Eistees der Deutschrapper: Pures Bratan-Destillat

Kaum ein Begriff ist so beliebt in den verschiedensten Bubbles wie Authentizität. Warum ihn also nicht auch mal sippen: mit BraTee, DirTea, HafTea.

Promofoto: Ein Mann mit Hut und einer Tüte Eistee schwimmt unter Wasser

Capital Bra predigt seinen Eistee auch unter Wasser Foto: UniBev

Ich sitze also auf der Couch und die Rollos sind so halb heruntergelassen, dass ein dämmriges Licht dünne Streifen auf den Shisha-Tabak malt. Ich habe so einen Hänger-Jogger an und aus den Boxen säuseln sich die leleleles – der hypnotische Signature-Singsang des Berliner Rappers Capital Bra – in meinen Gehörgang, während ich Fifa zocke. Nach einer Weile lege ich den Controller zur Seite. Ich vibe zu den nun erklingenden, charakteristischen brrrra’s des Rappers und dann sippe ich von dem BraTee mit der Geschmacksrichtung Pfirsich.

Am 24. 9. wird auch der Rapper Haftbefehl endlich seinen eigenen Eistee, den – na klar –„HafTea“, in den Handel bringen. Es ist damit, nach Capital Bras „BraTee“ und Shirin Davids „DirTea“, bereits die dritte Tee-Auskopplung des Genres Deutschrap, die in die hiesigen Eistee-Charts einsteigt. Der erstaunlich hohe Gangsta-Gehalt im Softdrink-Segment ist dabei einerseits natürlich nur ein weiterer kleiner Step auf dem Weg in die vollständige Modus-Mioisierung der Supermarktregale (Tiefkühl-Pizza, -Lahmacun, -Köfte etc. gibt es bereits von Capital Bra beziehungsweise Xatar zu kaufen). Andererseits ist der Erfolg der zuckrigen Deutschrap-Drinks ein besonders eindrückliches Beispiel für den Authentizitätsfetischismus unserer Gegenwart.

Seit circa zwei Millionen Leitartikeln, Talkshow-Runden, Familien-WhatsApp-Chats wissen wir: Unsere Gesellschaft ist gespalten. Die einen demonstrieren sich wöchentlich für eine klimagerechte Zukunft in den Friday, die anderen kleben die Fuck-you-Gretas aufs Verbrenner-Heck. Die einen fahren mit dem Bulli eine Woche ungeduscht durch Skandinavien, die anderen schicken CO2-schwere Urlaubsgrüße vom Sonnendeck der „Aida-Nova“ usw. usf. Wenn es jedoch einen Satz gäbe, auf den man sich in diesem Land auch über die habituellen Grabenkämpfe hinweg verständigen könnte, es wäre vermutlich dieser: Authentizität ist cool & nice.

Kaum ein Begriff flattert seit Jahren so umtriebig und opportunistisch durch die politischen Bubbles, die sozialen Milieus, die unterschiedlichsten Branchen, Genres, Privathaushalte und Therapie-Formate wie jener der Authentizität. Vom Führungsstil im mittelständischen Unternehmen bis zum Tinder-Profil von Christoph aus Aschaffenburg, von der aromatischen Zusammensetzung des Discounter-Röstkaffees bis zum unnachahmlichen Industrieflair des sozialen Brennpunkts Duisburg-Marxloh, von der Literatur eines Karl Ove Knausgards bis zum Gangsta-Rap: Alles soll bitte todesauthentisch sein.

Es ist nicht wichtig, mit welcher Firma Capital Bra zusammenarbeitet, wer den Eistee letztlich herstellt

In seinem 2020 erschienenen Buch „Authentizität – Karriere einer Sehnsucht“ begründet der Literatur- und Kulturwissenschaftler Erik Schilling den gegenwärtigen Authentizitätsboom mit der Reaktion „auf eine zunehmende gesellschaftliche Komplexität, bedingt durch Digitalisierung, Globalisierung und die scheinbare Beliebigkeit der Postmoderne“.

In Zeiten, in denen Arbeitsplätze und Unternehmenssitze jederzeit auf einen anderen Kontinent verlagert werden können, in denen Partnerschaftspotenziale auf digitalen Börsen geswipet und gesuperliked werden und an deren Horizont bereits die Klima-Apokalypse immer stärkere Starkregenphasen und Dürreperioden aufziehen lässt – in diesen manisch-depressiven Zeiten also sucht der Mensch nach Verlässlichkeit, nach Wahrhaftigkeit, eben nach dem Authentischen.

Copy-pasten bis zur Raute

Von Politik über Sport bis in den Getränkehandel ist das Authentische längst in sämtliche Bereiche unseres Lebens metastasiert. Angela Merkel gewann eine ganze Bundestagswahl mit dem dösigen Wahlkampfmotto: „Sie kennen mich“. Aktuell erleben wir gar die Groteske, wie sich der SPD(!)-Kanzlerkandidat darum bemüht, ebenjene Bundeskanzlerinnen-Authentizität anzuzapfen, indem er den Merkel-Style bis zur Raute zu copy-pasten versucht.

