollkommenheit. „Das bedeutet auch: Wir bewegen uns als Menschen immer im Vorletzten – nie im Letzten“, so Hess zur taz. Man könne also „immer nur in Klammern zu theologischen Aussagen kommen, weil sie allesamt unter Bewahrheitungsvorbehalt stehen“. Zweifelhaft also auch die Bibel.

Tatsächlich reproduziert die Berufung des Gutachters eine Strategie der Verteidigung, die in der mündlichen Hauptverhandlung verpufft war: Im November hatte der Anwalt Latzels, der auf die Verteidigung von Sexualstraftätern spezialisierte Sascha Böttner, in einer Art katechetischem Gespräch versucht, die Homophobie des Pastors als Gott gewollte Haltung darzustellen. Wie im Kindergottesdienst hatte er seinem Mandanten Fragen zu Bibelsprüchen und konfessionellen Dokumenten gestellt. Latzel hatte sie allesamt fehlerfrei so beantwortet, wie vorgesehen war.