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An die Arbeit!

Die 20. Faire Woche setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen ein. Denn Corona hat einmal mehr gezeigt: Überall werden Menschen ausgebeutet – auch hierzulande. Doch es gibt auch Fortschritte

Als die Pandemie kam, konnte nicht mehr weggeschaut werden

Von Katja-Barbara Heine

Leiharbeiter aus Osteuropa, die in der Fleischfabrik oder auf dem Spargelfeld für Hungerlöhne schuften, Wuchermieten für schäbige Unterkünfte zahlen und keine Coronamindestabstände einhalten können. Überlastete Pflegekräfte, die viel zu viele Patienten gleichzeitig versorgen und sich mit Applaus vom Balkon begnügen müssen. Fahrradkuriere, die bei Minusgraden ohne Winterausrüstung Pizza oder Sushi ausliefern: Man muss gar nicht in den Globalen Süden schauen, um auf menschenunwürdige Arbeitsbedingungen zu stoßen. Auch in Deutschland herrschen in einigen Branchen miserable Zustände, wie die Coronakrise aufgedeckt hat.

„Teilweise waren die Missstände bereits vorher bekannt, doch erst die Pandemie hat dafür gesorgt, dass nicht mehr weggeschaut werden konnte“, sagt Christoph Albuschkat, Sprecher des Weltladen-Dachverbandes, einer der Veranstalter der Fairen Woche. Den Globalen Süden hat Corona freilich noch viel stärker getroffen: Große internationale Unternehmen des konventionellen Handels stornierten Aufträge und wälzten die Krise auf die Schwächsten in der Lieferkette ab, die weder mit staatlicher Unterstützung rechnen noch auf Reserven zurückgreifen konnten. Unzählige Menschen, die ohnehin schon unter prekärsten Bedingungen arbeiten, standen von heute auf morgen vor dem Nichts.

Die bundesweite Informationsveranstaltung beleuchtet in den kommenden zwei Jahren die Frage, welchen Beitrag der Faire Handel zu menschenwürdiger Arbeit leisten kann – zunächst ganz allgemein, im nächsten Jahr mit Fokus auf der Textilindustrie. In dieser Branche zeigten sich zuletzt nämlich besonders große ökologische und soziale Missstände. Ein Wandel ist bitter nötig, und erste Erfolge sind bereits sichtbar: „Textilien nehmen im Fairen Handel eine immer bedeutendere Rolle ein“, sagt Albuschkat. „Fair produzierte Mode hat das Kartoffelsack-Image abgelegt. Es tut sich eine Menge, einige Weltläden bieten bereits ausschließlich Textilien an.“

Innerhalb von zwei Jahrzehnten ist es den Veranstaltern gelungen, das Thema Fairer Handel mit mittlerweile rund 2.500 Mitmach-Veranstaltungen jedes Jahr – Ausstellungen, Workshops, Verkostungen, Rallyes und vieles mehr – in eine breitere Öffentlichkeit zu tragen und kontinuierlich neue Akteure hinzuzugewinnen. Höhepunkt jeder Fairen Woche ist der Besuch von Handelspartnern aus dem Süden: Schneiderinnen oder Kaffeeproduzenten treffen hierzulande auf ihre Abnehmer, und es entsteht ein direkter Dialog.

Ausgerechnet im 20. Jubiläumsjahr werden diese Treffen coronabedingt nicht möglich sein, doch es werden Partner bei Veranstaltungen virtuell zugeschaltet. So wird etwa Pieter Swart von Turqle Trading aus Südafrika in einem Livetalk über die neuen Produkte des Herstellers von Soßen und Gewürz­mischungen informieren. Juan Carlos Guzmán Girón von Tzeltal Tzotzil in Mexiko wird in einer Schalte von seinen ehrgeizigen Plänen zu Honig- und Kaffeeproduktion mithilfe von Solarenergie erzählen.

Für die Fair-Handels-Partner im Süden ist nach eineinhalb Jahren Pandemie die Krise keineswegs überstanden: Vielerorts können Bauern immer noch nicht wieder auf ihre Felder, Ware kann nicht verschifft werden, weil aufgrund von Corona Container fehlen, und durch das Ausbleiben der Touristen stapelt sich das Kunsthandwerk in den Regalen.

Die Faire Woche 2021 findet vom 10. bis 24. September zum Thema „Menschenwürdige Arbeitsbedingungen“unter dem Motto „Zukunft fair gestalten – #fairhandeln für Menschenrechte weltweit“ statt. Programm:

www.faire-woche.de/kalender

Dank der Unterstützung durch ihre Partner haben es viele Produzenten des Fairen Handels dennoch einigermaßen durch die Krise geschafft: Während konventionelle Unternehmen Hersteller teils auf bereits fertig produzierter Ware sitzen ließen, standen Akteure des Fairen Handels zu ihren Lieferanten, bestellten Waren wie gewohnt, auch wenn sie diese wegen Lockdown nicht verkaufen konnten. „Für die Weltläden war es keine leichte Zeit“, so Albuschkat. Doch allen war klar: Wir sind immer noch besser dran als die Zulieferer im Süden.

„Der Umgang mit Partnern am Anfang der Lieferkette in Krisenzeiten ist einer der Bereiche, in denen die konventionelle Wirtschaft vom Fairen Handel lernen kann“, so Albuschkat. Corona könnte eine wichtige Zäsur darstellen: Dass alles komplett runtergefahren wurde, bietet eine Chance für einen besseren Neuanfang.

Ein Schritt in diese Richtung ist das Sorgfaltspflichtgesetz zum Schutz der Menschenrechte entlang der globalen Lieferketten, das die Bundesregierung im Juni verabschiedet hat. Erstmalig verpflichtet damit hierzulande ein Gesetz Unternehmen, Verantwortung für die Menschen in ihren Lieferketten zu übernehmen. Die Ini­tiative Lieferkettengesetz, der mehr als 100 Organisationen angehören – darunter zahlreiche Fair-Handels-Akteure –, begrüßt dies als einen wichtigen Meilenstein, hätte sich jedoch mehr gewünscht. So gilt das Gesetz etwa nur für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitern, es verweigert Betroffenen den Anspruch auf Schadensersatz und setzt kein Zeichen für den Klimaschutz in Lieferketten. Als „noch lange nicht am Ziel, aber endlich am Start“ beschreiben dies Aktivisten – und hoffen, dass bald ein ambitionierteres Lieferkettengesetz auf EU-Ebene kommt.