Im Fußball ist die Authentizität in den letzten Jahrzehnten eine toxische Beziehung mit dem ungezügelten Kapitalismus eingegangen. Ascheplatz-Gefühle wie Leidenschaft, echte Liebe und ehrlicher Sport kollidieren hier immer öfter mit dreistelligen Millionenablösen, Investorenclubs und gekauften Weltmeisterschaften. Selbst ein Authentizitäts-Maskottchen wie der „Kult-Trainer“ Jürgen Klopp grinst mittlerweile für so ziemlich jeden Werbedeal der Welt sein strahlendweißes Kloppo-Smile in die Kamera.

Der Unique Selling Point des Deutschraps ist nun seine einzigartige Symbiose aus Authentizität und Kapitalismus. Während beim Fußball durch ebenjene Verquickung eine Entfremdung zwischen Fußballgeschäft und dem einfachen Fan zu beobachten ist, gehört Konsum und Unternehmertum im HipHop seit jeher zum ostentativen Storytelling: Aufstiegserzählungen vom steinigen, oft migrantischen Weg aus dem prekären Ghetto heraus, hin zum gefeierten Superstar werden geradezu bezeugt von Statussymbolen, als Insignien des Geschaffthabens.

Gleichzeitig wiegt kaum ein Vorwurf im Deutschrap so schwer, wie der fake zu sein. Kaum eine Angst ist größer, als die Street-Credibility zu verlieren. Ständig wird versichert: „Der Bratan bleibt der Gleiche“ (Song aus Capital Bras Album „CB7“, 2020), während die Scheine dabei lila werden. Die erfolgreichen Stars werden hier gerade durch ihr unternehmerisches Kalkül und materialistisches Status-Gebaren authentisch.

Wer das Kapital schon im Namen trägt, der ist in seiner Absicht, Cash zu machen, ja schwerlich zu kritisieren. Deutschrap­pe­r:in­nen transformieren sich so von reinen Künst­le­r:in­nen zu omnipotenten/allesumfassenden Authentizitäts-Brands und werden über die Musik hinaus zum Symbol für einen gewissen Lifestyle, einen einzigartigen Lebensweg, einen ganz bestimmten Habitus.

Erfolg gekühlter Dosen

Bei Capital Bra drückt sich das Lebensgefühl einer gewitzten Verschlagenheit im kaugummihaft in die Länge gezogenen Silben-Gesäusel genauso einprägsam aus, wie in den kantigen Zeilen des Rappers Haftbefehl das kriminelle Pflaster der Offenbacher Street durchklingt. Aus der Perspektive dieser in Konsum gebadeten Authentizitätslogik ist nun auch der Erfolg der gekühlten Dosen und Tetrapacks mit Deutschrap-Hintergrund zu verstehen.

Der aktuelle Tee-Hype offenbart den gesellschaftlichen Durst nach immer mehr, immer neuen authentizitätsstiftenden Produkten, der nun auf juicyge Weise von den smarten Playe­r:in­nen der HipHop-Kultur gestillt wird. Selbst auf so fachfremdem Terrain wie dem Getränkemarkt sind sie nicht mehr darauf angewiesen, mit den großen Namen der Branche zu kooperieren. Es ist eben kein Lipton Ice flavoured by Shirin David oder der Durstlöscher Bra-Edition, ganz im Gegenteil: Die Tees werden von ihnen selbst vermarktet. Es ist nicht wichtig, mit welcher Firma Capital Bra zusammenarbeitet, wer den Eistee letztlich wirklich herstellt.

Die Wertschöpfung erfolgt anders: Jeder Verpackungsrücken enthält, je nach Geschmacksrichtung, unterschiedliche originalgetreue Abbildungen des Rappers (mal hält er eine Wassermelone in der Hand, mal sitzt ihm ein Tukan auf der Schulter) und in Instagram-Clips empfiehlt mir ein unter Palmen wippender Capital Bra derweil: „Mach keine Welle in deim Audi TT, komm entspann dich und trink mal ein Tee“.

Hier wird ein Getränk mit Authentizität aufgetankt, für das ich die nicht gerade schnäppchenhaften Supermarktpreise von 1,99 Euro pro Liter bezahle, selbst wenn ich keine nennenswerten Unterschiede zu herkömmlichen Marken herausschmecke. Wichtig ist: Capi versichert mir glaubhaft, dass 750 Milliliter pures Bratan-Destillat meine Kehle runterlaufen. Nur das macht den gewöhnlichen Eisteekonsum zu meiner ganz persönlichen AuthentiTea-Experience.

Wenn ich den BraTee sippe, während ich Fifa zocke, dann sage ich der Welt: Schau her, in mir manifestiert sich der soziale und ökonomische Aufstieg einer erfolgreichen Migrationsgeschichte. Das ist der pfirsichsüße Geschmack, das postmigrantische Gesicht des neuen Germanys. Mir wurden Steine in den Weg gelegt, doch ich hab mich durchgeboxt, hab zwar auch mal ein krummes Ding gedreht, aber immer mit Charme und List, Härte und Augenzwinkern, eben mit ganz viel nananana und lelelele.

Morgen habe ich vielleicht so einen Girlboss-Day und dann können Sie sich darauf verlassen, dass ich mir den DirTea von Shirin David in den Einkaufskorb lege – und sollte ich irgendwann mal im Hardcore-Gangsta-Modus sein, finde ich dann also bald den hanfversetzten Baba HafTea als performatives Drink-Accessoire im Kühlregal. Wie geil ist das denn bitte?

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