Ein Jahr nach der Explosion in Beirut: Neue Regierung im Libanon

Nach 13 Monaten Stillstand hat das Land eine neue Regierung. Sie besteht aus der alten Elite, die das Land in die Krise gestürzt hat.

Zerstörter Hafen von Beirut.

Der Hafen von Beirut, ein Jahr nach der Explosion Foto: Imad Creidi/Reuters

BEIRUT taz | Der Libanon hat endlich eine neue Regierung. Ministerpräsident Nadschib Mikati hat es geschafft, ein Kabinett zu formen, dem Präsident Michel Aoun final zugestimmt hat. Der Libanon war seit 13 Monaten ohne handlungsfähige Regierung – die längste Zeit des Landes bisher ohne Exekutivgewalt.

Mikati sagte, das 24-köpfige Kabinett bestehe aus überparteilichen Ex­per­t*in­nen und gewähre keiner Seite ein „Blockierungsdrittel“ oder ein Vetorecht. Lokale Medien jedoch sagen, dass die Posten durch Mitglieder der alten Elite vergeben worden sind.

Der leitende Zentralbankbeamte Youssef Khalil soll Finanzminister werden, während der Posten des Außenministers an den früheren Botschafter des Libanon in Washington, Abdallah Abu Habib, gehen soll.

Nach der Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020 trat das damalige Kabinett geschlossen zurück. Zwar übernahm es noch dringende Amtsgeschäfte, grundlegende Probleme ging es jedoch nicht an. Der politische Stillstand verhinderte, dass eine vollständig ermächtigte Regierung eine Reihe von Krisen angehen kann.

Ernsthafte Reformen seit Jahren blockiert

Seit Herbst 2019 befindet sich das Land in einer beispiellosen Wirtschaftskrise. Schätzungen der Welternährungsbank zufolge leben mehr als die Hälfte der sechs Millionen Menschen im Libanon unterhalb der Armutsgrenze. Die lokale Währung hat seit Ende 2019 mehr als 90 Prozent ihres Wertes verloren. Es mangelt an Medizin, Benzin und Strom.

Trotz des wirtschaftlichen und institutionellen Zusammenbruchs hat die politische Führung des Landes ernsthafte Reformen blockiert, da diese ihre Macht hätten gefährden können.

Der politische Stillstand bedeutete eine Verschleppung der Neuordnung, die das Land dringend benötigt: Die offizielle Abwertung der Währung, die Restrukturierung der Schulden und des Bankensektors, die Reduzierung des öffentlichen Sektors oder ein ausgeglichener Haushalt. Internationale Finanzhilfen können die Wirtschaft wieder auf die Beine bringen, doch diese werden erst freigegeben, wenn die Reformen durchgebracht sind.

Nadschib Mikati ist seitdem der dritte Mann auf diesem Posten. Seine Vorgänger waren an der Aufteilung der politischen Pfründe gescheitert. Die schiitischen Parteien der Amal und Hisbollah beharrten darauf, einen Schiiten als Finanzminister zu ernennen. Gleichzeitig legte der maronitische Präsident Michel Aoun ständig Vetos ein, um seinen Schwiegersohn zum Innenminister zu machen und die Mehrheit des Kabinetts mit seiner Partei zu stellen.

Bis zur Wahl im Mai 2022 wird sich kaum etwas ändern

In Libanon regelt ein Proporzsystem die politischen Führungspositionen sowie die parlamentarischen Sitze. Um einen erneuten Krieg zu verhindern, ist die Macht unter den konfessionellen Parteien aufgeteilt. Der Parlamentssprecher ist Schiit, der Präsident ist maronitischer Christ und der Regierungschef ist immer ein Sunnit.

Ob das neue Kabinett unter Mikati nun endlich Reformen durchdrückt, ist fraglich. Der Ministerpräsident ist einer der reichsten Männer des Landes und gehört zur politischen Elite, die Missmanagement und Korruption zu verantworten hat. 2018 berichteten libanesische Medien, Mikati habe Millionen von US-Dollar abgeschöpft, die für staatlich geförderte Wohnungsbaudarlehen gedacht waren.

Neue Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sind für Mai 2022 angesetzt. Politische Be­ob­ach­te­r*in­nen sagen, dass mindestens bis dahin kein Wandel stattfinden wird.

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