Verfassungsschutz umwirbt Wissenschaft: „Höchst problematisch“

Mit einem neuen Zentrum will der Verfassungsschutz mit der Wissenschaft kooperieren. Dort aber warnen gut 200 For­sche­nde vor Vereinnahmung.

Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang auf einer Pressekonferenz in Berlin.

Will jetzt auch die Wissenschaft für sein Amt einspannen: Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang Foto: Florian Gärtner/Imago

BERLIN taz | Am Donnerstag in einer Woche wird es die Premiere geben. Dann will das Zentrum für Analyse und Forschung (ZAF) das erste Mal mit einer „Wissenschaftskonferenz“ in Berlin an den Start gehen, zum Thema „Extremismus und Sozialisation“. For­sche­r:in­nen aus 11 Hochschulen wollen dann diskutieren, ob gesellschaftliche Teilhabe Radikalisierung verhindert oder wo sich Islamisten und Incels ähneln.

Das Besondere: Mit auf dem Podium werden Vertreter des Verfassungsschutzes sitzen, inklusive Präsident Thomas Haldenwang. Überraschend ist das nicht – denn das ZAF ist ein neues Kind des Geheimdienstes. Das Zentrum soll nach eigener Auskunft eine „phänomenübergreifende, interdisziplinär arbeitende Forschungsstelle“ sein und mit der Wissenschaft kooperieren. Das Ziel: die Analysekompetenz des Amtes zu stärken, etwa um Radikalisierungen zu verstehen. Das aber zieht bereits jetzt Kritik auf sich – aus Teilen der Wissenschaft.

In einem zu Wochenbeginn veröffentlichten „Einspruch“ von mehr als 200 Wis­sen­schaft­le­r:in­nen heißt es, man stehe dem ZAF „sehr skeptisch gegenüber“. Dass der Verfassungsschutz die Zusammenarbeit mit der externen Wissenschaft suche, sei „ein Problem“. Zu den Unterzeichnern gehören renommierte Namen wie Wilhelm Heitmeyer, Oliver Decker oder Matthias Quent.

„Zuliefer:innen für behördlich vorgegebene Ziele“

Sie verweisen auf Wissenschaftsstandards wie das freie Forschen oder die öffentliche Verfügbarkeit erhobener Daten – was der Verfassungsschutz „qua Auftrag gar nicht einhalten“ könne. Auch unterliege der Dienst Weisungen aus den Innenministerien: Erkenntnisse könnten zurückgehalten werden, Mittelvergaben erfolgten „auf Zuruf“. For­sche­r:in­nen liefen damit Gefahr, „Zuliefer:innen für behördlich vorgegebene Ziele“ zu werden. Zudem sei absehbar, dass die „Entgrenzung“ solcher Forschung bei einem Teil der Beforschten „erhebliches Misstrauen“ hervorrufen werde.

2021 bekommt das ZAF 490.000 Euro an Mitteln für die Extre­mismusprävention

Der Sozialpsychologe Oliver Decker von der Universität Leipzig, einer der Erstunterzeichner und Mitherausgeber der bekannten Autoritarismusstudien, unterstreicht diese Kritik. „Der Verfassungsschutz wagt sich immer weiter in Bereiche vor, für die er bisher aus guten Gründen nicht zuständig ist. Und dazu gehört sicherlich die Erforschung von Einstellungen.“ Offensichtlich suche der Geheimdienst Expertise, da er bei seinen Analysen überfordert sei, so Decker zur taz. Eine Vermischung mit der Wissenschaft sei aber „hoch problematisch“, da zu den Erkenntnissen des Geheimdienstes keinerlei Transparenz herrsche. „Hier braucht es vielmehr eine klare Abgrenzung: Der Verfassungsschutz sollte sich auf die Terrorabwehr beschränken, um den Rest kümmern sich Wissenschaft und Zivilgesellschaft.“

Der Verfassungsschutz verspricht einen „Ethikkodex“

Beim Verfassungsschutz äußert man sich vor der Konferenz nicht öffentlich zu der Kritik. Auf eine Linken-Anfrage antwortete die Bundesregierung zuletzt aber, das ZAF wolle mit künftigen Forschungspartnern eine „vertragliche Vereinbarung“ eingehen, wie mit den erhobenen Daten umgegangen wird. Spreche der Geheimschutz nicht dagegen, würden gemeinsame Forschungsergebnisse veröffentlicht. Auch sei ein „Ethikkodex“ geplant. Das Zentrum wird von der Bundesregierung für 2021 mit 490.000 Euro aus Geldern für die Extremismusprävention bezuschusst.

Auch der Soziologe Matthias Quent hat damit Bauchschmerzen. „Verfassungsschutzbehörden berufen sich auf Geheimwissen, um ihre teils folgenschweren Einschätzungen zu begründen. Das ist mit wissenschaftlichen Standards nicht vereinbar.“ Auch eine Unabhängigkeit fehle ihnen. Gerade Sozialforschung sollte hier kritisch sein und sich nicht für die Rechtfertigung von nachrichtendienstlichen Aussagen vereinnahmen lassen, so Quent zur taz. Bei der wissenschaftlichen Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme drohe sonst eine „staatszentrierte Versicherheitlichung“. Auch Quent plädiert stattdessen für eine unabhängige wissenschaftliche Struktur, „nicht im Auftrag des Verfassungsschutzes, sondern als dessen Korrektiv“.

Für die Verfassungsschutzkonferenz des ZAF am 16. September sagten dennoch mehrere Wis­sen­schaft­le­r:in­nen zu. Die Berliner Politikprofessorin Sabine Achour, Mitautorin der renommierten „Mitte-Studie“, ist eine von ihnen. Auch sie indes kann den „Einspruch“ ihrer Kol­le­g:in­nen nachvollziehen: „Die Kritik im Aufruf ist wichtig und muss diskutiert werden.“ Sie selbst komme aus der politischen Bildung, die seit geraumer Zeit im Zeichen einer „Versicherheitlichung“ stehe und als „Instrument der Extremismusprävention“ eingesetzt werde, sagt Achour der taz. „Das passt nicht zu ihrem Selbstverständnis.“ Diese Kritik wolle sie auf dem Kongress einbringen, und dafür sei sie auch eingeladen. Eine längerfristige Zusammenarbeit mit dem ZAF sei dagegen schwierig vorstellbar, so Achour. „Dafür arbeiten politische Bildung und Verfassungsschutz viel zu unterschiedlich.“

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